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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

wurden. Die unpoetische Phantastik des Mittelalters zeigt sich am schlagendsten in den Schnabelschuhen. Hier konnte man der Natur denn doch nicht widerstreben, eben so wenig Mönche und Nonnen die Ordensregeln zu halten vermochten, und wie die Ehelosigkeit gelobenden Ritter schlimme Krankheiten aus den Kreuzzügen mit heimbrachten. Man heftete an die Thurmspitzen der Schuhe silberne oder goldene Kettchen, und band die umgeklappte Spitze mit ihnen unterm Knie fest. Damit diese Schuhthürme aber nicht ohne Geläut blieben, befestigte man an sie Glöckchen und klingende Schellen, so daß man die Stutzer kommen hörte, ehe man sie sah. Sobald man einmal Geschmack an solcher Geschmacklosigkeit gefunden hatte, legte man sich um den Leib und an die Rockschleppen Schellen und Glöckchen, bedeckte den Schuhschnabel mit angemalten oder eingestickten Figuren, trug an dem einen Bein einen rothen Schuh und dazu ein blaues Hosenbein, am andern Fuß einen blauen Schuh und dazu ein rothes Hosenbein, und verband endlich Schuhe und Hosen zu einem Stück.

Ein feiner Herr des 13. und 14. Jahrhunderts ging wie ein Hanswurst, sein Aeußeres war die bis zur Spitze getriebene Phantastik. Neben der Komik dieses ritterlichen Staates fehlt es auch nicht an tragikomischen Scenen. Denn als Leopold von Oesterreich 1386 zu Fuß gegen die Schweizer bei Sempach kämpfen wollte, hieben sich die Ritter die hemmenden Schuhschnabel ab, Einer aber hieb sich aus Ungeschick in’s Bein, hackte sich einige Fußzehen ab, fing darob an „bitterlich zu greinen, steckte sein Schwert in die Scheide und kehrte heim.“

Der Luxus der Schnabelschuhe rief aber auch eine heftige Reaktion hervor; Reichstage erließen strenge Verbote, Magistrate schritten mit polizeilichen Kleiderordnungen ein und setzten hohe Strafen darauf, wenn Jemand über seinen Stand hinaus sich kleidete, vor Allem aber donnerten die Geistlichen von den Kanzeln, und schleuderten Kirchentage den Bann, denn es stand fest, daß die Schnabelschuhe „vom Teufel stammten, daß sie eine Sünde wider die Natur, eine Beleidigung des Schöpfers, ein Spott Gottes und der Kirche“ wären. Die Vornehmen fügten sich nach und nach, aber die Handwerksburschen rebellirten, als ihnen verboten wurde, einen schwarzen und einen weißen Schuh zu tragen, wie denn die Schustergesellen auch das Recht hatten, im Zweikampf sich zu boxen in Gegenwart von vier Altgesellen und unter Ceremonien, wie sie bei den blutschauenden Paukereien der Studenten noch Sitte geblieben sind, seit selbst „die Schuhknechte“ sich civilisirt haben. Außer diesen Verdrießlichkeiten mit der Polizei und Geistlichkeit, welche sich die Zucht des Volkes in väterlicher Sorglichkeit stets gern zu Herzen nahm, hatten die Schnabelschuhe einen unbarmherzigen Gegner in dem Schmutz der ungepflasterten Straßen. Um diesem zu trotzen, schnallte man hölzerne Sohlen unter die Schuhe, welche dem Holzschuh eines Schlittschuhes ganz ähnlich waren, und konnte nun tapfer durch den Koth waden.

Als die Herrlichkeit des Ritterthums sank, als die ritterlichen Herren zu gemeinen Straßenräubern, ihre Mannen zu einer Räuberbande wurden, da schrumpfte auch der Schnabelschuh zusammen. Kunst, Bildung und Wissenschaft kam in die Hände der Bürger, welche sie mit hausbackner Nüchternheit und nach Nützlichkeitsrücksichten trieben. Da verwandelte sich der ritterliche kühne Schnabelschuh in ein Ochsenmaul oder eine Bärentatze oder einen Entenschnabel, wie man die Schuhe nannte, die vorn mit einem unschönen Wulst, endigten. Dieser Schuh ist das Symbol der Plattheit und Plumpheit des engherzigen Spießbürgers, denn das Ochsenmaul, von Leder, Zeug und Eisen gemacht, mußte hinten ganz eng und spitz, vorn ganz breit sein, wobei man durch Ausstopfen nachhalf, um auf einen, „großen Fuße leben zu können.“ Doch bald ward dieser übermüthig, üppig, luxuriös, brachte die bis zum Knie reichenden Pluderhosen auf, zu denen mitunter 200 Ellen Zeug verwandt wurden, trug einen Wamms mit Puffärmeln



