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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

zu ihrem Gehalt an freien Säuren. Außerdem enthalten unausgezeitigte Trauben, im Verhältniß zu ihrem Wasser und Zuckergehalt, mehr Aepfelsäure und weniger Weinsteinsäure, welcher letzterer der Traubenwein jenen charakteristischen Weingeruch und Geschmack (nicht mit Blume, Bouquet zu verwechseln) verdankt, welcher ihn von allen anderen Obstweinen unterscheidet und welcher sich desto langsamer und unvollkommener entwickelt, je weniger Zucker der Most enthielt. Setzt man dem Moste von unreifen Trauben an Zucker und Wasser genau zu, was, mit dem Moste von vollkommen reifen Trauben derselben Sorte und aus derselben Weinbergslage verglichen, ihm fehlt, so entsteht aus einem so verbesserten Moste – abgesehen von dem Bouquet, der Blume – eben so vollkommner Wein, als aus reifen Trauben derselben Sorte, desselben Jahrganges und derselben Lage gewonnen werden kann, indem – sofern Weingeist in demselben Verhältnisse wie in einem aus reifen Trauben entstandenen Weine vorhanden ist – durch eine, bei längerem Lagern stattfindende, fortwährende chemische Veränderung die Aepfelsäure der unreifen Trauben in Weinsteinsäure umgebildet wird. Sowie die Traube einer gewissen Wärmemenge zum Reifen bedarf, so muß auch eine gewisse Summe von Wärme dem Moste zugeführt werden, um vollkommenen Wein daraus zu bilden. Empfängt er diese nicht während der ersten Gährung, so begnügt er sich zwar mit Abschlagszahlungen – aber unsere Schuld ist es dann, wenn er bis zu seiner gänzlichen Befriedigung als unvollkommener Wein alljährlich uns mahnt, und, so lange er noch Eiweißstoffe enthält, stets wieder in Gährung geräth, sobald er wieder eine höhere Temperatur erlangt, als diejenige war, bei welcher er seine vorherige Gährung scheinbar beendigte. Die bei der allgemein üblichen Weise, den Most gähren zu lassen, im Weine zurückbleibende Kohlensäure verzögert die harmonische Ausbildung der Weine und dies ist der Grund, warum unsere Weine, gleichviel ob sie aus reifen oder unreifen Trauben gewonnen werden, erst nach vier bis sechs Jahren, viele Rheinweine erst noch später ihre vollkommene Lagerreife erlangen. Die unvollkommene Gährung unserer Weine ist ferner die Ursache, warum dieselben Monate lang nachgähren, ja noch im dritten, vierten und fünften Jahre, beim Eintritt der wärmeren Jahreszeit wieder in Gährung gerathen, sich trüben oder wenigstens wieder „arbeiten“ und selbst in Flaschen noch Niederschläge absetzen. Werden dagegen die Bedingungen einer vollkommenen Gährung vollständig erfüllt, so wird gleich bei der ersten Gährung des Mostes alles ausgeschieden, was unsere Weine, nach der bisherigen Behandlungsweise, erst während einer Reihe von Jahren ablagern können und dadurch ihre Ausbildung in hohem Grade beschleunigt. Sehr edle bouquetreiche Weine werden nur aus vollkommen reifen Trauben erlangt; je sorgfältiger man alle nicht vollkommen reifen, faulen und aufgesprungenen Trauben und Beeren vor dem Keltern beseitigt, desto reicher und duftiger entwickelt sich das Bouquet des werdenden Weines. Auch in den ungünstigsten Jahren erlangt ein Theil der Trauben und Beeren den zur Gewinnung von Bouquetwein nöthigen Reifegrad und gerade in solchen Jahren haben die vollkommen reifen Trauben, zumal wenn mehrere geringe Jahre vorhergingen, einen fast im Verhältniß ihrer Seltenheit höheren Werth.

So wurden im Jahre 1852 in der Pfalz, durch sorgfältigste Auslese der reifsten Trauben und Entfernung aller einzelnen unreifen Beeren, Weine von vorher dort nie gekannter Köstlichkeit erzeugt, welche das Stück, 1000 Litres, mit 4–8000 Gulden bezahlt worden sind. Man glaubte nicht daran denken zu dürfen, auch in geringen und schlechten Jahren die edelsten Trauben und Beeren auszulesen und besonders zu keltern, weil man besorgte, dann aus den übrigen Trauben nur eine sauere ganz werthlose Brühe zu erhalten; zumal da, wenn wenig gute Trauben vorhanden sind, die meisten und edelsten schon während der Lese im Weinberge und im Kelterhause gegessen werden. Die Wahrheit ist jedoch, daß die meisten und gerade die wohlhabendsten Weinproducenten aus mißverstandener Oekonomie sich nicht entschließen konnten, sich es an Auslesekosten und für das Verzichtleisten auf das übliche Traubenessen etwa 20 Thlr. pr. Fuder mehr kosten zu lassen, weil sie im Allgemeinen zu kurzsichtige Rechner sind, um, ohne es aus eigner Erfahrung zu wissen, im Voraus überzeugt zu sein, daß jeder so ausgegebene Thaler sich mit 500 Procent verzinsen würde. Nachdem es nun aber möglich geworden ist, auch aus unreifen Trauben sehr gute, ja wie bereits hundertfältige Erfahrungen bewiesen haben, selbst vorzügliche Mittelweine (im Gegentheil zu Bouquetweinen) zu erzeugen, so ist auch kein Scheingrund mehr vorhanden, um das wenige Gold, welches unsere Weinberge in geringen Jahren bringen, sich ferner in einen Ocean von saurer Brühe verlieren zu lassen. In ungünstigen Jahren ist übrigens der Säuregehalt der Trauben ihr werthvollster Bestandtheil.“

