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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Sie haben ihren früheren Gesandten Sheil abberufen und einen andern exklusiven Kleinkopf hingeschickt, um mit ihrer Geburts- und Standespolitik gegen die russische des Talents und der Rücksichtslosigkeit zu concurriren, aber was Sheil nicht verstand, kann Schale auch nicht. Sie sollten Damen als Minister und Gesandte anstellen ; denn die englischen Damen zählen noch die meisten Männer unter sich. So ist auch Lady Sheil eine ganz resolute, kluge, gebildete Dame, die nur deshalb in Teheran nicht durchgreifen konnte, weil ihr Mann zu hartnäckig auf sein exclusiv ihm angebornes Talent pochte.

So schrieb Lady Sheil aus Langeweile und Verzweiflung ein Buch über „Leben und Sitten in Persien“, das sehr unterhaltend und belehrend ist, und von eben so klarer Beobachtungsgabe, als gefälligem, oft witzigem Darstellungstalent zeugt. Wir geben aus freier Erinnerung an die Lektüre dieses Werkes einige charakteristische Züge aus dem Leben und den Sitten des jetzigen Persiens zum Besten.

Um geographisch nichts vorauszusetzen, bemerken wir, daß Persien hinter der asiatischen Türkei anfängt, sich nördlich an Rußland und das caspische Meer, südlich an das arabische oder persische Meer anlehnt und östlich in der Richtung nach Indien, von welchem es durch mehrere große und kleine despotische Staaten (Afghanistan, Beludschistan u. s. w. getrennt wird) in unbegrenzte wüste und Räubergegenden ausläuft. Ueberhaupt hat es keine bestimmte Grenzen, wenn man nicht Wüsten, die von Räubern und Gebirgen durchzogen sind, als solche gelten lassen will. Was die türkische und russische Grenze betrifft, so sind weder die Geographen noch die betreffenden Herrscher darüber ganz einig. Neuerdings hat es große Strecken an Rußland abtreten müssen, das außerdem andere Provinzen und im Grunde bereits das ganze Land, für früher geleistete Dienste als Pfand betrachtet. Als Grenze gegen die arabische Türkei ziehen sich die alten berühmten Flüsse Euphrat und Tigris, an denen einst die Kultur der Menschheit europawärts heraufkletterte, in den persischen Meerbusen hinunter. Die Engländer geben als vermuthliche Größe des Landes 500,000 ihrer Geviertmeilen und die Einwohnerzahl auf 9 bis 10 Millionen an, Abkömmlinge der alten Parsen, noch immer ein schöner, schlanker Menschenschlag und natürliche Aristokratie des Landes, tüchtige Reiter, Waffenkünstler, Juweliere, Teppich- und Shawlfabrikanten, die „Franzosen des Ostens“, dann Mischlinge auf Dörfern, Hirten, Nomaden, wie weiland Abraham, und zuletzt wandernde Stämme und Familien türkischen, afghanischen, arabischen, mongolischen Blutes, die noch ganz so leben, wie sie in der Bibel figuriren oder in „Tausend und einer Nacht“, weidend, kriegerisch, räuberisch, brav, gastfreundschaftlich, roh und zänkisch, je nachdem es Geschäft und Reizung mit sich bringen.

In den Städten ist eine besondere Klasse von Künstlern und Gelehrten charakteristisch, die unsere Literatur, Dichter, Sänger, Buchhändler und Drucker vertreten, die Abschreiber von Büchern, Kriegsgesängen und Liebesgedichten, an denen die persische Literatur so reich ist. Gedruckt wird nichts, Alles abgeschrieben und so fortgepflanzt. Zwar hat der Schach in Teheran eine Art Druckerei, aber nur für Privatzwecke. Im Lande und für’s Land wird nur geschrieben und zwar von der betreffenden Künstlerklasse wunderbar schön und zierlich. Am Meere leben etwa 30,000 Personen als Taucher und Perlenfischer. Die dünne Bevölkerung auf dem großen Hauptplateau, 3–4000 Fuß über der Meeresfläche, durchzogen von Gebirgen, Salzseen und Salzwüsten, aus deren Trostlosigkeit manchmal die duftigsten Oasen hervorblühen, lebt wie sie eben kann, von etwas Viehzucht, Früchten, Luft und Sonne und am herrlichsten des Nachts unter dem klaren, tiefblauen, mit blendend goldleuchtenden Sternen geschmückten, stillen Himmel, unter welchem das Mährchen und süße Lied ihres alten Hauptdichters Hafis gar traulich weithin klingt, und Alt und Jung geistig sättigt und erquickt die ganze stille, funkelnde Nacht hindurch.

Die höheren Klassen leben vom Leihen und Liebe, vom Soldat- und Beamtenspielen, von Intriguen, Heirath und Scheidung, vom Morden und Ermordetwerden. Kultur, Sittlichkeit, Bildung in unserm Sinne gibt es nicht. In einem Lande der raffinirtesten Despotie ist das nicht möglich. Das Interesse des Despoten verschlingt alles Gedeihen außerhalb seines Kreises. Deshalb finden wir in der Hauptstadt Teheran (welche in einem früheren Jahrgange der Gartenlaube geschildert wurde) neben dem größten Luxus des Hofes gleich Schmutzhütten und Erdlöcher, in denen die nicht am Hofe schmarotzenden Leute ihr Elend verstecken.

