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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

wurde, war ihre Aufmerksamkeit desto gespannter auf Alles gerichtet, was sich in dem Saale zutrug. Der Maire begann sein Amt.

„Herr Hermann Friedrich Wilhelm von Rixleben, gewesener Major in königlich preußischen Diensten, gegenwärtig wohnhaft auf dem Gute Harthausen, in der Gemeinde Harthausen, Sie haben die Absicht, sich ehelich zu verbinden mit dem anwesenden Fräulein Marie Antoinette Andreä aus Würzburg?“

„Ja,“ sagte der Major.

„Und auch Ihr Wille ist diese Verbindung, Fräulein Marie Antoinette Andreä?“

„Ja,“ sagte die Braut.

„Zur Bekräftigung Ihres ausgesprochenen Willens zeichnen Sie beide Ihre Namen in dieses Buch ein; Ihre Verbindung ist dadurch nach den Gesetzen des Landes fest und unwiderruflich geschlossen; Sie, der Herr Bräutigam, zeichnen zuerst ein. Vorher muß jedoch noch eine Formalität erfüllt werden. Den Geburtsschein des Herrn Bräutigams hat die Frau Generalin mir bereits übergeben, aber nun fehlt noch der der Fräulein Braut.“

Emma von Rixleben hatte mit angehaltenem Athem jedes Wort des Beamten angehört. Als er des Geburtsscheines der Braut erwähnte, malte sich die höchste Spannung in ihrem Gesichte; sie war leichenblaß; alles Blut war plötzlich zu dem Herzen zurückgeströmt, das ihr zu zerspringen drohete. Mit glanzlosen, wie erstorbenen Augen starrte sie nach der Braut, nach jedem Zuge ihres Gesichtes, nach jeder ihrer Bewegungen; sie war unwillkürlich unbewußt bis an den Tisch getreten, bis unmittelbar hinter die Braut, letztere hatte sich verfärbt, als der Beamte des Geburtsscheines erwähnte.

„Ach, ich hatte nicht an ihn gedacht.“

Es entstand ein momentanes verlegenes Schweigen. In den Augen Emma’s leuchtete ein dunkel glühender Blick; ihr Herz schlug fast hörbar; sie mußte gewaltsam die Hand darauf drücken; von der Braut verwandte sie keine Sekunde lang das Auge.

„Ist der Schein unumgänglich nöthig?“ fragte der Major.

„Unumgänglich!“

„Und Du hast ihn vergessen, Marie?“

„Nur hier; er ist oben in meinem Reisekoffer.“

„Kann ich ihn finden? Erlaubst Du –?“

Die Braut kämpfte eine Sekunde lang mit sich.

„Ich bedauere, daß Du Dich bemühen sollst,“ erwiederte sie dann zustimmend.

Der Major eilte zum Saale hinaus; die Braut sah ihm ziemlich unruhig nach; die Generalin war etwas verstimmt geworden, als wenn sie, die für Alles gesorgt hatte, sich Vorwürfe machte, an dieses Erforderniß nicht gedacht zu haben.

Jetzt trat eine verlegene Stille im Saale ein. Emma blickte mit derselben Spannung, mit welcher sie bisher nach der Braut gesehen hatte, zu der Thür, durch welche der Major zurückkommen mußte.

Dieser kehrte, ein Papier in der Hand haltend, alsbald zurück; sein Gesicht war beglückt, und aus dem der Braut verschwand nun auch der letzte Zug von Unruhe. Er überreichte das Papier dem Gemeindebeamten, welcher es genau prüfte.

„Es ist in Ordnung,“ sagte er.

Emma von Rixleben war seinen prüfenden Blicken gefolgt; als er die Worte sprach, schien sie plötzlich, wie nach einer großen, schweren Anstrengung zusammenzubrechen; sie machte eine rasche Bewegung nach der Braut, und streckte ihre Hände aus, als wenn sie die derselben fassen wolle. Ihr Blick war bittend; ihre Lippen bewegten sich; es war, als wenn sie der Braut ein großes Unrecht abbitten wolle. Aber auf einmal leuchtete in ihrem Auge wieder jener dunkelglühende Blick eines furchtbaren Mißtrauens; sie kehrte zu ihrem Platze an dem Fenster zurück, und sank dort auf einem Stuhle nieder.

Das Brautpaar unterschrieb; Beide mit fester, sicherer Hand. Der Geistliche sprach darauf den Segen der Kirche über sie. Dem neuen Ehepaare wurden nun die Glückwünsche dargebracht.

Als Emma von Rixleben sie ausgesprochen hatte, warf sie sich in die Arme der Generalin und sagte: „Du bist jetzt glücklich, Tante, weil es Hermann ist; nun bedürft Ihr meiner hier nicht mehr. Du wolltest mich schon so lange nach Berlin zu meiner weiteren Ausbildung schicken. Jetzt thust Du es, nicht wahr?“

Die Generalin von Rixleben schüttelte etwas nachdenklich den Kopf, aber sagte es ihr für den Augenblick zu.




