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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Polizei, Justiz, Galgen und Rad zu führen. Helfen Sie nun auch retten.“

„Wie? In welcher Weise, mein Herr?“

„Daß doch dir Welt immer aufgeregt sein muß. Auch Sie, eine so verständige Dame! Aber es ist nun einmal so. Wo ist Ihre Schwester Loulse?“ „In dem Zimmer dort.“

„Allein?“

„In diesem Augenblick.“ „So benutzen Sie diesen Augenblick. Werfen Sie ihr ihren Shawl um, setzen Sie ihr einen Hut auf, lassen Sie sie Handschuh und Sonnenschirm nehmen, und führen Sie sie zu mir herunter in den Garten des Hauses.“

„Aber zu welchem Zweck?“

„Zum Teufel, um Thilo zu retten!“

„Aber ich sehe nicht ein –“

„Sie sollen nur handeln.“

„Kann ich Ihnen vertrauen?

Der Herr Klein stampfte mit dem Fuße.

„Sehe ich denn aus wie ein Spitzbube?“

„Ja,“ wollte ihm Fräulein Charlotte antworten, aber sie kehrte in das Zimmer zurück. „Wir kommen,“ sagte sie im Gehen.

Der Herr Klein stieg ruhig wieder die Treppe hinab, und ging unten in die Wirthsstube. Dort saß noch der verkleidete Handwerksbursch mit seinem Zahnweh. Es stand auch noch der erst zur Hälfte ausgetrunkene Schoppen Wein des Herrn Klein da. Der alte Polizeidiener war fort, dagegen saß ein Nachtwächter mit seiner langen Pike da, aber fest eingeschlafen. Der Herr Klein leerte seinen Schoppen; dann gab er dem Handwerksburschen einen Wink, und verließ die Stube. Der Herr von Thilo folgte ihm mit seinem Ränzel; er schien nur auf den Herrn Klein gewartet zu haben. Der Herr Klein führte ihn in eine Laube des Gartens hinter dem Hause. Es war zehn Uhr Abends vorbei; eine späte Zeit für das Landstädtchen. Der Garten war leer.

„Hast Du Kleidungsstücke in Deinem Ränzel?“

„Ja.“

„Kleide Dich um, so elegant als möglich. Du bist der Fürst Hohenstein; Du hast hier für zwei Wagen sechs Extrapostpferde bestellt; Du hast draußen vor der Stadt Deinen Wagen zerbrochen; Du bist aber sehr eilig; Du hast deshalb Deinen Kammerdiener Hartmann vorausgeschickt, Dir einen Wagen und zwei Pferde zu bestellen; Du bist ihm zu Fuße mit Deiner Gemahlin gefolgt; Deine Leute kommen später mit Deinem Wagen nach. Du reisest mit Deiner Gemahlin ab, nach Mainz; Du hattest zwar nach Würges gewollt, aber eine unvermuthete Nachricht hat Deinen Plan geändert. Dein Postzettel legitimirt Dich als Fürsten. Kein Mensch wird Dich nach Deinem Paß fragen, noch weniger den Galgenkandidaten in Dir vermuthen. So fährst Du weiter, direkt nach der belgischen Grenze. Drüben bist Du sicher. Du hast doch Alles verstanden?“

„Ja“

„Auch begriffen?“

„Nicht völlig.“

„Also auch ein begriffsloser Hegelianer. – Aber Du bist ja fertig, das ist die Hauptsache. Teufel, Du siehst wirklich aus wie ein junger Fürst, und bist ein Fürstenfeind! Seltsame Ironie des Schicksals. – Ah, da ist auch Deine Gemahlin. Komm zu ihr.“

Fräulein Charlotte führte die zur Reise gekleidete Schwester in den Garten.

„Thilo, nimm. den Arm der Dame; aber keine Umarmung. Fräulein, sind Sie bereit, diesen unvorsichtigen Menschen zu retten?“

„Was soll ich thun?“ fragte die bebende Louise.

„Vor allen Dingen nicht zittern. Sodann mit diesem Herrn in einen Wagen steigen, und mit ihm bis vor das Thor fahren.“

Die blasse Louise wurde mißtrauisch.

„Mein Herr, was ist Ihre Absicht?“

„Meinen Freund zu retten. Ich fahre übrigens mit Ihnen, und führe Sie hierher zurück.“

„Zögere nicht, Louise!“ bat ihre Schwester.

Die blasse Dame legte ihren Arm in den ihres frühern Verlobten.

