verschiedene: Die Gartenlaube (1856) | |
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blos aus Contobüchern. Sie sind das Geschäft schwarz auf weiß zwischen geraden Linien mit ungeheuren Summen und Transports unten und oben. Durch eine geheime Thür auf Steintreppen wurden wir in die „Festung“ des Geschäfts geführt, einem feuer- und bombenfesten Raum, in welchem jede Nacht alle werthvollen Papiere und Bücher aufbewahrt werden, obgleich das ganze Gebäude schon „feuerfest“ gebaut ist. Durch verschiedene Stockwerke hindurchgeführt, die alle wie besondere Straßen und Balkone nach der Mitte offen sind, und von dem ungeheuren Glasdache oben ihr hübsches, malerisches Licht erhalten, auf frei sich schlängelnden, geradlinig aufsteigenden und doch in bequemen Schraubenwindungen laufenden Treppen kamen wir endlich auf die oberste Galerie und sehen mit Staunen, wie ein Mann einen Waarenballen auf ein außerhalb schwebendes Brett wälzt, sich selbst darauf setzt, und geschwind und geschmeidig hinabsinkt. Unterwegs hält er einmal neben einer Etage an, ohne daß ich erfuhr, wie er’s machte, sinkt dann weiter, übergibt seine Fracht an einen andern Mechanismus, und windet sich wieder herauf, ohne daß er das Geringste dabei thut. Wenn wir heut zu Tage nicht so aufgeklärte Leute wären, würde ich mir und dem Leser weiß zu machen suchen, das Geschäft habe sich dem Teufel verschrieben, der dafür Faust’sche Zaubermäntel liefern müsse, auf welchen Menschen und Waaren auf- und abfliegen. Wie die Sachen aber jetzt stehen, glaub’ ich, daß Alles natürlich und mechanisch zuging. Ueberhaupt kann hier der Teufel schwerlich eine Seele fangen. Erstens gibt’s gar keine unter den 150 Dienern, als die des Geschäfts, und wenn sie nach dem Schlusse desselben Dinge thun wollen, wofür man in die Hölle kommt, geht’s gar nicht. Die Leute gehören dem Geschäft mit Leib und Seele und wohnen in demselben, wie die Herren Morley auch in ihrer Fabrik zu Nottingham ihre 3000 Arbeiter mit Weib und Kind in Schutz und Aufsicht nehmen.
Das ökonomische Departement des Geschäfts ist von diesem selbst nur durch eine Thür und Treppe geschieden. Es ist ein prächtiges Hotel, eine Phalanstere mit einem Speisesaale, durchweg mit einem brüsseler Teppich belegt, voller Mahagonitische und Mahagonistühle, worin die „Beamten“ des Geschäfts, vierzig auf einmal, frühstücken, diniren und soupiren, um hernach ihre Mußestunden in einer anstoßenden Bibliothek mit mehr als tausend Bänden und allen gangbaren Zeitungen und Zeitschriften zuzubringen. Wöchentlich zweimal finden Discussionen statt und werden Vorlesungen gehalten. Für die Träger und groben Arbeiter gibt’s noch eine aparte Bibliothek. Speisen, und Getränke, Teller und Schüsseln kommen und gehen durch Maschinerie von Unten. Ueber Bibliothek und Speisesaal reihen sich die Schlafstellen, mit allen Bequemlichkeiten niedlich ausgestattet, für je zwei Mann, einer besondern Abtheilung für Kranke, denen die Firma einen Arzt hält, und Anstalten für kalte, warme, Sturz- und Dampfbäder. Diener, d. h. Beamte des Geschäfts von besonderen Verdiensten haben Schlafräume für sich einzeln. Kurz, es fehlt nichts, den Bewohnern ihr Hotel so komfortabel und bequem und wohlfeil zu machen, wie sie es an einem selbstständigen Herde wohl kaum ermöglichen würden, nichts als dieser eigene Herd, das Gefühl und das Zeug der Selbstständigkeit, der Hausstand, die Familie, das freie Menschliche mit seinen Sorgen und Segnungen. Tausende fliegen jeden Tag aus der Hitze ihres Geschäfts bis zwanzig Meilen weit in lustige umgrünte Villen und ihre blühenden Familien hinaus; diese wohlthätig und wohlwollend Ummauerten aber gehen blos durch eine Thür aus der Maschinerie ihres Geschäfts in den eleganten, aber gemüthlosen Mechanismus ihrer controlirten Häuslichkeit ein. Das ist echt socialistisch, aber langweilig und geistlos, unmännlich und unmenschlich, wenn auch in der humansten Form.
