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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Ich glaube es!“ gab sie lächelnd zur Antwort.

„Auch über Dich, die Du ihr stets zur Seite warst. So oft Du tanztest, waren Aller Augen auf Dich gerichtet. Selbst der neue Präsident gab dem Kanzleirath seine Verwunderung zu erkennen.“

„Der alte Präsident von Seldorf?“ rief sie lachend, um ihre Verlegenheit zu verbergen. „Der graue Sünder schien mehr Aufmerksamkeit für Cäcilien, als für mich zu haben.“

„Und dies geschieht natürlich aus Klugheit, weil er einem gewissen Gerüchte glaubt –“

„Otto, schenkst auch Du der Medisance Glauben?“ sagte Henriette, indem sie ihren Gatten mit einem vorwurfsvollen Blicke ansah. „Kannst Du es nicht über Dich gewinnen, da zu vertrauen, wo Deine Frau vertraut?“

„Ich wiederhole Dir, mein Kind, daß ich in Angelegenheit dieser Art für meine Frau sehen und handeln muß. Du läßt Dich in Deiner Gutmüthigkeit verblenden. Vergiß nicht, daß wir in einer kleinen Residenz leben, daß wir erst kurze Zeit verheiratet sind, und daß eine liebenswürdige Frau, die sich glücklich in der Ehe fühlt, beneidet und nicht selten auch gehaßt wird.“

„Otto, der geachtete greise Rendant Ernesti hat Cäcilien auf den Ball geführt, er hat die Polonaise mit ihr getanzt – ich bitte Dich, dies zu bedenken. Oder zweifelst Du, daß der alte Mann im Punkte der Ehre eben so streng denkt und handelt, als Du?“

„Der Rendant ist ein würdiger Mann, er ist selbst mein väterlicher Freund, dem ich großen Dank schulde. Aber, Henriette, er fühlt anders, als Dein Mann – er sieht mit den Augen des Verstandes, während ich mit dem Herzen sehe. Ich verhehle nicht, daß ich mich gewundert habe, als ich ihn mit Fräulein von Hoym in den Saal treten sah. Dieser Einführung liegt ein Geheimniß zum Grunde, ich bleibe dabei. Was sich für den greisen Rendanten schickt, schickt sich nicht für uns. Henriette, willst Du mir das Glück, das mir Dein Besitz bereitet, in seiner ganzen Ausdehnung erhalten, so vermeide das Aufsehen, das durch Deinen öffentlichen Umgang mit Cäcilien hervorgerufen wird.“

Der Sekretair umarmte seine Frau und küßte ihr die Stirn, als ob er durch diese Zärtlichkeit seiner Bitte mehr Nachdruck geben wollte.

„Und gestehe es nur,“ fügte er hinzu, „Du ahnst wenigstens das Geheimniß, von dem ich spreche, wenn Du es auch aus Freundschaft nicht kennen willst.“

Henriette legte ihre schönen Hände auf Otto’s Schultern, und sah ihn einige Augenblicke mit einem schalkhaften Lächeln an.

„Mein Freund,“ sagte sie dann, „hast Du denn keine Augen? Hast Du denn nicht gesehen, daß auch Albert Ernesti mit Cäcilien getanzt hat?“

„Gewiß, ich habe es gesehen. Albert ist ein junger Mann, Offizier –“

„Und ein Offizier ist ein Mann von Ehre!“ rief rasch die junge Frau.

„Dafür halte ich den jungen Ernesti!“

„Nun, erräthst Du das Geheimniß immer noch nicht?“

„Nein!“

„So muß ich es Dir vertrauen: Albert liebt Cäcilien, und sie liebt ihn. Würde der alte Ernesti diese Liebe billigen, wenn er sich und seinen Sohn dabei compromittirt sähe? Und hat er sie nicht öffentlich dadurch gebilligt, daß er die junge Dame einführte? Kann und darf ich mich jetzt zurückziehen, ohne den Rendanten, dem Du Dank schuldest, zu kränken? Ich kenne das Geheimniß dieser Liebe, ich allein, und darum erlaube mir, daß ich den Lästerzungen noch für einige Zeit Trotz biete. Wie wird man staunen, wenn Albert seine Verlobung ankündigt! Cäcilie ist reich, sehr reich, und sobald sie über ihr Vermögen verfügen kann, wird der Verlobung nichts mehr entgegenstehen, als der Konsens des Fürsten, dessen Albert als Offizier bedarf.“

„Zweifelt man an der Erlangung desselben?“ fragte der Sekretair.

„Ja und nein!“ antwortete Henriette lächelnd.

