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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

dem Kriegsmarsche gegen die Dänen in den Jahren 1848 und 1849 Gelegenheit, Dithmarscher Quartiere zu beziehen, wobei dieselben natürlich nicht selten mit Mehlbeutel werden bewirthet worden sein. Ein solcher war denn auch unter anderen einzelnen Quartiergenossen von der wohlwollenden Wirthin für einen Mittag verheißen worden, und mit seltsamen Illusionen mögen die jungen Fremdlinge jene genußreiche Mittagsstunde erwartet haben. Und siehe, als endlich die kolossalen Lieblinge des Dithmarscher Geschmacks zum Vorschein kamen, wurden dieselben sehr heiter mit dem kriegerischen Ausruf begrüßt: „Hurrah, Vierundachtzigpfünder!“

Von dem im Dithmarschen vorherrschenden Gemeinsinne zeugen die vielen Hülfsleistungen, welche bei mehrfachen Gelegenheiten auf allen Seiten mit größter Bereitwilligkeit übernommen werden, wie z. B. bei der Aufführung von Gebäuden und dem Transport des zu denselben erforderlichen Materials. Solche Mitwirkung wird dann in der Regel mit einem Mehlbeutel honorirt. Zum Brechen („Braaken“) und Reinigen („Schwingen“) des Flachses, dessen Bau in ausgedehntem Maße gepflegt wird, findet sehr häufig auf vorgängige Einladung eine Schaar junger Freundinnen sich ein, für die dann nach beendigter Dienstleistung mitunter wohl auch ein Tänzchen arrangirt wird. Am Tage des Flachsschwingens werden die großen Hausthüren möglichst weit geöffnet, und eine von unten bis oben auf der Hausflur aufgestellte Reihe von hölzernen Schwingstühlen bildet eine fast schnurgerade Fronte, hinter welcher die jungen Schwingerinnen auf gewöhnlichen Stühlen, welche für sie aus dem Wohnzimmer herbeigeholt worden, Platz nehmen. Jede der zu Hülfe gebetenen Freundinnen trägt des Staubes wegen eine weiße leinene Jacke. Munter geht’s an die Arbeit, und das fortwährende Klipp-Klapp der hölzernen Schwingbretter hindert die frohen Dörfnerinnen nicht am Plaudern und Schäkern und Singen. Ein vorübergehender Bursche wirft einige Aepfel oder Birnen in den geschäftigen Kreis, und wird dafür mit einer Ladung eben nicht sehr hart gemeinter Zurechtweisungen abgefertigt.

Die Mädchen necken sich gegenseitig mit ihren Liebschaften, und manche Wange wird hochroth, wenn von irgend einer Seite unvermuthet das Geheimniß des Herzens verrathen wird. Selten aber wird durch solche Scherze die Eintracht gestört, und die mit emsiger und geübter Hand geführte Arbeit wird heiteres Spiel und frohes Leben.

An manchen Orten lebt noch unverändert die Sitte fort, daß jährlich regelmäßig ein oder zwei Mal eine öffentliche Tanzbelustigung für eine ganze Ortschaft eröffnet wird, und haben alsdann der Reihe nach je zwei und zwei Einwohner derselben auf eigne Kosten für Lokalitäten und ein bestimmtes Quantum Branntwein und Bier, sowie für Musik und Erleuchtung zu sorgen. Nachdem am Tage zuvor ein Knabe, „Umbitter“, jedes Haus beehrt hat mit dem altherkömmlichen Gruße:

„N. un O. laet gröten, wo züm
alltosam nie morn besöken wulln
up’n kolen Drunk
un’n lostig’n Sprunk,
up’n Piep Toback
un’n Mund vull Schnack.
Ist’r denn nie nog, gievt nen
met de Wagenrung up de Nack.“ –

findet zu der festgesetzten Zeit in buntem Gemisch Reich und Arm und Alt und Jung zu gemeinsamer Freude sich zusammen, und erst der helle Morgen führt dann meistens die letzten der Fröhlichen vom Tanze zur Arbeit.

Ohne Eigenthümlichkeit ist auch die Bestattung der Todten nicht. Die bei der Ausführung derselben an andern Orten ausschließlich dem Todtengräber obliegenden Dienstverrichtungen, wie die Anfertigung der Gruft und das Läuten der Glocken, werden an manchen Stellen noch abwechselnd der Reihe nach von je zwei und zwei Ortseinwohnern unentgeltlich besorgt. Am ersten Vormittage nach jedem eingetretenen Sterbefalle wird etwa eine halbe Stunde geläutet – „auf dem Stroh geläutet.“ In Folge einer besonderen Einladung wohnen der Einsargung der Leiche die Verwandten, Nachbarn und die dem Trauerhause besonders befreundeten Einwohner des Ortes bei, welche man mit Bier und Branntwein zu bewirthen pflegt, wobei zugleich jedem Einzelnen ein Stück Kuchen (an Stellen eigne Pfefferkuchen) dargereicht wird. Früh am Morgen des Beerdigungstages treffen von vielen Seiten Spenden an Victualien, und namentlich an Butter, Rahm und Eiern als Beisteuer für das einzurichtende Todtenmahl ein, die selbst dann nicht ausbleiben, wenn auch die Betreffenden die Wohlhabendsten des Ortes sind. Nach der Bestattung, etwa um die Mittagszeit, kehrt die ganze Gesellschaft der Leidtragenden in das Trauerhaus zurück, wo der gedeckte und mit Mehlbeutel und gekochtem Schweinschinken reichbesetzte Tisch der Gäste harrt. Mit dem Beginn des Mahles werden gleichzeitig draußen alle augenblicklich zur Disposition stehendem Kräfte in Bewegung gesetzt, um gefüllte Schüsseln nach allen Wohnungen zu expediren, aus denen am Morgen Spenden eintrafen, wie man es daneben nicht zu versäumen pflegt, für die Heimkehr der entfernt wohnenden Verwandten einen Mehlbeutel als Mitgabe in Bereitschaft zu setzen.

