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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Religion habe! Sehen Sie, Gérard, das ist curioser Weise das Ende von mir, daß ich zuletzt wie eine Reliquie betrachtet werde.“

Es konnte mir nicht entgehen, daß sich Heine von den Besuchen der deutschen fahrendnn Literaten keinesweges erbaut fühlte. Ich nahm deshalb sogleich Gelegenheit, ihm zu versichern, daß ich meinestheils nur auf Wunsch von Gérard diesen Besuch mir gestattet hätte.

„Glauben Sie doch, daß meine Freunde mir schon viel Unangenehmeres zugeführt haben, als Besuche. Ich bin heute überdies Jedermann dankbar, wenn er mir die Zeit vertreiben hilft. Wenn es nur anständig wäre, des Nachts Besuche zu erhalten! – Ah, des Nachts!“

Heine seufzte bei diesen Worten. Auf die Frage Gérard’s nach seinem Befinden entgegnete er fast klagend: „Der Doktor Gruby ist ein Tyrann; er gibt mir nichts, daß ich nur während einer einzigen Nacht die Wohlthat eines Schlummers genießen könnte. Es wird bald so weit kommen, daß ich das Schlafen verlerne.“

In der That mußte Heine bei diesen Gedanken die Grausamkeit seines Zustanden entsetzlich erscheinen. Stets allein mit seinen Schmerzen, war die Nacht, wo Alles Ruhe findet und wo die schwarze Königin den Silberthau aus ihrem Rabenhaar belebend auf alle Blumen, alle Wesen drückt, für ihn eine qualvolle Marter. Kein Schlummer küßte diese müden Augen, kein Licht durfte die Pein dieses Elends lindern. Luft und Licht waren für ihn keine Elemente mehr und er löste das Räthsel, sieben Jahre lang fast ohne sie zu existiren.

Gérard theilte ihm darauf mit, daß er binnen einigen Tagen nach Weimar zu reisen gedenke.

„Sie Glücklicher,“ antwortete Heine mit einem Seufzer; „dies Deutschland habe ich mehr geliebt, als vernünftig war. Hoffentlich werde ich nicht die Dummheit begehen, dort zu sterben! Wollen Sie mir bei Gelegenheit ihrer Reise einen Gefallen thun, so fragen Sie doch in Deutschland an, in welchem Glauben man am besten stirbt. Ich beschäftige mich jetzt sehr ernstlich mit dieser Frage und die deutschen Philosophen scheinen etwas davon zu wissen; denn seit einiger Zeit hört man von ihnen nichts mehr.“

Mich wunderte es, daß Heine dies Alles mit fast ausdruckslosem Gesicht und mit einer abgerissenen, wenn auch wohltönenden Stimme bisher gesprochen hatte. Ohne besondere Theilnahme erzählte er noch über eine Stunde lang mit uns von allerhand ziemlich gleichgültigen Sachen. Plötzlich jedoch nahmen seine Züge einen Ausdruck von unverkennbarer Freude an.

„Ehe Sie abreisen, Gérard, suchen Sie mir noch meine Clélie auf. Nicht wahr, Sie versprechen es mir? Die kleine drollige Katze ist seit vierzehn Tagen nicht hier gewesen; sie mag sich vielleicht einen Liebhaber vom Ambigu verschafft haben; sagen Sie ihr aber nur, daß ich ihre Gastrollen nicht übelnehme und daß ihr kranker Henri mehr wie je nach ihr schmachtet.“

Ich gestehe, daß mich diese Worte seltsam überraschten; Fräulein Clélie war, wie ich später erfuhr, eine Schauspielerin vom Ambigutheater und eine derjenigen, welche aus früherer Zeit her noch eine Anhänglichkeit an den jetzt kranken Geliebten bewahrt hatte.

„Bringen Sir sie her, Gérard,“ fuhr Heine fort, nachdem dieser ihm versichert, daß er seinen Wunsch erfüllen werde; „es gibt kein Mädchen, welches so drollig wie sie ihre Lebensaffairen erzählt. Wissen Sie noch, Gérard, wie lustig es war, als sie uns erzählte, daß sie ihrer Adrienne den Kapitain der Nationalgarde weggekapert habe?“

Gérard lächelte; aber dies Lächeln tanzte auf bleichen Lippen. – „Adrienne war die Jugendliebe Gérard’s de Nerval, die er niemals vergessen hatte und welche vielfach dazu beigetragen hatte, daß er, in einer sanften Melancholie versunken, krank am Herzen und am Geiste war. Adrienne wurde später eine ziemlich frivole Sängerin, nachdem sie zuerst Nonne gewesen war; Beides erschütterte den armen Gérard, und als sie endlich plötzlich starb, starb auch ein Traum in seiner Brust und es blieb ihm nichts, als auf dem Grabeshügel desselben verstohlen zu seufzen und zu weinen.“ Daß Heine ihn jetzt daran erinnerte, mußte ein bitterer Schmerz für sein weiches, melancholisches Gemüth sein; aber Heine liebte es, seinen Freunden Stiche zu versetzen und prüfte ihre Freundschaft durch die Witze, welche er über sie machte; „denn,“ sagte er, „wozu hat man seine guten Freunde, wenn diese sich über einen Witz erzürnen wollen?“

Eine, wenn auch nur kleine Probe von dieser Theorie hatte ich eben gehabt; Gérard erzürnte sich auch keineswegs, sondern machte seinerseits eine Glosse darauf, welche Heine ein herzliches Gelächter ablockte. Die innere Welt dieses Schriftsstellers war fast immer den profanen Augen der Welt verborgen; er war geisteskrank seit langen Jahren und doch ließ es keine seiner Schriften jemals errathen.

