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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

machen, so gewähren die Chladni’schen Klangscheiben die bequemste Gelegenheit. Man läßt sich vom Glaser drei-, vier- und mehreckige und runde Glasscheiben schneiden, die etwa die Größe der Spielkarten haben. Eine oder mehrere Kanten derselben reibt man auf einem Sandstein ab, so daß sie keine Schärfe mehr besitzen. Dann faßt man eine solche Glastafel so zwischen Daumen und Zeigefinger, daß sie wagrecht liegt und nirgend an die Hand anstößt, bestreut sie mit trockenem Streusande und streicht den geschliffenen Rand mit einem gut geharzten Geigenbogen. Sobald die Scheibe tönt, sieht man den Sand auf ihr hüpfen, und sich in regelmäßigen Figuren anhäufen, die bald Dreiecke, bald Vierecke, bald Sterne u. dgl. darstellen. Streicht man eine andere Stelle mit dem Bogen, so daß die Scheibe einen andern Ton gibt, so bekommt man auch wieder eine neue „Klangfigur.“ Die Stellen der Tafel, auf welchen der Sand ruhig liegen bleibt, sind diejenigen, welche an der Erzitterung nicht Theil nahmen und heißen Schwingungsknoten.

Eine andere löbliche Eigenschaft des Glases ist seine Farblosigkeit. Mögen die bunten Fensterscheiben in Kirchen, wo sie nur gedämpftes Licht, aber nicht die Bilder der irdischen Dinge einlassen sollen, auch noch so zauberhaft wirken, so würde doch buntes Glas zu Fenstern in Wohnzimmern wenig geeignet sein. Denn schaut man auch gern einige Minuten lang eine Landschaft durch ein blaues oder rothes Glas an, so wird es dem Beschauer, nachdem er die geisterhafte Beleuchtung, die manche Farben der Naturdinge verwandelt und andere ganz vertilgt, angestaunt hat, doch bald ordentlich unheimlich zu Muthe, und er blickt wieder mit wahrer Freude durch das farblose schlichte Fenster seiner Alltagsstube, welches die Außenwelt in ihrem wahren, ungefälschten Aussehen zeigt.

Noch ist eine sehr werthvolle Eigenschaft des Glases zu erwähnen, die dasselbe, wenn es auch von den Metallen an Durchsichtigkeit übertroffen wurde, doch über dieselben stellen würde, nämlich seine geringe Wärmeleitung, vermöge deren es nur einen kleinen Theil der Zimmerwärme an die äußere Lust abgibt. Daß Metalltafeln mit der Zimmerwärme, die der Mensch so gern aufspart, weniger haushalten würden, beweist folgender einfacher Versuch. Man bohrt in die Seitenwände eines Topfes in derselben Höhe vom Boden gleich große Löcher und steckt in dieselben gleich lange, mit geschmolzenem Wachse überzogene Stäbchen von Holz, Glas, Eisen und Kupfer so ein, daß sie gleich weit herausragen. Füllt man nun das Gefäß mit siedendem Wasser, so schmilzt das Wachs auf dem außerhalb des Topfes befindlichen Theile der Metallstäbchen früher, als das auf den Glasstäbchen befindliche. Die Wärme bewegt sich also auf der Eisen- und Kupferbahn schneller fort, als auf der gläsernen Straße. Noch weniger leicht wird die Wärme vom Holzstäbchen geleitet. Deshalb versieht man eiserne Ofenthüren und die Deckel von zinnernen Theekannen mit Holzgriffen; deshalb hält ein vor das Fenster gestellter Vorsetzer von Pappe, selbst ein Rouleau oder ein außen angebrachter Fensterladen die Kälte so wirksam ab. Am wenigsten leicht wird die Wärme von der Luft fortgeleitet, wie sich aus der Betrachtung der Doppelfenster ergibt. Die zwischen der innern und äußern Glaswand derselben eingeschlossene Luftschicht bekommt weder viel Wärme vom Zimmer, noch gibt sie von der ihr zugeführten Wärme viel nach außen ab, so daß sie beständig eine mittlere Temperatur behauptet, in welcher die wohlriechende Tulpe, die Tazette und Hyacinthe um Weihnacht fröhlich erblühen und länger vor dem Verwecken sicher sind, als in dem Zimmer. Die Kunst, mit größter Wärmeersparung und geringster Lichteinbuße Doppelfenster einzurichten, soll man in Rußland am besten verstehen. Dort werden die Lücken der Fensterrahmen vorher sorgfältig verklebt, und die im Doppelfensterraume eingeschlossene Luft durch eingestreutes Kochsalz, welches die Feuchtigkeit anzieht, so trocken erhalten, daß die äußeren Fenster der Häuser in Petersburg, wo den Leuten auf der Straße nicht selten die Augenlider anfrieren, eisfrei bleiben, während die äußere Glaswand der Doppelfenster bei uns durch die auf ihr stehenden Eisvorhänge das Licht in der Stube merklich dämpft und die freie Aussicht umflort. Ein zwischen die Doppelfenster eingehängtes Thermometer läßt die frühlingsmäßige, mittlere Temperatur der Lust im Doppelfensterraume deutlich ermessen, und die Leitungsfähigkeit der Luft schätzen.