Mannigfaltiger sind die bei Verlobungen und Hochzeiten vorkommenden Gebräuche und Formalitäten. Auf beiden Seiten wird gemeiniglich die Mitgift sehr in’s Auge gefaßt und wo’s irgend thunlich ist, muß zum Besitz Vermögen kommen. Für den besitzlosen Jüngling ist es daher außerordentlich schwer, unter den Wohlhabenden eine Braut zu finden, und zunächst der Vermögensverhältnisse halber wird es nicht so ganz selten vorkommen, daß der Cousin die Cousine heirathet. Sehr häufig werden die Eheversprechungen bei öffentlichen Vergnügungen abgeschlossen. Wo in Ermangelung geeigneter Gelegenheiten dies nicht hat geschehen können, da übernimmt in vielen Fällen ein Brautwerber („Freiwerber“) die Vermittlung. Nach der Entgegennahme des Antrages bestimmt die Erkorene in der Regel eine Bedenkzeit, nach deren Ablauf der Freier selbst sich einzufinden pflegt. Hat in zweifelhaften Fällen durch die mehr oder weniger ausgedehnten Berathungen eine Verständigung zwischen der betreffenden Jungfrau und deren Eltern oder Vormund nicht erzielt werden können, dann wird eine Verlängerung jener Frist erbeten. War der Heirathsantrag willkommen und ist die Maid entschlossen, das „Jawort“ zu ertheilen, dann setzt sich für den vorher bestimmten Tag die ganze Hausgenossenschaft auf einen festlichen Empfang des Freiers in Bereitschaft. Auf einem muthigen Rosse, wo dies die Verhältnisse gestatten, trifft der Erwartete ein und bei festlicher Bewirthung wird dann die Verlobung abgeschlossen. Hierauf „wechselt bei erster Gelegenheit das Brautpaar die Handtreue.“ Der Bräutigam schenkt nämlich der Auserwählten bis auf seltene Ausnahmen ein aus Silberperlen bestehendes Halsgeschmeide und ein mit Silberhaken versehenes Gesangbuch, wogegen die Braut eine silberne Uhr nebst Kette, sowie eine mit Silber beschlagene Meerschaumpfeife zu spenden pflegt. Vollständig ist dann mit dieser Förmlichkeit die Verlobung besiegelt.

Schnell ist gemeiniglich die Kunde von dem erfreulichen Ereigniß von Haus zu Haus und von Dorf zu Dorf verbreitet, und vor Allem die tanzlustige Jugend ergeht sich eifrig in Vermuthungen, ob die bevorstehende Hochzeit eine „stille“ oder „lustige“ sein werde. An Zureden fehlt’s nicht, bis endlich glücklicher Weise die Wahl auf Letztere gefallen ist. Der Freudentag naht heran und die vielfachen Vorbereitungen beginnen. Das Haus des Bräutigams ist in vielen Fällen das Hochzeitshaus und wird daher vollständig restaurirt, wie gleichzeitig fast in jeder Wohnung des Dorfes getüncht und gepinselt wird. Der Lehrer des Ortes beschafft unter Mitwirkung der geübteren Jugend die Ausfertigung der kolossalen Einladungsbriefe, in denen vor Allem die Gäste von dem Brautpaar ersucht werden, Messer, Gabel und Löffel mitzubringen. Die Vorbereitungen zum Hochzeitsmahle besorgen größtentheils die Köchinnen und in einer dem Bedürfniß des Tages entsprechenden Anzahl werden befreundete Männer oder Burschen eingeladen, als Aufwärter oder „Schaffer“ zu fungiren. Von diesen werden die Speise- und Tanzlokalitäten vollständig in Bereitschaft gesetzt und die Bier- und Branntweinfässer angezapft. Die zur Zierde des Wohnzimmers in langer Reihe auf einem Sims postirten Zinnteller, wie die an der Wand hängenden zinnernen Bierkrüge verlassen ihren Platz. Bretter über aufrecht gestellte Tonnen gelegt, dienen als Bänke. Mit dem bereits oben angeführten Gruße geht wieder der „Umbitter“ von Haus zu Haus und ladet Alles zum Tanze, was nicht schriftlich zur Theilnahme an sämmtlichen Hochzeitsfeierlichkeiten hat aufgefordert werden können.

Am Nachmittage vor der Hochzeit läßt sich der Bräutigam vor die Thür der Braut fahren, wenn nicht zufällig beide an einem Orte wohnen. Nach kurzer Bewirthung des Gastes nimmt die Braut Abschied, um an der Seite des Bräutigams das elterliche Haus zu verlassen. Zwei im Vorwege geladene Brautjungfern setzen sich, mit einem Spinnrade und „Haspel“ (Garnwinde) versehen und diese lustig drehend, auf den hinter dem Brautpaare befindlichen Stuhl und während hier und da Gewehr- und Pistolenschüsse knallen, geht die Brautfahrt rasch von dannen. Am Ziel derselben werden die Ankommenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_006.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)