Heine nahm während dieses Besuches auch eine Anzahl loser beschriebener Blätter von seinem vor ihm stehenden Tische und gab sie Gérard mit der Bitte, ihm die Verse zu übersetzen.

„Das große Gedicht,“ sagte er, „will ich zuerst in der Revue des deux Mondes veröffentlichen; verfehlen Sie mir aber nicht die richtigen Schimpfworte zu setzen, da sie deutlich sein müssen, weil sie Deutschland angehen. Es gibt da eine Menge von Hunden, welche mich anbellen und die Handlanger von Schurken abgeben; diese letzteren besonders müssen einmal wieder gedruckt sehen, daß ich noch schreiben kann. Das Geheul dieser Sorte, wenn meine Peitsche sie getroffen hat, wird mir so wohl thun, wie eine Serenade.“

Auf jenem kleinen Tische vor Heine’s Bett lagen noch mehrere beschriebene Papiere, so wie ein Stoß loser weißer Octavblätter. Im Anfange seiner fürchterlichen Krankheit war der Unglückliche nicht mehr im Stande gewesen, schreiben zu können; der Schlagfluß hatte ein jedes seiner Glieder vollständig gelähmt. Dem vortrefflichen Arzte, Dr. Gruby, war es endlich gelungen, dem Dichter mindestens den Gebrauch seiner Hände zurückzugeben, so daß er die vielen einsamen Stunden mit dem Aufschreiben seiner Gedichte verkürzen konnte. Auf einem künstlich über seine Bettdecke ausgespanntem Pulte malte Heine mit Bleistift seine Verse mit fast zollhohen Buchstaben auf die weißen Blätter, so daß ein jedes dieser genau paginirten Papierstreifen kaum mehr als einige Zeilen enthielt. –

Endlich verabschiedeten wir uns.

Kaum waren wir einige Schritte auf die Straße hinaus getreten, als ein Wagen an uns vorbeifuhr, in welchem eine höchst sauber gekleidete, freundliche und ganz hübsche Frau von ziemlich starkem Körperbau saß. Ihre Augen glichen denen einer Schwalbe; aber der Witz, den man darin las, verbleichte etwas vor der kleinen Stirn und dem starken Munde, so daß die Physiognomie jener Dame den Eindruck eines jener gutmüthigen und harmlosen Charaktere machte, welche entweder für jede Kleinigkeit sich lebhaft zu interessiien, oder für Nichts auf der Welt innige Theilnahme zu fühlen pflegen.

„Voilà madame Heine!“ rief Gérard mir zu.

Ein freundliches Kopfnicken hatte unserem Gruße geantwortet. Unwillkürlich sah ich dem Wagen nach, bis er vor dem Thorweg des Hauses hielt, in welchem Heine wohnte. Dies war also die Auserwählte jenes Mannes, welcher so viel geliebt und so viel über die Liebe gespottet hatte!

„Nun,“ fragte ich Gérard, „und wie lebt Heine mit seiner Gattin?“

„Ah que ça,“ erwiederte sein Freund lächelnd, „c’est un jeu de famille, comme il dit!“

Mein Aufenthalt in Paris war keineswegs ein bloßer Besuch, den ich durch Aufsuchung von allerhand Kuriositäten und Sehenswürdigkeiten etwa zu verwerthen trachtete. Ich wohnte dort und hoffte dort für immer zu Hause zu sein. Ich hatte demnach auch bisher nicht daran gedacht, ein lebhafteres Interesse für den ebenfalls dort wohnenden Heine zu haben, als eben seine Werke hervorriefen. Nach dieser sich so zufällig gestalteten Visite bei dem kranken Dichter fühlte ich aber ein so reges Gefühl der Theilnahme, daß ich mich vielfach nach Heine’s Verhältnissen bei Gérard erkundigte, der auch mit aller Bereitwilligkeit meine Fragen beantwortete.

Heinrich Heine bezog, nach den Mittheilungen Gérard’s, eine Summe von 6000 Franks jährlich von seiner Familie und eine eben so große von seinem Verleger Campe, wofür dieser das Verlagsrecht von allen seinen bei Lebzeiten von ihm herauszugebenden Werken besaß. Diese Summe genügte aber keineswegs für die Bedürfnisse Heine’s; am Ende des Jahres hatte er gewöhnlich noch einige Tausend Franks Schulden. Einige Damen, welche früher mit dem Dichter in vertrauten Verhältnissen gestanden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_614.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)