Ⅲ.
Die Ehegatten.

Die Majorin von Rixleben saß in ihrer Kinderstube. Wie freundlich, wie lieblich, wie schön ist es in einer Kinderstube! Sie ist der Aufenthalt der Engel dieser Erde; der sichtbaren, der hellen, lachenden Lockenköpfchen, und der unsichtbaren, die ihnen der Himmel zu ihrem Schutze zusendet. Wie doppelt lieblich, heimlich und schön ist die Kinderstube, wenn sie zugleich die Stube der Mutter ist! Zu jenen unsichtbaren Engeln der Kinder hat sich dann ihr freundlichster, ihr liebevollster Schutzengel gesellt, die Mutter mit ihrem Herzen voll unendlicher Liebe, Treue und Aufopferung. Die Kinderstube der Frau von Rixleben war zugleich die Stube der Mutter.

Es war im Herbste des Jahres 1811 an einem Nachmittage. Die Frau von Rixleben saß mit zwei lieblichen Kindern in der Stube; das eine, ein Knabe von sieben bis acht Monaten, war ein prächtiges Kind, dessen braunes Haar schon begann sich zu locken, das schon längst das freundliche Gesicht und die süße Stimme der Mutter kannte und gewohnt war, den Augen derselben zuzulächeln und an dem Schnurrbarte des Vaters zu zausen. Der Knabe saß auf einer Decke am Boden des Zimmers; mit ihm spielte ein bildschönes Mädchen von etwa fünf Jahren, ein ewiges freundliches und glückliches Lächeln. Fast glücklicher als die Kinder war die Mutter.

Die Mutter?

Wer in jener Gegend, in einer Umgebung vieler Meilen, von ehelicher Liebe und ehelichem Glücke sprach, der sprach von dem edlen Major von Rixleben und seiner schönen, liebenswürdigen Gattin; das Glück ihrer Ehe wurde erhöht durch die innige Eintracht, in der sie mit der Generalin zusammen lebten.

In der äußern Lage des Majors hatte sich fast nichts geändert. An einen Wiedereintritt in den preußischen Militärdienst war für ihn nicht zu denken gewesen; er hatte auch keine Schritte dieserhalb gethan; nach der damaligen politischen Situation mußte er sogar fürchten, auch in der preußischen Armee für den Dienst des fremden Unterdrückers verwendet zu werden; der russische Feldzng zeigte dies später in der That: Kam über kurz oder lang eine Zeit, in der seine Dienste seinem Vaterlande und dem König nothwendig waren, so konnte er alsdann noch immer früh genug auf dem Platze sein. Von Seiten des Kasseler Hofes waren ihm einige Male Anerbietungen gemacht, in die westphälische Armee einzutreten; man hatte, um den Mann von so hervorragender Persönlichkeit, von so großem Rufe der Tapferkeit, der militairischen Einsicht und der Treue, und von so allgemeinem Vertrauen weit im Lande, zu gewinnen, ihm eins der schönsten Regimenter der wirklich schönen westphälischen Armee angeboten, man hatte ihm sogar die Generalsepauletten in nahe Aussicht gestellt; er lehnte aber alle Anerbietungen mit der offenen Erklärung ab, daß er schon als ehemaliger preußischer Offizier mit seinem Gefühle, wie mit seinen Grundsätzen es unvereinbar finde in ein Heer einzutreten, das immerhin, wenn auch nicht unmittelbar, einen Theil derjenigen Armee bilde, durch welche sein ehemaliger Kriegsherr besiegt worden sei. Man hatte diese offene Erklärung geehrt, und eine Folge war in der That gewesen, daß die offene und geheime polizeiliche Aufsicht, unter der er seit seiner Rückkehr aus Rußland stand, weniger streng geworden war. Dies war die einzige Veränderung seiner Lage seit seiner Verheirathung.

Er hatte schon vorher die Bewirthschaftung des Gutes Harthausen übernommen, und sich ihr mit Eifer gewidmet; seine junge Frau ging ihm bald mit Eifer darin zur Hand. Wie er die eigentlichen landwirthschaftlichen Arbeiten leitete und beaufsichtigte, so leitete sie das Hauswesen und besorgte fast ausschließlich die Führung der Bücher und der Korrespondenz; wie sie ihm im Eifer nicht nachstand, so stand sie auch in Geschick ihm würdig zur Seite: dabei war sie ihrer Schwiegermutter immer eine kindliche Freundin.

Die Generalin hatte Emma bald nach Berlin gebracht. Sie war an ihren Umgang, an die Liebe des Kindes gewöhnt gewesen, und sollte sie seit ihrer Rückkehr kaum einen Tag vermissen, denn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_046.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)