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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Photo-Galvanographie.
Die neue Erfindung von P. Pretsch aus Wien in London.

Wir wissen, daß die Sonne Maler und die Elektricität Bildhauer geworden. Photographie und Galvanoplastik, welch’ junge, himmlische, zukunftreiche Kunstindustrieen! Sie heißen: Bildung, Schönheit, Lebensfreude in den Häusern und Hütten alles Volkes, Gebilde des Genius und der Wissenschaft, der Kunst und Poesie an allen Wänden, ein schöneres, interessanteres Leben auf dieser lieben Erde überhaupt, eine größere, allgemeiner zugängliche Fülle von Lebensbefriedigung und edlerem Genuß. Das himmlische Licht und der durch alles Leben still und schrankenlos hindurchzuckende Blitz sind als Künstler auf Erden noch jung, noch Anfänger. Man sieht’s ihnen aber schon an, daß was aus ihnen wird und wir mit ihnen. Wie wenn sie trotz Gewerberath und sonstiger weiser Leitung ein Kompagniegeschäft anfingen? Daß sie bluts- und charakterverwandt sind und schon einzeln und in Verbindung fast alle Wunder der Natur thun oder wenigstens die nöthige Beleuchtung (wenn auch nicht immer für uns) dazu liefern, ist bekannt genug. Aber wir meinen: Kompagnons so recht industriell durch Menschen. Nun das Neueste ist, daß sie’s schon sind. Sie haben mit Herrn Paul Pretsch, früherem Faktor der berühmten Wiener Staatsdruckerei, ein Kompagniegeschäft in London, 8 Holloway Place, Holloway Road, Islington, angefangen und eine ganze englische Kompagnie zur industriellen Ausführung dieser merkwürdigen Kombination von Photographie und Galvanoplastik als „Photo-Galvanographie“ gegründet. Sie nennt sich Patent Photo-Galvanographic Company „Patentirte Photo-Galvanographische Kompagnie“ und druckt jedes photographische Bild in genauen Wiederholungen des Originals, wie man Bücher druckt, jedes Bild überhaupt und zwar so, daß die gedruckten Kopieen noch unter der Lupe, dem Mikroskope genaue Wiederholungen des Originals bleiben. Wie wichtig dies nach einer Seite ist, davon gab die Anstalt schon einen schlagenden Beweis. Prinz Albert schickte ihr eine Originalzeichnung Raphael’s, die nur einmal vorhanden ist und deshalb einen fabelhaften Kunstwerth hat und respektive gar nicht mit Geld bezahlt werden kann. Die Anstalt vervielfältigte diese Handzeichnung durch den Pretsch’schen photogalvanographischen Druck so, daß das Original von Niemandem mehr herauszufinden war. Nur durch ein Zeichen auf der Rückseite war es zu erkennen.

Man kann mit der Erfindung von Pretsch den neuerdings aufgetretenen Naturdruck ohne Weiteres als Typographie gebrauchen und, was bisher nur durch Vermittelung des Holzschnitts, des lithographischen Steins, der Kupfer- und Stahlplatte mühsam, zeitraubend, kostbar und niemals ganz genau im Einklange mit dem Original durch den Druck vervielfältigt werden konnte, unmittelbar photographisch-typographisch vervielfältigen. Photographisch, man muß bedenken, was das heißt, namentlich bei Vervielfältigung von Gegenständen der höheren Kunst und tieferen Wissenschaft, wo es auf halbe Haarbreite von Linien und auf Hundertstel und Tausendstel einer Linie ankommt, wie in der Physiologie, Pathologie u. s. w. unter dem Mikroskope.

Der photogalvanische Druck vervielfältigt also, wie die Buchdruckerkunst, aber er druckt zugleich photographisch. Sogar die feinsten Nuancirungen der Farben werden durch bloße Druckerschwärze in Form der feinsten Abstufungen von Licht und Schatten wiedergegeben.

Die Erfindung ist das Ergebniß einer Jahre lang fortgesetzten Reihe von Experimenten in der Wiener Staatsdruckerei, wo Herrn Pretsch Mittel ungewöhnlicher Art zu Gebote standen. Merkwürdiger Weise wollte man sich nur in Wien nicht auf die große Frucht dieser Studien und Versuche einlassen, so daß Herr Pretsch, überzeugt von der Wichtigkeit und dem schönen Kulturwerth seiner Erfindung, sich veranlaßt fand, auszuwandern, wie eine ungeheuere Anzahl anderer deutschen Erfinder, deren Schöpfungen dann später in Deutschland, sehr oft unter englischen, amerikanischen, französischen Namen, mit Staunen begrüßt werden. Es ist im Sinne formeller Patent-Bureaux keine eigentliche Erfindung, weshalb sich auch z. B. Preußen geweigert hat, das in England, Belgien, Holland, Frankreich u. s. w. patentirte Verfahren des Herrn Pretsch für den „Staat der Intelligenz“ zu patentiren. Der feine Chemiker oder wissenschaftliche Photograph ist nämlich allerdings im Stande, mit großer Mühe, Sorgfalt, Vorsicht u. s. w. ein photographisches Bild nachzudrucken, aber blos als wissenschaftliches Kuriosum, ohne Werth und Ausführbarkeit für das praktische Leben. In der Anstalt von Pretsch druckt man aber solche Bilder wohlfeiler und leichter und in beliebiger Anzahl leichter, als Holzschnitte oder Lithographien. Das ist der himmelweite, praktische Unterschied.

