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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Der Rath bejahete es, aber stellte eine mögliche Gefahr nicht in Abrede. Er schien sichtlich umgestimmt zu von Moorhagen’s Gunsten, seitdem der junge Mann wieder zu seiner gewöhnlichen ruhigen Entschlossenheit zurückgekehrt war. Nachdem er noch einige Worte mit demselben gewechselt und ihm auch gesagt hatte, daß er mit dem Arzte hinausfahren und wo möglich sofort eine Aufklärung suchen werde, schied er mit neuerwachtem Vertrauen von seinem jungen Freunde.

„Erschweren Sie mir mein Amt nicht, von Moorhagen,“ sprach er, nochmals in der Thür umwendend, „lassen Sie mich nicht bereuen, daß ich der Stimme der Freundschaft gehorcht und nicht die ganze Schwere meiner Amtspflicht, die Sicherung Ihrer Person heischte, entwickelt habe. Verlassen Sie die Stadt nicht.“

„Besorgen Sie nichts,“ entgegnete Richard gelassen, „ich werde selbst meine Wohnung nicht verlassen, damit die Hand der Gesetzvertreter mich greifen kann, wenn sie will.“

So lange der Criminalrath bei seinem Freunde geweilt hatte, war der Verdacht, entkräftet durch seine Versicherung, gewichen.

Kaum befand er sich wieder allein und unter der nachhaltigen Einwirkung der ersten Scenen in von Moorhagen’s Zimmer, so brach sich derselbe wieder siegend Bahn und er erwartete mit fieberhafter Ungeduld den Aufgang der Sonne, der ihn an den Ort der That führen sollte.

Der Doktor fuhr endlich vor und beide Herren traten unter sehr verschiedenen Empfindungen den Weg zum Landhause an.

„Gott gebe, daß die Dame noch lebt und im Stande ist, Auskunft über die Art und Weise ihrer Verwundung zu geben,“ sprach der Rath mit etwas bedrücktein Tone.

„Man sieht, Sie nehmen Partei für den Mörder,“ entgegnete der Doktor sarkastisch lachend. „Solche Stoßseufzer habe ich noch nie von den Lippen unseres Großinquisitors vernommen. Wenn es der gnädigen Frau Gesundheit gestattet, Hochwohlgeborner, so gebe ich die Erlaubniß zu drei Fragen, hören Sie, drei Fragen! Ueberlegen Sie sich nun diese drei Fragen; es geht Ihnen aber bei Gott wie dem dummen Hans mit seinen drei Wünschen, die Gelegenheit ist vorbei, wenn Sie nicht klüglich diesen Fragen eine ganze Enthüllung zu Grunde legen.“ Der Rath lächelte trübe zum Scherze des Doktors.

„Ich habe gestern Abend von Moorhagen noch aufgesucht,“ meinte er leichthin.

„Und der leugnet, nichts natürlicher, als das.“

„Nein, er versicherte mir auf sein Ehrenwort, nichts von dem Attentate auf das Leben seiner Frau zu wissen,“ sprach der Beamte erregter.

„Und Sie alter Criminalist glaubten diesem Ehrenworte? Das ist kurios!“

„Von Moorhagen ist mir stets als ein Muster des ehrwürdigen alten Adels erschienen,“ sprach der Rath zurechtweisend.

„Alter Adel pflegt aber sonst lieber auf altadeligen Schlössern zu hungern, als Goldschmiedstöchter mit vollen Geldbeuteln zu heirathen,“ spottete der Doktor.

„Ich kenne die Dame wenig,“ meinte der Rath, „von Moorhagen ist mir in früheren Jahren lieb geworden und erst durch seinen jetzt in der Stadt genommenen Aufenthalt wieder näher getreten. Ob Liebe oder Berechnung den jungen Edelmann zu dieser Mesallianz verleitet hat, ist mir unbekannt.“

„Nun, mindestens müßte es eine seltsame Liebe, eine Katzenliebe gewesen sein, denn mit Zank und Streit hat’s begonnen und mit Blut scheint’s zu enden.“

„Sie hassen von Moorhagen?“ fragte der Rath schnell.

„Bewahre, ich kenne ihn kaum. Ich hasse nur das Junkerthum, dem der durch Geist emporgeschwungene Mann ein Parvenu ist, während die Herren „Von“ unser Bürgergeld nicht verschmähen.“

Der Rath warf einen Blick auf den Doktor, worin zu lesen war, daß er sich des Angeschuldigten wegen freue, dieser Ansicht auf die Spur gekommen zu sein, bevor er dem Träger derselben Einfluß auf die Untersuchung gestattet hatte. Als Kreisphysikus konnte er durch seine Berichterstattung viel schaden und viel nützen.

Als der Wagen hielt, trat Fräulein Theodore den Herren todtenbleich entgegen. Sie hatte den Criminalrath erkannt und wußte, was sein Kommen zu bedeuten hatte.

Der Rath war nicht ganz fremd in den Verhältnissen, die zwischen Richard und Theodore obwalteten; er empfand die peinliche Sorge mit ihr und beeilte sich, ihre Spannung zu lösen.