Das sind in gedrängtester Kürze die Ansichten Gall’s, wie er sie selbst niedergeschrieben hat. Nachdem was wir über die Bestandtheile der Trauben, des Traubensaftes und des Weines mitgetheilt haben, ist es nicht schwierig, die Richtigkeit derselben zu erkennen. Es gehört hierzu wahrhaftig nur ein vorurtheilsfreier gesunder Menschenverstand. Die Einwürfe, die man gegen Gall’s Ansichten geltend machen wollte, stammen zum größten Theil aus sehr unklarer oder wenigstens aus höchst befangener Quelle und sind daher keiner Berücksichtigung werth, wenigstens nicht in den Spalten dieses Blattes.

Die hier mitgetheilten Ansichten haben nun Gall zur Entwickelung und Empfehlung folgender Lehren geleitet:

„1) Durch Spätlesen, Vorlesen, Auslesen und Sortiren; dann durch Abstellung des mißbräuchlichen Traubenessens gegen angemessene Lohnerhöhung, die edelsten Trauben und Beeren von den unreifen, faulen und beschädigten zu sondern, um aus jenen auch in den ungünstigsten Jahren höchst werthvolle Bouquetweine zu gewinnen.

„2) Den Gehalt des Mostes der ausgesonderten unreifen Trauben an Zucker und freien Säuren genau zu ermitteln und darnach, mit Rücksicht auf den Raum, den der Zucker, seinem Gewichte nach, in der Flüssigkeit einnimmt, genau zu berechnen, wie viel Zucker und Wasser jedem Moste zuzusetzen ist, um daraus feurige, liebliche, gesunde und haltbare Weine und daher überall willkommene und allgemein verkäufliche Weine zu gewinnen und zwar Weine, wie sie bisher zum Theil mit 100 bis 300 Procent Gewinn verkauft worden sind.

„3) Schon vergohrene, selbst noch fünfzehnjährige, geringe, matt gewordene Weine in den Zustand von gährendem Most zurückzuversetzen, um sie, nach dem nöthigen Zusatz von Zucker und Wasser, aus einer erneuerten Gährung, zu jeder Jahreszeit als eben so gute, gesunde und haltbare Mittelweine hervorgehen zu lassen, wie die unmittelbar aus verbessertem Most entstandenen.

„4) Die Gährung in allmälig bis zu 20° R. erwärmten Lokalen so einzuleiten und vor sich gehen zu lassen, daß aus ausgebessertem geringem Weine sowohl, als aus aufgebessertem geringem Most in drei Monaten fertiger, versendbarer, glanzheller Wein erlangt wird, der keiner störenden Nachgährung mehr unterworfen ist.“

Diese Lehren haben, wie schon erwähnt worden, bei allen gerechten Weinproducenten die vollste Anerkennung gefunden, sind auch sicherlich der wärmsten Empfehlung werth. Dem weinliebenden, weintrinkenden Publikum dagegen rathen wir, sich fortan nicht mehr durch die sogenannten Naturweine der meisten Herren Weinhändler äffen zu lassen. Dieses eingefleischte Vorurtheil „Naturwein“ muß abgestreift werden und wer richtig gallisirten Wein getrunken hat, wird gewiß freiwillig zugestehen, daß das Gallisiren keine Weinschmiererei, sondern eine ganz naturgemäße erlaubte wohlthätige Weinveredelung ist; wohlthätig dem Weinproducenten, der nun seine unreifen Trauben in guten Wein zu verwandeln vermag und ebenso wohlthätig dem Weinconsumenten, der nun für verhältnißmäßig geringeren Preis keinen Rachenputzer, sondern edeln lieblichen Wein zu trinken bekömmt. Uebrigens wissen die Weinhändler am besten, daß wenn sie die Weine jedes rohen Naturmostes verkaufen wollten, sie mit solchen essigsauren Getränken alle ihre Kunden vertreiben würden. Sie anerkennen und betreiben daher im Geheimen die Kunst der Weinveredelung, obschon sie es öffentlich nicht zugestehen wollen, sondern im Gegentheil ihrem Grolle gegen ihren freimüthigen Verräther, Dr. Gall, auf die possirlichste Weise Luft machen. Es ist zu erwarten, daß man bald überall „gallisirten Wein“ zum Verkaufe anbieten wird, wie es der intelligente Gutsbesitzer Balduin Pfeil zu Weinböhla schon seit einiger Zeit mit bestem Erfolge in Dresden thut. Nicht jeder Zusatz zum Moste, aus welchem man genießbaren,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_525.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)