und versah auch die Schuhe mit Schlitzen und Puffen, Stickerei und Zierrath, bis auch hiergegen Polizei und Geistlichkeit sich erhoben, da man auf die Puffschuhe oft noch Hörner setzte. Sogar Frauenpantoffeln mit hoher schlittschuhartiger Sohle durften nicht ohne die beliebten Puffen sein.

In Italien trugen die Frauen bei kurzen Röcken spannhohe gestickte Kothurne oder Stolperschuhe oder auch Pantoffeln, die auf einem drei Fuß hohen breiten Stelzenabsatz ruhten, der unter der Mitte der Sohle stand, so daß mancher junger Ehemann seine hochgewachsene Braut sich in eine kleine Frau verwandeln sah. Griechinnen trugen gar zwei schmale Brettchen als Stelzen unter jedem Schuh.

Das phantastische Mittelalter mit seinen spitzen Thürmen und zierlichen Erkern an den Giebeln fand sein Abbild in den Schnabel- und Puffschuhen, die solidere bürgerliche Periode der Innungen schafft den bequemeren Schuh, verfertigt ihn aus Leder und versucht während des dreißigjährigen Krieges den ersten Stiefel, den wallensteiner oder schwedischen Stiefel. Vom Knöchel ab reichte er trichterförmig bis zur halben Wade, indem er kühn und verwegen um den Fuß sich rundete und gewaltige Sporen trug. Stutzer faßten den obern Rand mit Spitzen und Borden ein. Später artete er zum Stülp-, Kanonen- und Wasserstiefel aus. Nach dem dreißigjährigen Kriege kehrte man zum Lederschuh zurück, den man mit einer Schnalle oder Bandrose zierte. Als aber die Zopfperiode des absoluten Königsthums begann, der Rococco- oder Renaissancestyl, der die Natur zur Karrikatur verzerrte, als bei Männern lange, zottige Perrücken, bei Frauen thurmhohe Frisuren, als Reifröcke, Schönpflästerchen, Brocatwesten, gekräuselte Busenstreifen, Schnürbrüste und dergleichen Marterwerkzeuge Mode wurden, machte man auch aus dem Schuh eine Karrikatur, eine Mißhandlung der Natur.

Es wurde der Steckelschuh getragen, auf dessen schmales Oberleder goldene Figuren gepreßt waren, und unter den schwarzen Schuh setzte man einen zollhohen, rothen, hölzernen oder mit Leder überzogenen Absatz, der nicht unter der Hacke, sondern unter der Höhlung des Fußes stand. Dieser Unform mußten sich sogar die Galloschen fügen, die in einem pferdehufartigen Futteral der Zehen bestanden, und durch einen Riemen hinter der Ferse befestigt wurden. Aber nur der vornehmen Welt war es erlaubt, solche unbequeme Schuhe zu Kniehosen und Frack zu tragen, der seinen Ursprung unzüchtiger Geilheit französischer Maitressen verdankt. Der ehrsame Bürger ging in Schnallenschuhen, langem Rock und Kniehosen.

Die Revolution endlich schaffte der Natur wieder ihr Recht, stellte Sitte und Staat auf naturgemäße Grundlagen, beseitigte Puder und Perrücke, ließ das natürliche Haar wachsen, entfernte sinnlose Privilegien, schnitt die Zöpfe ab, hob die Leibeigenschaft auf, erkannte dem Talent und dem Verdienst das Vorrecht vor Geburtsadel an, und machte den Stiefel zur Fußbekleidung des Mannes, wobei sie ihn der Natur des Fußes anpaßte, und Bequemlichkeit neben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_575.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)