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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Sie wissen gar nichts, Frau Poldine!“ warf Dora barsch und trocken hin. „Was wollen Sie jetzt von mir?“

Die Kälte und Entschlossenheit Theodorens, welche in solchen Momenten an Grobheit grenzten, hatten für die Weltdame Poldine immer etwas Imponirendes. Das war leider von dem Mädchen oft genug erprobt.

„Was ich von Ihnen will?“ wiederholte sie, ebenfalls wieder etwas eingeschüchtert. „Ich will Ihnen gestehen, daß ich Hoffnung, ganz fest begründete Hoffnung auf eine Versöhnung mit Richard habe,“ – Theodore zuckte heftig zusammen und ihre Wangen rötheten sich – „daß ich deshalb meinen Aufenthalt hier genommen habe, um hier, wo ich vor vier Jahren das erste Geständniß seiner Liebe empfing, von Neuem glücklich zu werden,“ schloß Frau Poldine triumphirend.

Theodore war sichtlich überrascht, ja unzweifelhaft erschrocken über diese Berichterstattung. Ihre Fassung hatte einen argen Stoß erlitten, und sie stammelte verwirrt: „Ich verstehe das nicht! Ich weiß nicht, wie ich Ihre Erzählung deuten soll! So viel mir bekannt ist, kann Ihre Ehe mit Richard so gut als getrennt betrachtet werden – die gerichtlichen Erkenntnisse –“

„Sind nicht mehr nöthig,“ fiel Frau Poldine hastig ein, und fügte mit Pathos hinzu: „Richard wird kommen – wir werden die trüben Tage versenken in das Meer der Vergessenheit, mein Gatte wird an keine Trennung mehr denken, wenn er wieder in meinen Armen ruhet – Richard wird hierher kommen, um mich zurück in sein Haus zu führen.“

„Richard – hierher kommen?“ fragte Dora, nun aus ihrer Betäubung erwachend. „Ihretwegen hierher kommen – Sie abholen? Es ist nicht wahr!“

„Sehen Sie dort hin!“ rief triumphirend Frau Poldine. „Erkennen Sie, wer dort auf den Flügeln der Eile, von heißer Liebe getrieben, daherjagt?“

Dora sah hin. Sie standen nahe der Gatterthür, die seitwärts auf die Landstraße führte. Ein Reiter kam wirklich angesprengt; ihr scharfes Auge erkannte Richard von Moorhagen. Kalt und entschlossen hob sie stolz den Nacken.

„Es ist mir unbegreiflich, allein ich muß zugestehen, daß Sie Recht haben,“ sagte sie fest, ihr innerliches Beben bemeisternd. „O, Männerschwäche, Männereitelkeit, Männerwankelmuth und Männereigennutz!“ dachte sie.

Ihrem Geiste rauschten alle die gräulichen Scenen vorüber, welche abgespielt wurden, bevor Richard von Moorhagen sich zur Trennung seiner Ehe entschloß; ihrem Gedächtnisse fielen alle die Worte ein, womit der unglückliche junge Mann seine Ehe mit Leopoldine verflucht und sie eine Hölle genannt hatte. Jetzt war diese Ehe gerichtlich gelöst, täglich mußte die gerichtliche Einwilligung zur Scheidung erwartet werden und jetzt, jetzt kam er zu dieser Gattin, um eine Versöhnung zu feiern?

„Es ist mir unbegreiflich!“ sagte sie nochmals.

„Mag sein,“ erwiederte Frau Poldine, mit schmachtenden Blicken dem schnell näherkommenden Reiter entgegensehend, „aber Sie sehen, es ist wahr! Ich verlange nun weiter nichts von Ihnen, als daß Sie jedes Lauscherohr von meinem Zimmer fern halten, und daß Sie sich selbst auf keine Weise, wie sonst, in unsere Zusammenkunft eindrängen.“

Theodore maß die Dame mit einem stolzen, zornigen Blicke und ging, ohne ein Wort zu erwiedern, dem Zelte zu, wo neugierig ihre Pflegeeltern ihrer harrten. Frau Poldine winkte graziös einen Gruß zu denen herüber, und verschwand im Portale des Hauses. Gleich darauf hielt der Reiter vor dem Landhause an, übergab sein Pferd dem kleinen Hausburschen, der herbeisprang, mit der Weisung, es langsam herumzuführen und schritt eilfertig, mit bewölkter Stirn und zusammengekniffenen Lippen die Treppe hinauf, der Frau Poldine nach, die ihm schweigend winkte.

Theodore mußte den alten Pflegeeltern währenddeß erklären, was die Ankunft Richard’s zu bedeuten habe. Dann neigte sie tief ihr Haupt auf eine Arbeit und grübelte.

Was sollte sie von diesem Schritte des jungen Mannes denken, wie ihn deuten, wie ihn entschuldigen? Schon ein Mal im Leben hatte das Betragen Richard’s Zweifel an Menschenwerth in dieser jungen Brust entzündet, schon ein Mal war ihr Herz in Zwiespalt mit der Vernunft gerathen seinetwegen, und nur das weibliche Erbarmen hatte die Kluft wieder ausgefüllt, die von ihrer innerlichen Verachtung aufgerissen worden war, als dieser Mann, elend und unglücklich durch seine übereilte Wahl, zu der ihn Eitelkeit und Eigennutz getrieben hatte, Trost bei ihr suchte.

