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entgegen. Denn in einem sehr langsamen Zeitmaße, das um so langsamer wird, je größer der Frosch ist, wird er bei lebendigem Leibe verschluckt. Jedes andere Thier, das sich von lebenden Geschöpfen nährt, tödtet seine Beute entweder auf der Stelle, oder bringt ihm solche Wunden bei, daß der Tod alsbald erfolgt; nur die Schlange verzehrt ihren Frosch, ohne ihm zuvor jene Wohlthat angedeihen zu lassen. Namentlich ist dies der Fall, wenn sie ihn bei einem Hinterbeine gefangen hält. Das würgt sie zuerst hinein, holt dann das andere nach, wodurch der arme Gefangene widerstandslos gemacht wird, und schiebt ihn nun von seinem Hintertheile an langsam in ihren Rachen, so daß er zwar gedrückt wird, und sich strecken muß, ohne aber zerdrückt und dadurch möglicher Weise getödtet zu werden. Sein Auge bleibt offen, seine Brust hebt sich in gleichmäßigem Takte, seine Vorderbeine strecken sich ganz gerade aus, wie ein paar um Hülfe flehende Menschenarme, ja er läßt ähnlich dem Hasen hin und wieder einen kläglichen Todesschrei hören.

Diese Todesqual hatte mancher wohl eine halbe Stunde auszustehen, ehe sein Kopf innerhalb des Schlangenrachens verschwand, und bis auf den letzten Augenblick sahen wir ihn regelmäßig fortathmen. Wie bald dann der Tod der Erstickung folgt, kann man äußerlich an der Schlange nicht wahrnehmen, hoffen und wünschen wir, daß er wenigstens nicht lange mehr auf sich warten läßt. Weniger lange dauert es und ist darum jedenfalls besser für das arme Opfer, wenn es von vorn gefaßt, mit dem Kopfe zuerst hinuntergewürgt wird. In jedem Falle steht so viel fest, daß dieses Verschlingen, es mag bei den Beinen oder beim Kopfe beginnen, ein höchst widerlicher Anblick ist. Zu bewundern ist die ungeheure Dehnbarkeit der Muskeln, besonders des Kopfes, der noch dazu mit seinen Knochen, so schwach sie im Ganzen sein mögen, fester gebaut ist, als der ganze übrige Körper. Mit Grausen fast, mindestens mit sehr großem Mißbehagen, sahen wir den Rachen immer weiter an Umfang zunehmen, je stärker und dicker der Frosch wurde, und nun denke man sich einen von ziemlicher Größe, der, wenn er bei einem Hinterbeine gefangen ist, als letztes Rettungsmittel sich nach Kräften aufbläst.

Manche Schlange, die vor der Mahlzeit die Stärke eines mäßigen Daumens hatte, war am Kopfe und Halse, so lange sie den Frosch darin hielt, wenigstens zweimal dicker geworden. Während dieses ganzen Aktes und nachher während der Verdauung erst recht liegt sie still und ohne jede Bewegung, außer der Weiterdehnung des Rachens, die von Zeit zu Zeit ruckweise, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, dann erfolgt, wenn sie wieder ein Stückchen ihres Fraßes mehr hinunterschluckt. Wenn es möglich wäre, würde sie sich selbst beim Fangen nicht bewegen, allein da muß sie, auch bei der kleinsten Beute, den Oberleib zum wenigsten ein Mal in die Höhe heben, um zuzuschnappen, dann aber geht sie in ruhiger Lage an das Verschlingen. Manchmal muß sie sich freilich heftige Bewegungen gefallen lassen, wie ein paar Beispiele zeigen werden.

Ein Frosch war eben im Begriff einen Sprung in’s Wasser zu riskiren, als ihn eine neben dem Bassin liegende Schlange bei einem Hinterschenkel gefaßt hatte. Patsch! lagen Beide im Wasser, der Frosch mit dem ganzen Leibe, die Schlange mit Kopf und einem Stück Oberkörper. Da sie nicht die Kraft besaß, jenen in die Höhe zu heben und an das Bassinufer zu tragen, so sah sie sich genöthigt, ihn heraufzuziehen. Das kostete aber viel Mühe. Der Frosch, der sich mit dem ganzen Körper und den drei freien Beinen fest an die senkrechte Uferwand andrücken konnte, leistete verzweifelten Widerstand. Wenn sie ihn auch ein Stück zu sich heraufgezogen hatte, bald mußte sie wieder dem Frosche nach unten folgen. Der Kampf dauerte wohl zwanzig Minuten, ehe sie Herrin ihrer Beute wurde, und dies konnte sie nur dadurch bewerkstelligen, daß sie während des Ringens bereits an die Mahlzeit ging. Sie verschluckte unmerklich das erfaßte Bein und als sie nun das Hintertheil anfing in den Rachen zu schieben und dadurch dem andern Hinterbein sich näherte, da verlor der Frosch seinen Stützpunkt und wahrscheinlich auch die Kraft, denn es dauerte nicht mehr lange, so lag er oben auf dem Bassinrande so weit, als sie ihn noch nicht verschluckt hatte, widerstandslos vor ihr. Dies war übrigens der einzige Frosch, dem wir so mitgespielt gesehen haben, daß ihm das Blut an den Schenkeln herunterlief.