Außerdem ist die Erfindung auch technisch durchaus „neu und eigenthümlich,“ um in der Patent-Bureausprache zu reden. Herr Pretsch, stets von der Idee geleitet, daß die typographische Vervielfältigungskunst, die eigentliche Schwingenkraft der Buchdruckerkunst, auch auf Werke der Kunst, der Photographie ausdehnbar sei, versuchte zunächst durch Aetzungen auf Metalle und Steine zu einem Ergebnisse zu kommen, aber ohne die Noth dabei, für verschiedene Tinten auch verschiedene Aetzungen wiederholen zu müssen, zu überwinden. Dabei kam er auf die Idee von der Möglichkeit einer photographischen Erzeugung von Relief- und Intaglio- Theilen (vertieften und erhabenen) auf einer zum Drucken anwendbaren Oberfläche, statt bloßer Licht- und Schattenparthieen. So gab er die Aetzungen mit Säuren auf und suchte photographische d. h. für das Licht empfindliche Flächen durch chemische Substanzen zu gewinnen, in welchen das Licht wirkliche Kupferstecherarbeiten verrichten könne. Diese chemischen Substanzen und deren Verhältnisse hat er gefunden. Wir haben eine Menge dieser blos von Licht und Elektricität geätzten Platten in allen möglichen Größen und für die verschiedensten Kunstgegenstände Abdrücke davon und die Originale gesehen und beide letztere durch scharfe Lupen mit einander verglichen. Diese Vergleiche unter dem Vergrößerungsglase erregen Erstaunen über die Graphirkunst der beiden großen Kompagnons: Licht und Elektricität. Köpfe und Figuren, wie Stecknadeln groß, werden auf den Originalen wie auf den Kopieen zu den herrlichsten, in jeder Linie, jeder Gesichtsmuskel klaren Gestalten. Das können zehn Schwertgeburth’s nicht in zehn Jahren in Kupfer stechen, was Sonne und Elektricität hier umsonst in zehn Tagen thun. Diese galvanographischen Platten, Kalotypen, unter dem bloßen Auge fein ausgeführten Sepia-Zeichnungen ähnlich, übertreffen Alles, was der höchste Künstler mit der feinsten Hand erreichen könnte.

Die vorbereitenden Prozesse zur Gewinnung photogalvanischer Platten sind ähnlich, wie die für den photographischen Prozeß auf Glas. Eine Glasplatte wird mit einer gallertartigen chemischen Mischung von Silber, Jod u. s. w., deren Verhältnisse wir des preußischen Patent-Bureaus wegen im Interesse des Erfinders nicht näher angeben, überzogen und getrocknet. Dann wird die so bekleidete Platte mit dem zu kopirenden Bilde in Verbindung gebracht und dem Lichte ausgesetzt, welches ein feines, schwaches Bild von letzterem auf erstere überträgt. Durch eine Waschung der Platte mit Borax tritt das Bild im Relief hervor. Mit Weingeist gewaschen und mit feinem Kopallack überzogen, in eine adstringirende Flüssigkeit getaucht und der Hitze ausgesetzt, entwickelt sie das Bild im vollen Relief und kann nun für Erzeugung der eigentlichen Druckplatte gebraucht werden. Auf galvanischem Wege gewinnt man nun leicht die verlangte Kupferplatte intaglio und von dieser zurück die Reliefplatte. Für den Druck von ungewöhnlich viel Exemplaren und wenn es außerordentlich schnell gehen soll, lassen sich leicht zwei, drei, vier bis fünf Platten machen und so mit jedem Drucke fünf Exemplare erzeugen, alle genaue Wiederholungen des Originals. Kurz man gewinnt Holzschnitte, Kupferplatten für den Druck ohne die Kosten und die Zeit, welche diese vermittelnden Künste in Anspruch nehmen und zwar Platten, an denen die feinsten aller Künstler jedes Atom des Originals genau wiedergeben.

Man kann auch gleich vom ersten Ueberzuge ein Intaglio- oder eingelichtetes Bild erhalten, statt des Reliefbildes. Das Verfahren dafür ist sehr einfach. Durch Auftragung von Druckerschwärze auf das Intagliobild kann man es sogleich auf Stein oder Zink übertragen und dann damit in gewöhnlicher Weise drucken.

Die bisher gedruckten photogalvanographischen Bilder, obgleich noch den ersten wirklichen Anfang repräsentirend, sind überraschend schön und machen an den Schaufenstern Londons überall, oft zum Schaden des sich drängenden Verkehrs, den fesselndsten Eindruck

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_659.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)