Läßt man nun zum Schlusse der Fensterbetrachtungen die Eigenschaften des Glases zusammenpassen, und denen des Goldes gegenüberstellen, so wird auch das Kind – selbst wenn es den Werth des Glases für die Wissenschaften, denen es als Linse im Fernrohre und Mikroskope unersetzliche Dienste leistet, nicht kennt – gewiß das Urtheil fällen, daß der Mensch wohl das Gold, nicht aber das Glas entbehren könne, um in außertropischen Ländern sich ein wohnliches, auch im Winter die volle körperliche und geistige Arbeit gestattendes Zimmer herzustellen.

Wir haben das Glasfenster als einen Freund in der Noth erprobt und dadurch den Werth desselben erkannt. Nun wollen wir die physischen Vorgänge, die sich am Fenster darbieten, beobachten und deren Entstehung begreifen lernen, und beginnen unsern Betrachtung mit den Erscheinungen, welche dem Bereiche der Optik angehören.

Das erste Wunderbare, welches den Kindern, selbst schon den Säuglingen am Fenster ausfällt, ist ein Vorgang der Spiegelung. Wenn Abends die Lampe in das dunkle Zimmer gebracht wird, zeigt sich auf der Straße eine in der Luft schwebende Lampe, welche der im Zimmer befindlichen vollkommen gleicht. Jeden Abend betrachten die Kinder dieses Schauspiel mit neuer Lust. Doch bemerken nur ältere und aufmerksamere, daß neben oder vielmehr hinter dem wunderbaren Bilde auf der Straße noch eine gleiche, etwas blässere und oft von der helleren theilweise verdeckte Lampe schwebt. Während man sich bei jüngeren Kindern begnügt, sie zur scharfen Beobachtung der Erscheinung anzuregen, wodurch ihnen auch das Spiegelbild ihres eigenen Gesichtes in sehr blassen Zügen sichtbar wird, müssen die verständigeren zur denkenden Ergründung des angestaunten Phänomens angeleitet werden. Zuerst müssen sie einmal in’s Freie gehen, um sich zu überzeugen, daß man von draußen jenes Bild nicht sieht, daß es also in Wirklichkeit nicht da ist, wie es zu sein scheint. Diese Ueberzeugung ruft den Gedanken an den Spiegel hervor und die Vermuthung drängt sich auf, daß der dunkle Hintergrund der Straße den undurchsichtigen Spiegelbeleg aus Zinn und Quecksilber ersetze. Die durch eine, auf der hintern Seite durch Ruß oder Tusche geschwärzte, Glastafel entstehenden Spiegelbilder machen diese Ansicht zur Gewißheit. Daß die Spiegelung ein Echo des Lichtes ist, und auf dem Zurückprallen der elastischen Aetherwellen von glatten Flächen beruht, ganz so entstehend wie das Abspringen des Gummiballes von der Wand oder der Wiederhall des Rufes vom Felsen, läßt sich leicht begreiflich machen. Bringt man die Lampe dem Fenster näher, so rückt ihr Doppelgänger auf der Straße näher heran; entfernt man die Lampe nach dem Hintergrunde des Zimmers, so zieht sich auch ihr Spiegelbild weiter vom Fenster zurück. Aus diesen Beobachtungen ist leicht das Gesetz herauszufinden, daß das Spiegelbild stets soweit hinter dem Spiegel zu liegen scheint, als der wirkliche Gegenstand sich vor demselben befindet. Die Entstehung des blasseren zweiten Lampenbildes (gewissermaßen eines Doppelecho’s) erklärt sich daraus, daß durch das Anprallen der Aetherwellen an der vordern Spiegelfläche auch der in der Glastafel befindlich Aether in schwache Schwingungen versetzt wird. Dessen Wellen branden an der hintern Glasfläche und wirken auf den Acther des Zimmers zurück.

Sind diese Erscheinungen aufgefaßt, so ist es Zeit, beobachten zu lassen, daß das Fenster auch am Tage der außerhalb des Zimmers Stehenden abgespiegeltes Licht zurückwirft, bei welcher Spiegelung der dunkle Zimmerraum den Spiegelbeleg darstellt. Daraus erklärt sich der eigenthümliche Glanz der Fenster von Außen, den die Maler bei einem, der Symmetrie wegen auf die Wand des Hauses gemalten, Scheinfenster nie darstellen können: daraus erklärt sich ferner die prächtige Vergoldung und Versilberung der Fenster in welche die Abendsonne oder der Mond blickt.

Daß nur die hellsten Gegenstände des Zimmers, wie die Lampe oder Kerze, nicht aber die Wände des Zimmers sich sich abspiegeln, daß ihr Bild auf der Straße erscheint, wird durch die Beobachtung eines Kinderspieles erklärlich. So wie nur der mit Kraft an die Wand geschleuderte Gummiball merklich zurückspringt während der mit geringem Stoße gegen die Wand gerollte Ball an der Wand liegen bleibt, so prallen nur die von sehr hellen Gegenständen ausgehenden kräftigen Lichtwellen von der Glasscheibe so zurück, daß sie das Auge erreichen und in ihm ein deutlichem Bild erzeugen. Sehr matte Aetherwellen erzeugen im Auge keine Empfindung, so wie sehr schwache Luftwellen im Ohre keinen Ton entstehen lassen. So erzeugen auch die von den gegenüber liegenden Häusern an die äußere Fläche der Fenster anbrandenden Aetherwellen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_025.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)