Eine andere Schlange hatte einen Frosch am Hinterbeine gepackt, aber so schnell sie ihn auch aus der Luft zu sich herabzog, eben so geschwind war der Gefangene im Sträuben begriffen. Er ließ seiner grausamen Feindin durchaus keine Zeit, sich seiner so zu bemächtigen, daß er nimmer von ihr sich hätte befreien können. Nach einem fünf bis sieben Minuten langen Ringen hatte er den Preis davon getragen; seine Bewegungen waren so heftig und lebhaft gewesen, daß die Schlange weder mit dem Zahne ihn hatte fest anbeißen können, noch war es ihr möglich geworden, das gefangene Bein hinunterzuwürgen. Sie mußte ihm also seine Freiheit lassen. Leider konnte der arme Schlucker sich derselben nur so lange erfreuen, als ein Sprung dauert, denn ein zweiter lieferte ihn in den Rachen einer andern Schlange, die glücklicher als die erste ihn mit wahrem Heißhunger verschlang. Jene aber, obgleich sie ihr Opfer verloren hatte, lenkte unsre Aufmerksamkeit von Neuem auf sich. Ihr Gebühren nach dem Kampfe war so verschieden von dem anderer Schlangen in gleichem Falle, daß wir den Blick nicht von ihr wendeten. Man konnte nicht entscheiden, war es eine Art von Krampf, der ihren Rachen in Folge des festen Zupackens befallen hatte, oder war es Aerger, wenn nicht Wuth über den erlittenen Verlust, kurz, sie richtete sich mit ihrem Oberkörper sehr oft gerade in die Höhe Und sperrte das Maul entsetzlich weit auf. Dies war uns eine neue Erscheinung, der wir an andern Nattern in ruhigem und gewöhnlichem Zustände noch nicht begegnet waren, denn wenn sie auch sehr häufig ihre Zungen frei spielen lassen, so öffnen sie den Rachen dabei keineswegs. Und nur einmal hatten wir Gelegenheit, dieses Sperren zu beobachten, als eine Kreuzotter, bekanntlich eine giftige Schlange, an dem Kopfe so festgehalten worden war, daß sie trotz aller Anstrengung denselben nicht rühren konnte. Losgelassen gerieth sie in eine solche Wuth, daß sie sich hoch emporrichtete, den Rachen weit öffnete, ihr Verderben drohendes Zischen deutlich vernehmen ließ und mit den glühenden Augen den Feind suchte, der sicher seinen Angriff hätte büßen müssen, wäre ihr in dem wohl verwahrten Behältniß nicht die Möglichkeit genommen gewesen, Rache auszuüben.[1]

Eine dritte Schlange endlich hatte sich den Kopf nach unten, so daß der Oberkörper auf der Mitte des Felsens lag, um diesen herumgeschlungen. Zu bemerken ist, daß der Stein am Fuße so breit wie das ganze Behältniß ist und sich von da ein gleichschenkliches Dreieck bildend spitz nach der Decke erhebt. Dadurch wird der Raum zwischen demselben und dem Drahtgitter nach oben immer breiter; ein wenig unterhalb der Mitte ist er auf der Seite, wo die Schlange lag, etwa so breit als eine Hand. Hierher hatte sich ein verfolgter und durch das Bassin glücklich entkommener Frosch geflüchtet, und lange Zeit saß er von seinen bestandenen Strapatzen sich erholend unangefochten neben dem Kopfe seiner gefährlichen Gegnerin. Sein Unglücksstern ließ ihn den Vorsatz fassen, wieder vom Felsen herabzuspringen, und um dies nicht rückwärts mit einem Purzelbaume bewerkstelligen zu müssen, gab er seinem Körper die Richtung ein wenig seitwärts. Unbeweglich blieb die Natter liegen. Kaum aber halte er sich zum Sprunge erhoben, so schoß sie ihm pfeilschnell nach und packte ihn gerade zwischen den Hinterschenkeln. Sofort ließ das unglückliche Schlachtopfer, das jedenfalls sehr fest und derb gebissen worden war, seinen kläglichen Noth- und Todesschrei weithin vernehmen. Zugleich aber ergriff er Rettungsmaßregeln, bei denen ihn in dem Falle, daß er leichter gefaßt gewesen wäre, das Terrain wesentlich unterstützt haben würde. Er konnte sich nämlich mit den beiden rechten Beinen am Drahtgitter und mit den beiden linken am Steine festklammern, und das that er mit solchem Erfolg, daß die Schlange alle ihre Kräfte vergebens aufbot, ihn aus dieser Stellung herauszureißen, denn ihre Bewegungen während

  1. Ueber die diesen Thieren inwohnende Tücke und Bosheit, jedenfalls wegen der geraubten Freiheit, machte uns der freundliche Wirth folgende Mittheilungen. Die Kreuzottern seien in der Gefangenschaft nicht durchzubringen, weil sie lieber aus Hunger sterben, als daß sie die ihnen gebotene Nahrung annehmen. Zwei alte Mäuse mit ihrer zahlreichen Nachkommenschaft seien, in den Schlangenkasten gesetzt, zwar von ihnen ganz leicht gebissen worden, worauf sofort der Tod erfolgt wäre, aber keine von den Schlangen habe Miene gemacht, auch nur eins der getödteten Thiere zu verschlingen. Sie seien später selbst gestorben und andere, die er sich habe bringen lassen, hätten bis jetzt eben so wenig Nahrung zu sich genommen und wollten wahrscheinlich auch dem Hungertode erliegen.
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