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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Schlagbaum, Thoraccise, Paßkarte – alle diese höchst unentbehrlichen Behörden, Einrichtungen und Steuern fehlen ihm ganz, ohne daß er’s merkt. Er hat niemals Erde unter seinen Füßen, die er graben, von der er ernten könnte, also auch nicht einmal einen Kirchhof, seine Todten zu begraben. Man setzt den Verstorbenen mit dicht an den Körper gezogenen Knieen hin zum ewigen Schlummer, hüllt ihn in einen Sack von Thierfellen, umgibt ihn mit den Werkzeugen und Geräthen, die er im Leben brauchte, dann mit einem Haufen von Steinen und baut eine Art Dach darüber. So findet man dort in den arktischen Einöden oft weit und breit keine Spur irgend eines lebendigen Athems oder Mooses, sondern nur solche wohlerhaltene Grabdenkmale. Der Eskimo vergreift sich nie an einem Grabe. Solche Spuren ehemaligen Lebens in endloser Oede sind das Traurigste und Schwermüthigste, was ein Mensch auf Erden sehen kann.

Nach dem Eskimo selbst ist der Eskimohund die wichtigste Person in jenen äußersten, hier und da von ein paar Dutzend Menschen bewohnten Gegenden, wo das Rennthier nicht mehr hinreicht. Diese Hunde sind Wölfe an Gefräßigkeit, Wildheit und Kraft, aber Pferde, Rennthiere und treue Hausfreunde im gezähmten Zustande. Ehe sie Kane und sein Hundepolizeipräsident Hans ordentlich gezähmt hatten, waren sie die größte Plage, nachher aber mehr werth als eben so viel Gold.

„Welche Qualen mit diesen Hunden!“ ruft er an einer Stelle. „Schlimmer, als eine ganze Straße Konstantinopels voll ausgeleert auf unserm Deck. Unbändige, diebische Bestien! Keine Bärenpfote, kein Eskimoschädel, kein Korb voll Moos, nichts ist vor ihrer Gefräßigkeit sicher. Mit fürchterlichem Geheul fallen sie darüber her und verschlingen es mit einem Schluck. Einmal machten sie sich über ein ganzes Federbett her. Ein ander Mal fraßen sie zwei ungeheuere Vogelnester, Federn, Schmutz, Steine, Moos, zusammen ein Scheffel voll – Alles. Sobald wir Land oder eine schwimmende Eismasse, oder einen Eisberg erreichen, springen sie davon, ohne sich von der Peitsche zurückhalten zu lassen. Wir verloren einmal zwei auf einer Insel. Ich mußte eine große Bootexpedition acht Meilen weit durch Eis und Wasser zu ihrer Aufsuchung ausschicken. Sie wurden endlich fett und frech über einem todten Narwhal gefunden, aber nur einer konnte nach stundenlangem Bemühen eingefangen werden.“

Diese Arbeit und Gefahr um einen Hund läßt sich nur erklären, wenn man erfährt, was diese Thiere leisteten.

„Ich hatte sowohl Eskimohunde als Neufundländer. Von letzteren zehn, alle sorgfältig dressirt auf bloße Stimme beim Ziehen. Ich übte sie vor einem Schlitten, je zwei nebeneinander. Sechs bilden eine mächtige Locomotivkraft für größere Ausflüge; doch zogen auch vier mich und meine Instrumente mit der größten Leichtigkeit. Mein Schlitten, genannt „Little Willie“ war ein Kunstwerk ganz für seinen Zweck ausstudirt und mit der Sorgfalt feiner Tischlerarbeit aus dem trockensten amerikanischen Kernahorn gemacht. Die Krümmung der Kufen war mit Rücksicht auf die möglichst geringe Reibung, Kraft und Leichtigkeit durch Versuche bestimmt worden, mit polirtem Stahl beschlagen und durch Kupferklammern befestigt, die nach Belieben erneuert werden konnten. Alle andern Theile bestanden aus Holz, zusammengebunden mit Seehundsfellriemen, so daß er sich leicht allen Unebenheiten und Zacken und Kanten des Bodens anschmiegte und den heftigsten Stößen widerstand. Er hielt alle Strapazen aus und bewährte sich als das leichteste und bequemste Mittel, auf jenem Boden rasch vorwärts zu kommen. Die stärkeren Eskimohunde blieben für die großen Aufsuchungsreisen und den heldenmüthigen Zug über eine 1300 Meilen lange Wüste von Eis und Wasser vorbehalten. Die härtesten Erfahrungen haben ihnen den unschätzbarsten Werth in meinen Augen gegeben. Damals hatte ich noch keine Ahnung von ihrer Kraft und Schnelligkeit, ihrer geduldigen, ausdauernden Tapferkeit, ihrem Scharfsinn, womit sie sich zwischen eisigen Morästen, auf welchen sie geboren und groß geworden, zurecht- und aus ihnen herausfanden.“

Die ganze Expedition bestand aus achtzehn Amerikanern, zwei Eskimo’s und mehr als fünfzig Hunden. Für die Gefräßigkeit Letzterer war durchaus nicht gesorgt, so daß man öfter blos ihretwegen auf die Jagd gehen mußte, z. B. auf die Walroßjagd.

