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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

tragend – den sauren, in einem ruhelosen, fortwährenden Gefahren ausgesetzten Leben erworbenen Verdienst eines ganzen Jahres! Daran jedoch denkt der Matrose in diesen Momenten höchsten Glückes nicht. Er jubelt, denn er ist ein vermögender Mann; sein Geist schwärmt, seine Phantasie füllt sich mit Bildern, wie er sie liebt, wie er sie ewig lange Monden entbehren mußte. Jetzt besitzt er, was ihm Genuß, Zerstreuung, Vergnügen, wie nur das Land sie bieten, verschaffen kann, und ohne weiter hinaus, ohne auch nur an die allernächste Zukunft zu denken, sinnt er nur darüber nach, wie er sein Leben einrichten soll, um alle die Herrlichkeiten, die ihm seine von Wein und Porter bereits erhitzte Phantasie vorzaubert, recht heiß, recht lange, recht von Grund aus durchzukosten.

Vorerst vertieft er sich wieder in die Kellerräume. Abermals wird Wein, Porter, Ale, Grog, Punsch, kurz was vorhanden ist und was der Uebermuth des plötzlich reich Gewordenen begehren mag, aufgetragen. Die hundert Mal gehörten Lieder werden auf’s Neue begehrt und gesungen, manchmal auch geschrieen, um nicht zu sagen, gebrüllt. Trommelnd begleiten zehn, zwanzig und mehr Fäuste den Takt der Melodie, die oft von einem Hussah, einem gellenden Jubelschrei, einem jauchzenden Lachtriller unterbrochen wird. Darauf folgen Toaste, dem Schiffsherrn, dem Kapitain, der nächsten Reise, den Schönen und ihren Schwestern geltend, welche die Harfe schlagen oder schlagen könnten, jeder eingeleitet mit dem Commandoruf: Eins, zwei, drei, worauf ein wändeerschütterndes „Hurrah“ lang gedehnt nachhallt.

Dies Toben währt so lange, bis die Nüchternsten unterhaltendere Erheiterungen vorschlagen. Dem Redebegabtesten bleibt der Sieg. Man bezahlt die Zeche, wenn es nicht bereits geschehen sein sollte, denn Geld ist ja in Ueberflnß vorhanden. Harte preußische Thaler und dänische Spezies rollen und klirren auf Tischen und Bänken. Einer der Lustigsten spielt Fangeball mit seiner Heuer, indem er das silbergefüllte Taschentuch, das er als Börse benutzt, emporwirft und wieder auffängt, bis der lose geschürzte Knoten sich löst, und ein wahrer Jupiterregen sich über Haupt und Schultern des ausgelassenen Jongleurs ergießt. Dies Intermezzo erhöht noch die Heiterkeit der Ueberglücklichen. Alles bückt sich, fällt wohl auch und stößt sich, um das in alle Ecken rollende Silber wieder einsammeln zu helfen, und da Jeder grundehrlich ist, so befindet sich der Lustige alsbald wieder im vollen Besitz seines Eigenthumes, das er jetzt in allen Taschen, nicht eben sehr sicher, so gut es gehen mag, unterbringt.

Inzwischen ist es vor den Kellern sehr lebhaft geworden. Es warten hier nicht nur eine Anzahl Droschken, um die Jubilirenden weiter zu befördern, wenn ihnen die Kellerräume zu eng und dunstig werden, auch Bittende, dem einst schön gewesenen Geschlecht zugehörend, haben sich eingefunden, um die Mildthätigkeit der jungen Männer in Anspruch zu nehmen. Gewiß, man hat ein Recht, der Mehrzahl junger Matrosen eine gewisse Rohheit vorzuwerfen, dies äußerlich rohe Wesen schließt aber durchaus eine ihm tief in’s Herz gewachsene Gutmüthigkeit und Nächstenliebe nicht aus. Wenige geben lieber und mit heitererm Gesicht, als der Matrose, der seinen schwer verdienten Lohn so eben eingesäckelt hat. Der Vornehme und Reiche, dem mit zitterndem Flehwort die darbende Armuth um ein Almosen bittet, verabreicht wohl, ist er gut bei Laune, dem Bittenden einen Schilling, der abgemusterte Matrose dagegen gibt ohne Widerstreben großmüthig, zu oft leider nur ohne zu fragen, ob diese Freigebigkeit auch angewandt sei und gute Früchte trage. Er gibt, weil er besitzt, und da er mit Zukunftssorgen sich nie das Herz beschwert, so gibt er Jedem, der zu rechter Zeit die Hand ausstreckt, wenn er sich, immerfort singend und johlend, in die Sammetpolster des Wagens wirft, daß die Glasscheiben oft klirren und brechen. Nun ist der Wagen voll, ein Ueberzähliger springt trotzdem noch mit geraden Beinen hinein, ein Anderer schwingt sich gelenken Fußes zum Kutscher auf den Bock, die glänzenden Ledermützen der Exaltirten wirbeln unter grüßendem Hurrahgeschrei in der Luft, und mit dem Gesange des von deutschen Matrosen noch immer hoch in Ehren gehaltenen Liedes: „Schleswig-Holstein etc.“, an das sich so viele große, erhebende und wehmüthige Erinnerungen knüpfen, donnern die fortrollenden Wagen über das holprige Pflaster.

