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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

des Rathes Frage, was er von dem Zustande der Dame halte, antwortete er kurz: „Weiß nicht!“

Als dieser, unzufrieden mit der Abfertigung, weiter examinirte, ob die Genesung derselben zu hoffen und bald zu erwarten sei, referirte er gleichfalls:

„Weiß nicht!“

Erst beim Abschiede rüttelte er sich etwas aus seinem Mißmuthe heraus und rief dem Rathe humoristisch nach:

„Verehrtester, weil Sie sich heute so exemplarisch human und so entschieden diskret gegen meine Patientin betragen haben, so erlaube ich, kraft meines Amtes, daß Sie morgen früh als Großinquisitor Ihre Funktionen beginnen können. Glück auf!“ Er lachte und fuhr davon.

Zerstreut und der neckischen Manier des Doktors sehr gewöhnt, hörte der Criminalrath diese seltsame Abschiedsrede und ging tiefsinnig in sein Zimmer. Hier begannen die Einflüsterungen des Mißtrauens und die Berechnungen des Verdachtes ihr Spiel mit weit größerer Macht als Tags zuvor zu treiben. Zweifel kamen überhaupt nicht mehr in seine Seele, konnten auch nicht, nach der speciell ausgesprochenen Beschuldigung der verwundeten Dame, aber es galt, vorgefaßte gute Meinungen zu bekämpfen, die sich mit Gewalt dagegen sträubten zu dieser That die Motive in einem Uebermaße von Eigennutz zu suchen. Nach der oben gemachten Entdeckung blieb ihm als Beamten nichts weiter übrig, als von Moorhagen vor die Schranken zu fordern und damit seine Stellung in der Welt auf immer zu untergraben.

Es war ein schwerer Entschluß! Die ganze männliche Liebenswürdigkeit des Angeschuldigten, sein ehrenhaftes, chevalereskes Wesen und der unangetastete gute Ruf desselben stellten sich immerfort kampfbereit vor des Beamten Geiste auf, wenn er, müde der Unentschlossenheit, zu der Feder griff, um den Befehl zu von Moorhagen’s Verhaftung zu ertheilen. Mitten in dies Chaos von widerwilligen Gefühlen trat Herr Richard von Moorhagen selbst in’s Zimmer, nachdem er vergeblich mehrere Male stark angepocht hatte.

Der Criminalrath stand jäh auf und maß den jungen Mann mit bedeutungsschwerem Ernste von Kopf bis zu den Füßen, ohne ihn zu begrüßen.

Von Moorhagen wurde verlegen. Das Betragen war beleidigend und hätte jedenfalls seine Galle rege gemacht, wenn er sich nicht innerlich schuldig gefühlt hätte, die Grenze, welche sein Ehrenwort gezogen hatte, willkürlich erweitert zu haben, indem er seine Wohnung verließ.

„Ich hörte, Sie seien vom Landhause meines Onkels zurück,“ sagte er befangen; „nennen Sie es einen kleinen Ueberrest von Neigung für Leopoldine, oder nennen Sie es, wie Sie wollen, aber mich trieb es her um zu erfahren: wie es mit ihr steht? Lebt sie? Wird sie bald genesen? Was sagte sie über ihren Unfall?“

„Sie lebt, sie wird genesen und was sie über ihren Unfall berichtet, wird Sie nicht erfreuen, mein Herr!“ erwiederte der Rath kurz. Die Herbe seines Stimmentones mußte von Moorhagen, der ihn sehr gut kannte, auf das Schlimmste vorbereiten, aber dennoch überlief der Schatten des Schreckens seine Züge, als derselbe, dicht vor ihn hintretend, hinzufügte: „Frau von Moorhagen nennt Sie als ihren Mörder.“

„Mich? Unmöglich! Unerhört! Mich? Mich?“ rief der Edelmann aus aller Fassung gebracht. Einen Augenblick schien er hülflos, einen Augenblick wankte sein Männermuth. – „Nun ja, sie wird mich anschuldigen, man wird ihr glauben und mein vergiftetes Dasein ist ganz vernichtet. – O Weib, Weib, wie willst du vor Gott bestehen!“ schloß er mit ganz wiedergewonnener Haltung.

Der Criminalrath fühlte sich bewegt, die Kraft und Wärme des Ausdrucks bei den letzten Worten warf wieder allen Verdacht über den Haufen. Er stand stumm und unentschlossen. Von Moorhagen reichte ihm die Hand. „Jetzt noch dürfen Sie diese Hand berühren, jetzt ist sie noch nicht befleckt vom Schimpfe der öffentlichen Meinung – verfügen Sie über mich! Aber ehe Sie mich in eine Gefangenzelle sperren lassen, und ehe Sie die Feder zum Protokolle ansetzen, hören Sie, als Freund, meine Aufklärungen über den gestrigen Vorfall, dessen Schluß mein Unglück ist.“ Er lehnte des Rathes Einladung, sich zu setzen, ab, und stellte sich demselben in einer Art gegenüber, die ihn mehr als Sieger, wie als Unterlieger bezeichnete.