„Was soll das heißen?“

„Dieser Frage liegt ein Geheimniß zum Grunde, mein lieber Freund, das ich selbst nicht kenne, und das vielleicht nur dem alten Ernesti bekannt ist. Aber was es auch sein möge – die Ehre Cäciliens betrifft es wahrlich nicht. Und nun beruhige Dich, die Zeit wird Alles aufklären. Jetzt werde ich Cäcilien einen Morgenbesuch abstatten, sie erwartet mich um elf Uhr zur Chokolade. Gibst Du mir die Erlaubniß dazu?“

Otto willigte zwar aus Rücksicht für den Rendanten ein, aber seine Bedenken waren nicht vollständig beseitigt. Er ging in sein Zimmer, nachdem er Henrietten noch einmal Vorsicht anempfohlen hatte. Die junge Frau nahm Hut und Shawl, und schlüpfte über die einsame Promenade nach dem Hause, das die Freundin bewohnte.

Der Sekretair wollte sich bis zu Tische mit einigen dringenden Dienstarbeiten beschäftigen, und holte dazu die betreffenden Papiere hervor. Noch hatte er nicht begonnen, als die Magd eintrat, und ihm einen Brief überreichte. Als er die Adresse betrachtete, drückte sich eine unangenehme Ueberraschung in seinen Zügen aus; diese Ueberraschung ging in Bestürzung über, als er den Brief las, der folgende Zeilen enthielt:

 „Mein Herr!
„Seit drei Monaten ist der Wechsel abgelaufen, auf dessen Grund Sie mir viertausend Thaler schulden; ich würde Ihnen mit Vergnügen noch eine längere Frist gestatten, wenn ich binnen acht Tagen nicht eine Zahlung zu leisten hätte, die, wenn sie nicht erfolgt, meinen Kredit erschüttert, selbst vernichtet. Sie wissen, daß ich kein reicher Mann bin, und daß eine Summe von viertausend Thalern in meinen Verhältnissen schwer wiegt. Tragen Sie Sorge, bis nächsten Sonnabend die Schuld zu tilgen, ich würde sonst, so leid es mir thut, gezwungen sein, gerichtliche Hülfe in Anspruch zu nehmen. Ich bin Geschäftsmann und Familienvater, und kann unter keiner Bedingung ferneren Aufschub gestatten.
 Spanier, Hofkommissär.“

Dem armen Sekretair trat der kalte Schweiß auf die Stirn; er stützte den Kopf und starrte die verhängnißvollen Zeilen an, die ihn so eindringlich an seine peinliche Situation mahnten. Henriette kannte das Opfer nicht, das er seiner Liebe gebracht, sie ahnte nicht, daß das Haus sammt Mobiliar dem Hofkommissär verschrieben war, der den Schuldner auch noch in Wechselhaft bringen konnte. Zum ersten Male schlug sich Bergt an die Stirn, indem er murmelte: „Du hast es gut gemeint, aber du hast zu viel gethan, du hast leichtsinnig gehandelt!“ Er wußte, wie schwer es war, in der kleinen Stadt, selbst in dem ganzen Lande eine solche Summe aufzutreiben. Der Werth der Grundstücke war tief herabgesunken, und wer lieh ihm auf ein Haus, das keinen praktischen Vortheil bot, als ein bequemes Wohnen, viertausend Thaler? Spanier war ein Jude, mithin unbeugsam, wie alle Juden, wenn es sich um Geld handelt. Welches Mittel sollte er ergreifen, um sich aus dieser fürchterlichen Lage zu ziehen? Er wagte es nicht, an den Eclat zu denken, den die Strenge des Juden herbeiführen konnte. Verzweiflungsvoll durchmaß er sein elegantes Arbeitszimmer, dessen Möbel ihm drohend entgegenglänzten.

Da fiel ihm Cäcilie ein, die ein großes Vermögen besitzen sollte. Wie anders aber konnte er mit ihr verhandeln, als durch Henrietten? Seine Eitelkeit, sein Stolz sträubten sich gegen diesen Schritt. Und würde Henriette darauf eingehen, der Freundin ihre Armuth zu entdecken? Welch ein Schlag war das für die arme Frau, die sich in dieser Umgebung so glücklich fühlte?

„Nein, nein,“ rief er aus, „ehe es dahin kommt, werde ich versuchen, was möglich ist! Aber an wen wende ich mich? An den Juden? Nein, nein, als ich vor drei Monaten um Frist nachsuchte, stand ich wie ein Bettler vor ihm. Aber für wen bettele ich denn?“ fragte er sich plötzlich. „Wem bringe ich das Opfer dieser Demüthigung? Henrietten, meiner angebeteten Gattin!“

Er bezwang seinen Stolz, und ging zu dem Juden. Die Leute, die ihm in der Straße begegneten, grüßten freundlich, selbst ehrfurchtsvoll. Ah, wenn sie gewußt hätten, was in der Seele des armen Sekretairs vorging, den sie für reich und glücklich hielten!

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_076.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)