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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Sei ruhig, Kamerad,“ sagte er leise, „Du bist ohne Schuld. Mir ist recht geschehen! Ich hab’s verdient und Dir vergebe ich!“ – Er schwieg eine Weile erschöpft. „Hier nimm die Uhr,“ sagte er dann – „ich schenke sie Dir – vergiß mich nicht! Das Geld hier schicke meiner alten Mutter, und grüße sie von ihrem Sohne. Lebt Alle wohl! Kamerad,“ fuhr er leise fort, und zog mein Ohr an seinen Mund, daß die Sekundanten nicht hören sollten, was er sprach, „und wenn Du heim kommst nach meinem Städtchen, da grüße mir mein Aennchen und sag’ ihr nicht, warum ich gestorben. Leb’ wohl! Leb’ wohl! … Ade, Aennchen!“ „Er zuckte noch einmal und war nicht mehr. Wir begruben ihn still und unter vielen Thränen, denn er war immer ein guter Kamerad gewesen, auf den man sich verlassen konnte, und schlichen düster in unsere Quartiere. Kaum dort angekommen, tönte auch schon die Lärmtrompete, das Regiment mußte aufsitzen, wir stürmten eine feindliche Batterie, ich sprengte immer voraus, und verdiente mir das Kreuz hier, aber den Tod, den ich suchte, fand ich nicht. Als wir heimkehrten, kaum die Hälfte von denen, die ausgerückt waren, fehlten die beiden Sekundanten, und auch von meinem armen Kameraden aus Sachsen hieß es, er liege draußen vor der Batterie. Ich wußt’s halt besser, schwieg aber, und sonst war Keiner mehr, der mich verrathen konnte.

„Das Geld habe ich redlich an die Mutter besorgt, und auch noch einen Thaler von meinem Ersparten hinzugelegt. Die Uhr trage ich heute noch. Es war ein ehrlicher Kampf, wie er unter Soldaten sein muß, und ich hatte mein Möglichstes gethan, ihn zu verhindern. ’S war aber doch mein bester Freund, den ich niedergeschossen, und ich konnte das brechende Auge nicht vergessen und den letzten Gruß, und fand keine Ruhe bei Tag und Nacht. Die Braut ist halt auch gestorben in Gram und Jammer, seine und meine Mutter liegen längst begraben, ich allein, die alte morsche Eiche, kann nicht absterben und muß ewig fortleben. O junger Freund, hinter der blau-rothen Jacke, da steckt viel Jammer und viel Elend begraben.“ –

Der Alte schwieg jetzt und strich sich wieder den Bart. Ich schwieg auch, weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Still und lautlos schritten wir durch die friedliche Nacht, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Plötzlich, als schämte er sich seiner Rührung, nahm des Alten Antlitz einen andern Ausdruck an, er fuhr einige Male mit der flachen Hand über die Augen, und nicht lange, so pfiff er wieder ein lustig Soldatenlied.“

Das ist so die echte Soldatenmanier!

Während Sommer so erzählt hatte, waren wir unbemerkt durch ein Gebüsch verdeckt über die Postenkette hinausgeschritten und längs derselben hingegangen, ohne an das Verbot zu denken, sich weiter als fünfzig Schritte von der Feldwache zu entfernen.

Die Nacht war so dunkel, daß wir vergebens nach dem Pfade suchten, der uns glücklich und unbemerkt durch die Wachen geführt hatte, nirgend war ein betretener Weg, und so blieb uns denn am Ende nichts übrig, als auf gut Glück dem hellen Scheine zuzuschreiten, den das Feuer der Feldwache durch die Nacht warf.

„Dumme Geschichte, die ich da mit meinem Erzählen angerichtet,“ brummte der Alte in den Bart. „Wenn uns ein Posten erwischt, sind uns drei Tage Mittelarrest so sicher, wie Amen in der Kirche.“

Vorsichtig, das weiße Lederzeug, das uns verrathen konnte, mit den dunkeln Sacktüchern bedeckend, schritten wir langsam vorwärts, rechts und links nach den gefürchteten Posten spähend. Wir hatten Beide den Tschako abgenommen. Ein mannshoher Graben, der nach der Richtung des Feuers hinlief und glücklicherweise ausgetrocknet war, nahm uns schützend auf; leise, ohne ein Wort zu sprechen und nach jedem Tritte horchend, bewegten wir uns weiter.

„Halt! Wer da?“

Wir standen wie die Mauern. Zwanzig Schritte vor uns schlug ein Posten an.

„Legen Sie sich platt auf die Erde nieder,“ flüsterte Sommer. „Ruhig – um Gotteswillen kein Geräusch!“

„Wer da? Antwort oder ich schieße!“ tönte es wieder.

„Ruf in’s Teufels Namen,“ knirschte Sommer. – „Ein Dummkopf, wer hier Antwort gibt.“

Wir hörten den Hahn spannen und den Nebenposten rasch zur Feldwache laufen, um das Vorgefallene zu melden. Hier galt es raschen Entschluß.