„So, jetzt voran. Fräulein Charlotte, Sie müssen schon die Güte haben, noch eine Weile hier zurückzubleiben, um später unbemerkt in das Haus zu kommen. Auf Wiedersehen!“

Der Herr Klein verließ mit den Liebenden den Garten; er führte sie in die große Straße des Städtchens, in dieser nach dem Wirthshause zurück. In der Nähe des Hauses sagte er leise:

„Fräulein, Ihren Schleier herunter. Und Du, Thilo, die Reisemütze so tief in das Gesicht, wie möglich.“ Dann sprach er laut und gespreizt: „Ach, Durchlaucht, ich bitte unterthänig, keinen Dank. Es macht mich unendlich glücklich, Ihnen diesen kleinen Dienst erzeigen zu können. Ah, Ihr Wagen scheint schon fertig zu sein. – Herr Bürgermeister, oder vielmehr Herr Postmeister!“

Der Wagen hielt wirklich schon angespannt vor der Thür des Wirthshauses. Der Postillon saß auf dem Bocke; der Stadtgerichtsrath Hartmann stand als Kammerdiener an dem offenen Schlage. Neben ihm stand der Herr Heller, der als Postmeister und Posthalter nicht minder aufmerksam auf den Dienst war, wie als Bürgermeister. Der Herr Hartmann trat wie ein unverfälschter Kammerdiener, den Hut in der Hand, zu seiner Herrschaft.

„Ihre Durchlauchten können sogleich weiter reisen; es ist Alles besorgt.“

Er hob zugleich die Dame in den Wagen, half dem Assessor beim Einsteigen, und schwang sich selber auf den Bock neben den Postillon.

„Fort, Schwager!“

„Habe alleweil den Reisezettel noch nicht; der Herr Bürgermeister haben ihn noch.“

Der Herr Bürgermeister aber hatte mit einem sehr bedenklichen Gesichte den Herrn Klein auf die Seite genommen.

„Die Sache kommt mir verdächtig vor.“

„Haben Sie wirklich Verdacht?“

„Sie selbst machten mich auf den Bedienten aufmerksam.“

„Gewiß. Aber Sie haben ja doch das Signalement. Dieser Kammerdiener ist ein kleines, schmächtiges Kerlchen; der Verfolgte ist ein Riese gegen ihn.“

„Richtig. Aber –“

„Unter der nachfolgenden Dienerschaft wird er stecken. Da werden Sie genau aufpassen müssen.“

„Gewiß, gewiß! Ich meinte auch etwas Anderes. Der Mensch war so sonderbar, so –

„Verlegen?“

„Das nicht im Geringsten, aber so – beinahe frech.“

„Mit Steckbriefen Verfolgte pflegen nicht frech zu sein.“

„Es war eine so eigne Frechheit. Er war so verstockt; er wollte über nichts Auskunft geben; nicht wo der Wagen zerbrochen sei, warum sein Herr die Reiseroute verändert habe; er wollte nicht einmal von dem vorausgekommenen Courier etwas wissen.“

„Die Kammerdiener der vornehmen Herren sind überall grobe Schlingel. Uebrigens hat der Fürst, den ich zufällig auf dem Wege hierher traf, mir über Alles Mittheilung gemacht.“

„Sie kennen den Fürsten also?“

„Ich habe ihn auf dem Wege kennen gelernt.“

Der Bürgermeister machte ein langes Gesicht.

„Sie kennen ihn also nicht? Wenn es Betrug wäre! Dieser, dieser Fürst da ist so ein halber Riese. Alle Donnerwetter, da muß ich –“

„Keine Uebereilung. Was wollen Sie?“

„Ich muß seinen Paß sehen.“

„Teufel, und wenn sein Paß in Richtigkeit wäre? Mit Fürsten ist nicht zu spaßen!“

„Ich bin im Dienst.“

„Uebertriebener Diensteifer hat schon Manchem den Dienst gekostet. Aber wissen Sie was? Ich werde mich unter irgend einem Vorwande bis zum Stadtthore mit in den Wagen setzen. Ich werde es dann schon herausbekommen.“

„Da fällt mir ein Stein vom Herzen,“ sagte der alte Unteroffizier, reichte dem Postillon den Postzettel zu, und kommandirte selbst: „Fort, Schwager!“

Der Herr Klein hatte unterdeß ein paar Worte in den Wagen hineingesprochen, und war dann eingestiegen. Der Wagen fuhr ab.

„Nun, mein Fräulein,“ sagte der Herr Klein zu der Dame, „ein paar ernste Worte mit Ihnen; aber werden Sie mir nicht aufgeregt, wie die Andern. Wollen Sie freiwillig oder gewaltsam entführt werden? Sie haben die Wahl.“

Die blaffe Louise erbebte wieder.

„Die Abrede war, ich sollte nur bis zum Thore mitfahren.“

„Der Mensch denkt, Gott lenkt. Ich bitte um Ihre gütige Antwort.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_650.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)