Der Luxus persischer Könige war stets sehr groß, doch liegen die Denkmäler ihrer Herrlichkeit in den Ruinen von Persepolis, Ekbatana u. s. w. vergraben. Die Paläste des jetzigen Schachs sind ein luxuriöses, geschmackloses Gemisch alter Parsenarchitektur und russischer, französischer und englischer Luxusindustrie. Am Berühmtesten ist die Citadelle von Teheran mit der hallen- und zimmerreichen Residenz des „Landesvaters.“ Um eine Anschauung von dieser innern Herrlichkeit zu geben, finden wir hier eine Abbildung des Hauptsaales im „Imaret Khurscheed“ oder dem „Palaste der Sonne“. Es ist das Thronzimmer, in welchem des Herrscher zuweilen Audienz gibt oder, wie es in Persien officiell ausgedrückt wird, „das Licht seines Antlitzes auf den Staub der Erde ergießt.“

Diese Thronhalle ist berühmt und schon oft überschwenglich besungen worden, ungemein geräumig und kirchenschiffhoch mit Recessen an jedem Ende und russischen Bildern an den Wänden, die mit Marmor und alten Arabesken ornamentirt sind. Die eine ganze Seite der Halle ist offen und wird hier von 30 Fuß hohen schwarz marmornen Säulen getragen. Auch der Thron ist von Marmor und, wie unzählige Stellen an Wänden und der Decke, mit arabischen Koransprüchen bedeckt. Durch die schwarzen Säulen lacht und duftet ein ewiger Frühling herein: Gulistan, der Rosengarten mit sprudelnden Fontainen und „Rosen, deren feuriges Roth und deren sinnberauschender Duft nie auf Staub herabsah, der ewige Lenz, den nie ein kalter Hauch in seiner warmen Blüthenfülle traf.“ Draußen freilich fängt schon nicht weit von dieser üppigen Herrlichkeit der Schmutz elender Hütten und unterirdischer Löcher, in denen Menschen logiren, an und hört selten wieder auf durch’s ganze weite Land hindurch.

Das ist das Bild des Despotismus überall, eine Masse üppig glänzender, ummauerter Isolirtheit, sich aufthürmend über Armuth, Elend, sittlicher und materieller Verwahrlosung und Alles ausbeutend, niederwerfend, vergiftend oder mit den grausamsten Qualen ermordend, was sich in eigener, schöner Menschlichkeit daneben erheben will. Der persische Despotismus bekommt nur durch seine ungeheure Landesväterlichkeit noch eine ganz eigene tragikomische Färbung, wie das ganze höhere Luxusleben sich nach dem Muster des Landesvaters durch die leichtsinnigste und luxuriöseste Vielweiberei auszeichnet. Hier wollen wir Lady Sheil selbst sprechen lassen.

„Das vom Urgroßvater des jetzigen Schach, Fetteh Ali erbaute Jagdschloß Suleimaiija enthält unzählige Höfe und Zimmer, worin der große Harem des jetzigen Monarchen residirt, der sich den König Salomo zum Muster genommen zu haben scheint. Man schätzt die Bewohnerinnen desselben auf mehrere Hunderte.

An Söhnen haben Se. Majestät etwa achtzig, aber die Zahl seiner Töchter ist so groß, daß man sie nicht addiren kann, zumal da mehrere gänzlich in Armuth verschollen sind. Die Zahl der weiblichen Geburten übersteigt in Persien durchweg die der männlichen bedeutend. Dies führt man als eine Anweisung der Vorsehung zur Vielweiberei an. Die Söhne Sr. Majestät folgten dem Beispiele des Vaters, so daß einige Prinzen bereits je 40 bis 50 Kinder haben. Die direkte Familie des Monarchen besteht so aus einigen Tausend Personen, die nur natürlich nicht alle auf so hohem Fuße leben können, als es ihr Rang anderswo mit sich bringen würde. Es fehlt an Moneten für alle die Majestäten. Einige der Prinzen und Prinzessinnen sind bis zur Bettelarmuth herabgesunken. Einer der Hoheiten pflegte selbst auf den Markt zu gehen und Brot für seine Familie zu kaufen (was noch sehr vernünftig ist); außerdem kenne ich mehrere, die unsere Missionäre um Geld anbettelten, da sie nichts für ihre Familie zu essen hätten. Die Prinzessinnen leben in noch bedauerlicheren Verhältnissen.

„Die ganze Nation scheint vom Schach an, der dem Kaiser von Rußland beinahe den Werth des ganzen Landes schuldig ist, (er ließ sich mehrmals gegen empörte Unterthanen „retten“) bis herunter zum niedrigsten Maulthiertreiber, bis über ihre spitzen Mützen in Schulden zu stecken. Das Wunder ist nur, wer der ganzen Nation Geld borgt. Einige Teppichflechter und Juweliere mögen allerdings Geld haben, aber auch wer reich ist, stellt sich arm und bettelt und borgt, um so den schweren, unersättlichen

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