Eine Scene in Afrika. Ein Beduine kehrte vor Kurzem von einer
Reise nach einer fernen Gegend, wo er seinen Stamm besucht hatte, nach
Algier zurück, sein Weib und zwei Kinder begleiteten ihn. Er selbst ritt
auf einer prächtigen, theuern arabischen Stute, welche ihm ein englischer
Reisender für mehrere ausgezeichnete Dienste auf einer gefährlichen Reise
geschenkt hatte. Sein Weib ritt auf einem Kameel; ein Kind ruhte in ihrem
Arm, das ältere ritt hinter ihr, sich an den ungeheuren Sattel haltend,
an dessen Bügeln die großen Koch- und Trinkgeschirre, die steten Begleiter
solcher Wanderungen, hingen. Der Stolz des Beduinen bestand in dem
Feuer seines Pferdes, in der Gelehrsamkeit und dem Scharfsinn seines
Kameels und der Schönheit seines Weibes, welches einem höheren Stamme
als dem seinigen angehörte. Die kleine Familie verfolgte eine Zeit lang
ihre Reise, ohne einer Gefahr zu begegnen. Sie waren so glücklich, Wasser
zu finden, und ungleich dem größten Theil der Beduinen, die so zu sagen
durch Erfahrungen nie klug werden, befriedigten sie sich nicht nur durch
eine bloße Erquickung bei jeder Oase, sondern füllten ihre Schläuche und
Gefäße bis zum Rande. Es war am Nachmittag des sechsten Tages ihrer
Reise, als sie von einer großen, wüsten Sandebene in eine Bergkette gelangten,
deren Abhänge und Höhen mit verkümmertem Gebüsch und einigen
Tamariskensträuchern hier und da bedeckt waren. Jetzt bemerkten sie
einen Hügel, welcher ein einladendes Plätzchen und ein passender Zufluchtsort
für ihre Abendmahlzeit zu sein schien. Die Kinder waren müde und
man beschloß, dort eine Stunde zu verweilen, weshalb die Anhöhe erstiegen
wurde. Aber plötzlich bäumte sich das edle Roß von reinem Godolphinstamm
und wieherte dermaßen, daß die kleine Familie von Schrecken
ergriffen wurde. Fast in demselben Augenblick stieß das Kameel sonderbare,
traurige Angsttöne aus, und fiel in die Kniee. Die Mutter und
die beiden Kinder wurden durch diese unerwartete Bewegung hinabgeworfen.
Der Beduine griff nach seinem Gewehr, ebenfalls ein Geschenk des obenerwähnten
englischen Reisenden, als plötzlich ein schreckliches Gebrüll über
die Wüste erscholl, dessen Echo von Berg zu Berg bis in die weiteste Ferne
getragen wurde. Nur ein paar Schritte von ihnen in einer Höhle, unter
deren Abhänge sie gerade ihr Mahl hatten einnehmen wollen, stand ein
großer Löwe zum Sprunge auf seine Beute bereit. Ein schrecklicher Schrei
ertönte von den Lippen der erschrockenen Mutter, und die Kinder klammerten
sich an sie an, in athemloser Angst. Der Beduine verlor jedoch seine
Geistesgegenwart nicht. Er hatte kaum sein Gewehr losgelöst, als das schreckliche
Ungeheuer schon in der Luft schwebte und auf den Nacken des Kameels
fiel. Im Augenblick, noch ehe der Knall der Büchse gehört wurde, färbte
sich der Sand mit Blut. Der Löwe hatte seine Zähne in das Fleisch des armen
Thieres eingegraben, und ein trauriges Wehklagen, beinah ähnlich dem eines
Menschen, kam aus der Kehle des schwachen, geduldigen Geschöpfen. Jetzt leuchtete
ein Flammenblitz aus dem Gewehr und fast zu gleicher Zeit wiederhallte
das Echo der Wüste zum zweiten Mal gleich dem Donner. Der Löwe
fiel von dem Nacken des Kameels und rollte in den Sand. Vom Pferde
zu springen, war für den Araber das Werk eines Augenblickes. Sein
schnelles Auge hatte bemerkt, daß das Ungeheuer an einer lebensgefährlichen
Stelle verwundet war; seinen Dolch ziehend, stürzte er sich auf den
König der Thiere. Der Stoß war gut geführt, hätte er gefehlt, so wäre
es ihm schlecht ergangen, denn der Löwe besaß noch die Kraft, auf ihn
loszugehen. Er war gerade zwischen den Rippen, die eine zarte Stelle
bedecken, tief hineingegangen und das Ungeheuer fiel mit schrecklichem
Geheul zu Boden und starb. Der Leser kann sich die Freude der geängstigten
Familie über ihre Befreiung vorstellen, doch wurde ihre Freude
durch den Verlust des theueren Kameels getrübt, denn es mußte, trotz
aller Aufmerksamkeit, die man auf dasselbe verwandte, sich verbluten, während
es langsam sterbend seinem Herrn die Hand leckte. Es ist noch zu
bemerken, daß der Beduine Frau und Kinder auf sein Pferd setzte und dasselbe
während des übrigen Theils der Reise durch die Wüste führte, deren
Ende sie sicher erreichten.
Bei Ernst Keil in Leipzig erschien:
Dem weiblichen Geschlecht, welches bisher für die Hauserziehung gar keine oder doch nur eine sehr mangelhafte Vorbildung empfing, wird in diesem Buche eine nach rationellen Grundsätzen fest geordnete praktische Anleitung zur Pflege und Erziehung der Kinder bis zum sechsten Jahre, geboten. Die zweite Abtheilung des Buches beschäftigt sich ausschließlich mit der innern Einrichtung, der Leitung und Verwaltung der Kindergärten, gibt Anweisungen bei Ertheilung des Unterrichts, den Spielen, dem Turnen etc. etc.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_516.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)