„Das Koppel festgehalten,“ flüsterte Sommer wieder; „wir müssen auf den Knien vorwärts rutschen. Der Posten ist verteufelt munter! Nehmen Sie sich zusammen – hier gilt’s! Der Posten darf uns nicht sehen! Sind wir ’mal durch die Kette, richten wir uns sorglos in die Höhe und geben uns für eine Schleichpatrouille aus. Haben Sie Feldgeschrei?“

„Nein, ich war ausgetreten, als es gegeben ward.“

„Teufel, das ist dumm, ich weiß es eben so wenig! Doch vorwärts, biegen Sie die kleinen Büsche ohne Geräusch zurück und machen Sie Bahn. Die Pantalons werden freilich den Rest kriegen.“

Auf den Knieen, mit Händen und Füßen arbeitend, jeden Augenblick die Haut an dem Reisig blutig ritzend, rutschte ich langsam der Kette zu, Sommer hinter mir, von Zeit zu Zeit einen leisen Fluch in den Bart murmelnd. Der Graben machte eine kleine Biegung, wodurch wir uns weiter von den Posten entfernten und mehr gedeckt waren, Sommer stieß bereits einige Jubeltöne aus und mahnte zur Eile. Plötzlich hielt er inne und horchte.

„Verdammt! ich höre Pferdegetrappel,“ flüsterte er. „Ruhig, keinen Schritt weiter! Den Kopf auf den Boden! Haben Sie das Lederzeug noch bedeckt?“

„Die Brust, ja.“

„Gut, so legen Sie sich auf den Rücken, damit uns die Musketierfarbe nicht verräth! Haken Sie das Bandelier aus!

So! Und nun schieben Sie die Tasche vor – zum Teufel aber leise – und nehmen Patronen und Regenpfropfen heraus, damit uns das Klappern nicht verräth! Still, sie kommen!“

Als wenn ich im Sarge läge, so steif und starr streckte ich mich im Graben und sah die Sterne an, die jetzt freundlich über uns blinkten. Das Herz hämmerte unter der Uniform, als läg’ ich im Fieber. Jeden Augenblick kamen die Reiter näher, ich fühlte, wie die Erde unter den Tritten ihrer Pferde dröhnte und zitterte. Sommer lag ganz ruhig und hatte sogar das Fluchen eingestellt.

Jetzt waren die Reiter ganz in unserer Nähe und hielten wenige Schritte vom Graben. Es waren, wie ich aus einem flüchtigen Seitenblick bemerken konnte, ihrer drei, tief in Mantel gehüllt. Mit näselnder Stimme gab der Eine mehrere Befehle, die der Zweite jedesmal mit einem: „Sehr wohl – sehr wohl“ beantwortete.

„Der Alte auf der Hippel,“ flüsterte Sommer neben mir.

„Na, das wird eine saubere Geschichte.“

Das schien mir auch so, und eine leise Ahnung von Standrecht und Mittelarrest fuhr mir durch den Kopf.

In demselben Augenblicke lief ein Käfer über meine Wange und suchte, wahrscheinlich in dem falschen Wahne, meine Nase sei ein gutes Nachtquartier, das eine meiner beiden Nasenlöcher zu gewinnen. Ich schüttelte mit dem Kopfe, pustete, blies mit Mund und Nase zugleich, nichts half, das teuflische Thier blieb trotz aller Anstrengung an meiner Nasenspitze, hakte mit seines langen Füßen in die tiefsten Gründe meiner Riechinstrumente hinein und – ich konnte mir nicht helfen, der Reiz war zu heftig – ich nies’te.

„Oho, was ist denn das? Donnerwetter, wer liegt hier,“ kreischte der Alte auf der Hippel. „Ordonnanz absitzen! Festhalten die Kerls! Was machen die Bestien hier? Tschako oder Mützen?“

Die Ordonnanz stieg ab und wir standen auf. Wie ich aus dem Graben gekommen, meinen Tschako aufgesetzt und das Lederzeug wieder in die vorschriftsmäßige Lage gebracht, weiß ich heute noch nicht, doch stand ich bald neben Sommer, der sich ebenfalls aus dem Graben herausgewunden, kerzengerade ohne ein Wort zu sprechen.

„Tschako!“ referirte die Ordonnanz. Das Armeekorps war nämlich in zwei Abtheilungen formirt, wovon die eine, mit Mützen bekleidet, den Feind vorstellte. Wir trugen Tschako’s.

„Donnerwetter!“ fluchte der Alte, „hier über der Postenkette Tschako’s! Wer sind die Kerls! Stillgestanden! Handballen auswärts! Sechs Wochen strengen Arrest, wer sich rührt! Wart, ich will Euch kriegen! Von welchem Bataillon?“

„Zweiten Bataillon, fünfte Kompagnie, Herr Oberstwachtmeister,“ meldete Sommer kerzengerade und steif, wie ein Wegweiser.

„Donnerwetter, von meinen Leuten! Das ist ja eine verfluchte Affaire! Fünfte Kompagnie, Hauptmann Müller – na, wart – wart – Euch will ich strietzen, daß die Haare ausfallen. Wie heißt Ihr ?“

„Sergeant Sommer und der Freiwillige K.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_591.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)