Sie selbst hatte ihm, zwar nicht durch Ring und öffentliches Verlöbniß, aber durch jahrelanges stilles Lieben angehört, bevor er Gnade vor den Augen der reichen Goldschmiedstochter, Leopoldine Probst, fand, und von ihr in ihren Goldnetzen gefangen wurde; aber sie hatte sich mit weiblicher Würde so fein und schnell in die Schranken der Schwesterlichkeit zurückgezogen, daß Richard sie schon fern von seinem Lebenswege fand, als er erst mit Schrecken daran dachte, seinen Bund mit ihr lösen zu müssen. Seine Ehe war eine Hölle! Er selbst nannte sie schon nach Jahresfrist so, und er ertrug diese Qual der Verdammniß drei volle Jahre, ehe er sich zu dem widerwärtigen Schritte der Scheidung entschließen konnte. Wund an Geist, Herz und Seele, suchte er das Landhaus auf, und er fand nachsichtige Richter in seinen Verwandten und in Theodoren. Noch vor drei Wochen hatte Richard mit blitzenden, brennenden Blicken dem Mädchen gestanden: seine Sünde gegen sie sei von dem Feuer dieser Höllenqualen gesühnt – und nun? Und nun? Theodore hob den Blick nicht anklagend auf gegen den Himmel, aber die große, krystallhelle Thräne, die auf ihre Näherei tropfte, enthielt eine herbe Klage.

„Freilich,“ kalkulirte sie weiter im trübselig stummen Grübeln, „freilich, Leopoldinens Geld ging ihm verloren, wenn er sie aufgab, freilich, sein luxuriöses Leben, seine Reisen, seine Pferde, seine Hunde, seine Gesellschaften – Alles schwand wie durch einen Zauberschlag – daran mochte er nicht gedacht haben, und deshalb mochte ihm die dargebotene Aussöhnung erwünscht gewesen sein.“

Eine unsäglich bittere Empfindung durchwogte Theodorens Brust. „Mag er sein Unglück tragen,“ flüsterte sie hörbar, als jetzt die Stimmen der beiden Gatten deutlicher vom Hause herüberdrangen.

Doch als endlich Worte der Verwünschung und der Drohung erschallten, als den Lippen der Frau Poldine jene kreischenden Töne des kindischen Wahnsinns, womit sie ihr Recht zu vertreten suchte, entflohen, als wild und wirr der schauderhafte Zank ausbrach, der immer solche Scenen beschloß, die vom Widerspruch der dummen Anmaßung angefacht und von der Ungeduld des spröden Männergemüthes bis zur äußersten Grenze der Heftigkeit getragen wurden, da kehrte doch wieder Mitleiden in Theodorens Brust zurück.

Ihre Pflegeeltern hörten mit steigendem Unbehagen auf den Lärm der streitenden Stimmen. Der alte Herr wies ärgerlich nach der Landstraße, wo zwei Bauerweiber horchend stehen blieben, und die alte Dame sagte bittend: „Geh’ hinauf, Dora, bitte – gehe hinauf, und ermahne sie zur Ruhe!“

Theodore lehnte zuerst entschieden diesen Auftrag ab, und berief sich auf Leopoldinens speciellen Befehl, sich nicht einzudrängen. Nach und nach überwältigte aber die Furcht vor dem Ausgange des immer heftiger entflammten Streites ihre Scrupel und sie ging, nicht mit leichtem Herzen, dem Hause zu. Wie oft, wie unendlich oft hatte sie schon zwischen diese beiden Menschen treten müssen, um durch ihre imponirende Ruhe ein Gleichgewicht herzustellen! So schwer, wie an diesem Tage war es ihr aber noch nie geworden. „Es ist zum letzten Male,“ sagte sie leise, als sie in den Hausflur trat.

In diesem Momente wurde oben eine Thür gewaltsam aufgerissen, Männerschritte schallten und ein gellender, gräßlich durchdringender Schrei durchzitterte das ganze Haus. Richard stürzte wild die Treppe hinab.

„Was ist geschehen? Um Gotteswillen!“ schrie Theodore ihm entgegen. Er blieb nicht stehen, rief aber im Vorbeeilen laut: „Es ist ein entsetzliches Weib – ich gehe, mir einen Winkel zu suchen, wo ich mich verbergen kann; mag sie zur Hölle fahren, woher sie entstammt ist!“

Mit Blitzesschnelligkeit war er draußen, schwang sich auf’s Pferd, und flog den Weg zur Stadt hinab. So hatte ihn Theodore noch nicht gesehen! Eine fürchterliche Angst schnürte ihr die Brust zu und raubte ihr jede Willenskraft. Sie trat hinaus in’s Freie und schauete ihm nach. Eine schmerzliche Trauer, aber auch eine unendliche Liebe lag in dem Blicke, womit sie seine Spur verfolgte – da schallte ein eben so greller, als herzzerschneidender Schrei, wie vorher, durch des Hauses Räume

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