„Mich treibt nur eine gewisse freundschaftliche Nothwendigkeit hierher, mein Fräulein,“ sagte er freundlich.

Theodore, ganz eingenommen von ihrer auf Wahrnehmungen gestützten Besorgniß, machte eine abwehrende Bewegung und flüsterte: „Ich bin auf Alles gefaßt!“

Das frappirte den Criminalbeamten. Sie mußte also Erfahrungen gemacht haben, die das Schlimmste fürchten ließen.

„Was macht meine Patientin?“ fragte der Doktor.

„Sie liegt unbeweglich, wie gestern Abend,“ referirte Theodore. „Zeigte nicht die Wärme ihrer Haut und das leise Pulsiren ihrer Adern ihr Leben an, so würde ich sie für todt halten.“

„Dann hat es keine Gefahr, Criminalrath, wenn Sie mit eintreten,“ meinte der Doktor und öffnete die Thür. „Uebrigens kennt die Dame Sie auch nicht.“

„Doch, ich glaube ihr vorgestellt zu sein,“ warf der Rath ein.

Die Herren schlichen auf den Zehen in das Zimmer, wo Frau Poldine, steif ausgestreckt wie eine schöne Leiche, im elegantesten Nachtkostüm auf ihrem Lager ruhete. Der Rath trat so, daß er nicht von der Kranken gesehen werden konnte, während der Doktor sich, unbekümmert um den leichenähnlichen Zustand, behaglich am Bette zurecht setzte und den Puls Leopoldinens sondirte.

„Ganz normal,“ murmelte er, „matt aber gleichmäßig; Nervenaffektation, sonst nichts; Mattigkeitsschlaf, aber keine Bewußtlosigkeit.“

„Der Schlaf scheint mir nur sonderbar tief,“ flüsterte Dora ängstlich.

Ach, sie hatte in der Nacht Gott unaufhörlich angerufen, nur dieses Leben zu retten, um das furchtbare Geschick, Richard als Mörder belastet zu wissen, abgewendet zu sehen.

„Reizbare Konstitution,“ murmelte der Doktor wieder. „Aber freilich!“ er zuckte vielsagend die Schultern. Er lehnte sich über das bleiche Gesicht der jungen Frau und prüfte horchend den Athem. „Guten Morgen, gnädige Frau,“ rief er in ihr Gesicht hinein.

Leopoldine rührte kein Glied und zuckte nicht mit der Wimper. Der Arzt runzelte die Stirn und schüttelte mit dem Kopfe. Theodore faltete krampfhaft ihre Hände. Leopoldine mußte todt sein, daß sie diesen lauten Ruf nicht gehört hatte.

Der Doktor berührte die Hände, die Arme und die Wangen der Kranken, dann hob er ihren Kopf und schrie in ihre Ohren.

Jetzt zeigte sich eine Spur von Bewußtsein; die junge Frau athmete tiefer, dann öffnete sie mühsam die Augen.

„Gut geschlafen?“ fragte der Doktor sehr laut.

Frau Poldine sah träumerisch um sich und musterte befremdet den Arzt und Dora. Den Rath konnte sie nicht sehen, weil er oberhalb hinter dem Bette stand.

„Wo ist er?“ fragte sie kaum hörbar.

Der Rath winkle dem Arzte zu. Dieser verstand sehr wohl, daß ihm mit diesem Winke die drei von ihm zugestandenen inquisitorischen Fragen übertragen worden waren.

„Wer denn, meine Gnädige?“ examinirte er. „Wen suchen Sie?“

Ein Schauder, überflog den ganzen Körper der jungen Dame.

Sie wehrte mit beiden Händen ein Phantom ihrer Phantasie ab: „Er ist der böse Geist meines Lebens, er hat alle meine Lebensfreuden gemordet;“ ihre Stimme verstärkte sich merkwürdig und wurde beinahe kreischend. „Er ist Schuld an meinem Tode! O mein Gott, laßt mich nicht sterben! Rettet mich, rettet mich!“

Erschüttert wankte Theodore zurück bei dieser Anklage. Der Rath warf einen traurigen Blick auf sie, der Rath sah unverrückt vor sich nieder. Es entstand eine peinliche Pause. Nach einem sehr verständlichen Winke des Beamten, der, gleichsam hinter den Coulissen, die Inquisition einleitete, begann der Doktor wieder: „Wen fürchten Sie denn, Gnädige? Wer ist Schuld an Ihrer Verwundung, nicht an Ihrem Tode, denn sterben werden Sie, gottlob, nicht; wer ist Schuld?“

„Wer? Zweifeln Sie denn noch?“ wiederholte Frau Poldine sehr matt und leise – „mein Mann, – Richard, – Richard!“ Sie schien ohnmächtig zu werden; man bemühete sich um sie.

Der Rath verließ unbemerkt das Zimmer und nach einer halben Stunde fuhren die beiden Herren wieder zurück nach der Stadt, beide schweigsam, beide mit Gesichtern, aus denen Kümmerniß leuchtete. Besonders verdrießlich sah der Doktor aus. Auf

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