„Wir sahen wenigstens fünfzig dieser schwärzlichen Ungeheuer im Sunde herumwirthschaften und näherten uns öfter bis auf zwanzig Schritt. Aber die Kugeln aus unsern Rifles prallten von ihren Pelzen ab wie Korkkügelchen von einer Knallbüchsenscheibe, und bis zum Harpuniren ließen sie es nicht kommen, so daß wir ohne Beute abziehen mußten. Später jedoch entdeckte Jemand den Kadaver eines Narwhals oder Seeeinhorns, der uns wenigstens sechshundert Pfund Fleisch lieferte. Er war vierzehn Fuß lang und sein Rüssel oder Horn von der Spitze bis zur hornigen Hülle vier Fuß, kaum halb so groß, als das herrliche Exemplar, welches ich von meiner ersten Expedition mitbrachte und der Akademie der Naturwissenschaften übergab. Wir bauten ein Feuer auf dem Felsen zurecht und schmolzen Dessen Speck aus, der uns reichlich zwei Fässer Thran lieferte.“

Ein anderes seltenes, noch arktischeres Geschöpf als das Rennthier, ist der Moschusochse, den man nördlicher findet, als jedes andere vierfüßige Thier, aber ungeheuer selten. Wir sprechen von ihm vielleicht ein ander Mal und von dem merkwürdigen, an ihn sich knüpfenden Schlusse, daß Grönland und Amerika zu Lande zusammenhängen. Die interessanteste und dramatischste Jagd ist die gegen den Polarbär. Man braucht etwas Kourage und Geschicklichkeit, aber auch darauf dressirte Hunde dazu.

Letztere sind sorgfältig darauf abgerichtet, sich mit dem Bäre selbst nicht einzulassen, sondern ihn blos zu beschäftigen und aufzuhalten, bis die Jäger, von andern Hunden über Eis und Schnee stiebend herangezogen, ihn angreifen. Während ein Hund den Bären vorn beschäftigt, attackirt ihn ein anderer vom Rücken her, wobei jeder sich bemüht den andern zu schützen, so daß selten einer ernsthaft verletzt wird oder ihnen die Aufhaltung des Bären mißlänge. Sobald ein Bär ausgewittert ist, vielleicht am Fuße eines Eisberges, untersucht der fabelhaft scharfe Eskimo dessen Spur und findet darin nicht blos die Richtung, welche der Bär genommen, sondern auch dessen Alter und die Schnelligkeit heraus, womit er lief. Die Hunde vor dem Schlitten werden nun auf die Spur geführt und ihnen das Zeichen zum Abmarsche gegeben. Schweigend fliegen sie über das Eis, bis sie um eine Kante des Berges kommen und den Feind vor sich sehen, der noch mit ruhigem Schritte seinen Weg dahin stahkt, aber doch sofort voll Verdacht in die Luft hineinschnüffelt. Die Hunde springen heran mit einem wilden, wölfischen Geheul, ihr Kutscher schreit: Nannook! Nannook! und Alles ist äußerste Spannung in jeder Muskel. Der Bär setzt sich jetzt auf seine Hinterkeulen, sieht sich seine Feinde an, findet diese zu überlegen und reißt aus im vollsten Galopp. Der Jäger macht im vollsten Jagen die zwei vordersten Hunde los, die nun befreit, den Bär sofort in die Mitte nehmen. Die andern Hunde folgen, trotz ihrer größeren Last, mit der größten Leichtigkeit. Der Bär, die doppelte nahe und die sich nähernde Gefahr beherzigend, merkt jetzt seine Gefahr und sucht eine schützende Stätte auf einem Eisberge zu finden, woran ihn die beiden vordersten Angreifer zu verhindern wissen, bis der oder die Jäger nahe genug sind. Jetzt werden alle Hunde losgelassen. Der Jäger ergreift fest seinen Speer und rücksichtslos über Schnee und Eis stolpernd, schreitet er zum Angriff. Von zwei Jägern wird der Bär leicht überwunden. Der eine macht eine Finte und thut, als wollt’ er ihn in die rechte Flanke stechen, was der Bär durch grimmige Wendung gegen den Angriff zu verhindern sucht. Dies macht sich der andere zu Nutze und bohrt ihm den Speer in die linke Seite. Aber auch ein Einziger bedenkt sich nicht lange. Mit festgegriffener Lanze, die vielleicht nur eine roh gehauene Knochenspitze hat, reizt er den Bär, ihn zu verfolgen, indem er ihm quer in den Weg läuft und thut, als wollt’ er vor ihm fliehen. Aber kaum hat sich der Bär zur Verfolgung gestreckt, wendet sich der Jäger mit raschen Sprüngen um und stößt ihm, ehe dieser seine ungeschickte Körpermasse aus dem einmal eingelegten Schusse bringen kann, die Lanze in die linke Seite unterm Schulterblatte und zwar nicht selten so tief, daß er diese im Stiche lassen und für sein Leben fliehen muß. Aber auch dann wird der Bär noch geliefert, falls dem entwaffneten Sieger geschickte Hunde zu Gebote stehen.

Die Eskimo’s der Etah-Bucht tragen freilich manche Wunde aus diesen Kämpfen davon. Bei ihnen ist der Bär wilder und grimmiger, als in den südlicheren Gegenden. Auch braucht er seine Zähne häufiger, als bisherige Schriftsteller über diesen Gegenstand hervorheben.

In den Gegenden der Reusselaer Bucht, wo unsere Helden einundzwanzig Monate lang eingefroren und abgeschnitten von jedem Hauche der Lebenswärme und der „Gesellschaft“ logirten, ist der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_699.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)