„Ich demüthige mich vor Ihnen, vor dem Freunde, indem ich Ihnen einen Einblick in das Heiligthum meiner Leiden gestatte. Vor dem Richter wird kein Wort über diese Lebenserfahrungen über meine Lippen kommen, und sollte mein Tod damit aufgehoben werden können. Daß meine Ehe mit Leopoldine unglücklich gewesen ist, zeigt unsere beabsichtigte Scheidung an. Wodurch sie auf diesen Standpunkt getrieben wurde, habe ich nicht nöthig gehabt, anzugeben, da Leopoldinens öffentliche Erklärung: „ich könne sie nicht ernähren –“ von mir benutzt wurde, eine Trennung herbeizuführen. Wir sind geschieden. Was noch fehlt an Decreten des Gerichtes ist unwesentlich. Ich habe mich nie zu Enthüllungen des Charakters einer Frau herabgelassen, die ich – zur Gattin gewählt hatte, und ich habe nie Veranlassung genommen, zu verrathen, daß von ihr die ersten Aufforderungen zu einem Bündnisse zwischen uns ausgegangen sind.“

„Von ihr – von der schönen, reichen Leopoldine Probst, die umschwärmt und von allen Seiten bewundert worden ist?“ rief ungläubig der Rath.

Von Moorhagen fühlte den Ton des Mißtrauenn, fuhr aber dennoch ruhig fort:

„Wir lebten über alle Begriffe unglücklich! Aber die Welt sollte es nicht wissen – Saus und Braus umhüllte unser Leben – Glanz und Luxus übertünchte unser Elend. Die Welt merkte das, ließ sich aber unsere Gastfreiheit gern gefallen. Ich bin nicht reich – das Gut, das ich besitze, ist Lehn, und wirft nur bei der Selbstbewirthschaftung einen hinreichenden Erwerb zum einfachsten Leben ab. Etwas Ackerland im Dorfe ist Allodialvermögen meines Stammes; sonst habe ich nichts, was zu veräußern wäre. Leopoldine weiß das. Sie hatte das alte Stammschloß ganz umbauen lassen wollen; ich willigte nicht darein. Darauf ließ sie neben dem Schloßgarten, auf einem Stück Land, das mir gehörte, ein brillantes Gartenschloß, mit der Front dem Garten zugewendet, bauen, und wir bezogen diese sehr schöne Villa kurz zuvor, ehe der Bruch unserer Verhältnisse beschlossen wurde. Natürlich verließ ich es sofort nach den ersten Schritten zur Scheidung – Leopoldine blieb wohnen. Ich siedelte mich hier an, obwohl meine veränderte Lebensstellung meine Aufsicht über meine Wirthschaft in Schloß Moorhagen gefordert hätte. Wie wäre es mir aber möglich gewesen, dort zu sein, gleichsam unter den Augen meiner Frau und ihren täglichen Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt. Bei der Scheidung beanspruchte sie „Erstattung sämmtlicher Verbesserungskosten.“ Es war nicht möglich zu machen – die Ausgaben konnten nicht sondirt werden, weil wir unsere Einnahmen gemeinschaftlich gemacht hatten. Als dieser Anschlag auf meinen Ruin nicht durchgesetzt werden konnte, ließ meine Frau nichts, nichts unversucht, mich zu kränken und mir mein Dasein zu erschweren. Ich begann, den Entschluß zu überlegen, „nach Amerika überzusiedeln.“ Was sich Alles in meiner Seele wider diesen Vorsatz auflehnte, kann sich nur der denken, der ein Stückchen Erde hier bewohnt, welches seit Jahrhunderten von seinen Voreltern bewohnt war. Vorgestern erhalte ich ein Briefchen von Leopoldine, worin sie mir sagt: sie hätte mir Vorschläge zu machen, die meine Uebersiedlung nach Amerika unnöthig machten, aber nur mir, nur mir ganz allein unter vier Augen würde sie diese Vorschläge enthüllen. Es war Thorheit, daß ich darauf einging – aber, tadeln Sie mich – ich hoffte auf weibliche Gesinnungen, wo ich Hyänenwildheit kennen gelernt hatte.“

Er schwieg und verfiel in ein trübes Sinnen. Der Rath saß unbeweglich, wie aus Stein gehauen.

„Erlassen Sie mir die Schilderung der Scene, die begann, als ich in ihr Zimmer eingetreten war, das sie hinter sich verriegelte. Sie bot mir ihre wiedererwachte Liebe an, und erntete meine Verachtung dafür. Sie bot mir ihr Geld unumschränkt – was sie sprach, jedes Wort war Gift und Dolch! Ich wollte sie verachtungsvoll verlassen – die Thür war zu. Endlich gelang es mir, den Riegel zu fassen – sie warf sich auf der Schwelle nieder und klammerte sich um meine Kniee – o, und mit welchen niedrigen Beschuldigungen, mit welchen gemeinen Beschimpfungen belastete sie mein Leben – mein Zorn überflügelte jetzt jedes Bedenken – ich riß sie vom Boden auf und schleuderte sie seitwärts – sie schrie entsetzlich – ich stürzte hinweg, und habe sie nicht wieder gesehen!“

Große Schweißtropfen perlten auf der Stirn des jungen Mannes. Er endete sichtlich verstört durch diese Reminiscenz. Der Rath schwieg lange, dann sagte er kalt und gefaßt:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_695.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)