Durch seinen Beruf an starke Aufregungen gewöhnt, hat der Matrose wenig Sinn für feine und stille Genüsse. Bei ihm muß Alles ätzend und geräuschvoll sein. Wo es recht laut, recht wild und toll zugeht, da befindet er sich am wohlsten. Auch am Lande kann er nicht leben, ohne in dem Getümmel, das ihn umtost, das Brechen aufgewühlter Meereswogen, die fürchterlichen Schauer alle Masten und Planken eines Vollschiffes erzittern machender Sturzseen zu fühlen. Die Lust an solchen Vergnügungen steigert sich bei ihm mit der wachsenden Erhitzung durch geistige Getränke, und hat er bisher an sich gehalten, jetzt, wo er über ein kleines Vermögen verfügt, vermag er den Lockungen nicht länger zu widerstehen, die in der weltbekannten Vorstadt Hamburgs, in den Tanzsälen St. Pauli’s tausend und aber tausend Seefahrern winken.

St. Pauli oder „der Hamburger Berg,“ wie man früher sagte, ist das Paradies aller Matrosen und wird es so lange bleiben, als Hamburg sich eines blühenden Seehandels zu erfreuen hat.

Es ist der Mühe werth, das Treiben in jenen Lokalen, wo der junge Seemann vorzugsweise gern verkehrt, zu betrachten, obwohl wenig Gutes davon gesagt werden kann. Ein Splitterrichter thut besser, seine Schritte niemals dahin zu richten, denn man opfert hier weder der keuschen Vesta noch den Grazien. Es ist ein Stück Urweltsleben, das sich vor unsern Blicken entfaltet, ein Leben, wie es nur zügellose Genußsucht, blind waltende Leidenschaft und die lechzende Gier nach heißester Sinnenlust zu schaffen vermag. In diesen großen Etablissements, welche die Eigenschaften von Wirths- und Kaffeehäusern, von Tavernen und Grogschenken, von Tanzsälen und Tempeln feiler Venuspriesterinnen in sich vereinigen, schwelgt sich der Matrose während seines Landaufenthaltes müde und satt. Hier lockt grelle Musik ihn zum rasenden Tanze, in dem er sich mit hochgeschürzten, heißglühenden Nymphen schwingt, bis athmendes Keuchen der Brust ihm Ruhe gebietet. Freigebig wirft er mit den eben erst eingesäckelten Silberstücken um sich, jeden Händedruck lächelnder Schönen, jede Liebkosung schmeichelnder Hände theuer bezahlend. Wein, Punsch, Grog, Nigus, Champagner fließen in Strömen. Die Lust macht ihn rasend, er wüthet förmlich im Genusse, und so lange noch eine Geige klingt, ein Triangel klirrt und der verführerische Glanz einer weißen Schulter seine Sinne kitzelt, stürzt er sich von Genuß zu Genuß. Nur physische Erschöpfung gebietet ihm, dem maßlosen Schwelgen endlich ein Ziel zu stecken.

Zweierlei ist zu bewundern bei diesen allwöchentlich mehrmals sich wiederholenden Festins, die „In die vier Löwen,“ wie auf dem Schilde zu lesen steht, oder in den „Drei Kronen“ und andern Lokalen stattfinden, ich meine die unverwüstliche Ausdauer der menschlichen Natur und die Ordnung, welche ungeachtet des wahrhaft dämonischen Durcheinanders dennoch fast immer aufrecht erhalten wird. Denn hier dominirt nicht etwa der deutsche Matrose allein, in diesen Sälen, wo man ein Chor thyrsusschwingender Bacchantinnen im Arm halbtrunkener Faune wieder aufleben zu sehen meint, hier hat der gelbliche Finne mit seiner kugelrunden Pudelmütze, der schlanke elastische Sohn Andalusiens mit dem feueräugigen Don Juansantlitze, der ewig kühle Engländer, der klotzige derbe Jüte von Lymfjord, der rasche, kecke und dabei immer galante Bonvivant aus der Provence, der phlegmatische Holländer, der tückisch blickende Mulatte und der finstere Mohr, dessen dunkles Antlitz unter dem feuerrothen Tarbusch wahrhaft satanisch glänzt, gleichen Antheil und vollkommen gleiches Recht an Allem, was es Anziehendes und Begehrenswerthes für ihn gibt. Die Hölle Dante’s würde um ein ergreifenderes Bild reicher sein, hätte der Dichter derselben nur eine Nacht solchem Matrosen- und Phrynenballe beigewohnt. Der Anblick dieser wild entfesselten Sinnenlust, die nichts weiter will, als maßlos schwelgen im Genusse, hat etwas satanisch Erhabenes. Es ist ein Bild höllischen Freudentaumels in irdischer Goldumrahmung. Man wird festgehalten und abgestoßen davon, bezaubert und angewidert, aber das Auge ist gebannt von dem Geiste, der diese Welt beseelt, die matt und röchelnd erst beim Grauen des Tages in bleiernen Schlaf versinkt.

Es kommt nicht selten vor, daß jubelnde Matrosen an der Seite ihrer Auserwählten in zwei oder drei bacchantisch durchlebten Nächten den ganzen Verdienst einer Jahresreise, d. h. zwischen 200 und 300 Thalern pr. Cour. verausgaben. Man hat aber nie gehört, daß sie ob solcher Verschwendung sich trübe Gedanken oder gar Vorwürfe machten. Ein tüchtiger Matrose bleibt stets gesucht, der Hafen liegt voll segelfertiger Schiffe, eine neue Heuer ist also bald gefunden. Und wenn dann nach wild durchlebten Tagen und Nächten, die ihn niemals gereuen, eine neue Monatsgage in seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_039.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)