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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

mußte mein häufiges Verweilen auf seinem Hofe aufgefallen sein, denn er trat eines Morgens an mich heran und frug: ob ich mich denn so sehr für das Zufahren von Pferden interessire und auch etwas davon verstehe? Beides konnte ich mit gutem Gewissen bejahen, denn von Jugend auf hatte ich eine große Neigung für das Fahren und Reiten gehabt und mich wirklich auch in Ersterem gut geübt. Besonders der Unterricht, den ich im Fahren mit den Geschützen bei dem alten Artilleriehauptmann in Posen erhalten, als ich auf zwei Jahre zur Dienstleistung bei unserer Artillerie kommandirt war, hatte mich ziemlich ausgebildet und mir namentlich auch in der Theorie des guten Fahrens und in der richtigen Benutzung der Kräfte der Zugthiere Kenntnisse verschafft.

Der Omnibusbesitzer, ein sehr schlau spekulirender Amerikaner, verlangte nun Beweise von meiner Fahrkenntniß, und da gerade vier Pferde zusammen eingefahren wurden, – denn bei dem sehr belebten Verkehr im Broadway von New-York ist es von großer Wichtigkeit, daß die Gespanne sehr gehorsam sind, – so zeigte ich ihm gleich auf dem Hofe, daß ich wirklich Peitsche und Leitseil mit vieler Geschicklichkeit zu führen verstehe. Dem Amerikaner schien dies zu gefallen, denn er trug mir darauf ein Engagement als Omnibuskutscher mit zwölf Dollars wöchentlicher Bezahlung an.

Im ersten Augenblicke stutzte ich wohl etwas, daß ich, der langgediente Offizier, der Sprößling einer altadeligen Familie, jetzt Omnibuskutscher werden solle; dann aber daran denkend, daß ich nicht mehr in Deutschland, sondern in Nordamerika sei, nahm ich die Stelle an. Zwei Tage lang fuhr ich mit einem anderen Kutscher neben mir auf dem Bocke, damit ich die nöthigen Lokalkenntnisse erlangte, dann wurde ich regelmäßiger Kutscher, der ganz in seine Tour eintrat. Es war freilich ein großer Unterschied zwischen meiner früheren Stellung und der jetzigen, aber man muß die nordamerikanischen Sitten berücksichtigen, um es erklärlich zu finden, daß ich dieselbe angenommen habe, obgleich ich noch einige Tausend Thaler baares Vermögen bei der New-Yorker Bank deponiren konnte. Kaufte ich mich sogleich an oder unternahm ein eigenes Geschäft, ohne die nordamerikanischen Verhältnisse genau zu kennen, – wie dies leider so manche deutschen Auswanderer thun, – so hatte ich die ziemlich sichere Aussicht, arg betrogen zu werden und schweres Lehrgeld von meinem Vermögen zu bezahlen, und diese unangenehme Erfahrung wollte ich doch, wenn irgend möglich, vermeiden; aber gerade in meiner jetzigen Stellung als Omnibuskutscher in einem sehr großen Etablissement hatte ich vielfache Gelegenheit, mich über Manches, was ich gern genau wissen wollte, recht gründlich zu unterrichten. Das Verhältniß eines solchen Kutschers zu dem Besitzer der Unternehmung war hier übrigens ganz anders, als wie es in Europa der Fall sein würde; ich war sein Gehülfe, nicht aber sein Diener, für einen bestimmten Zweck engagirt und hatte ich diesen erfüllt, eben so gut mein eigener Herr, wie der Besitzer selbst. Jede, auch die kleinste Versäumniß von meiner Seite wurde von dem Stallinspektor mit einer Geldbuße bestraft, auch stand uns gegenseitig das Recht der dreitägigen Kündigung zu; im Uebrigen kümmerten wir uns nicht im mindesten um einander. Der ganze Stalldienst und die Pferdewartung ging mich nichts an und wurde von eigenen Stallknechten, größtentheils Negern, besorgt; ich mußte nur zur bestimmten Zeit auf meinem Bocke sitzen und bis zur festgesetzten Stunde fahren, worauf ich dann die Zügel und Peitsche fortlegte und ruhig meiner Wege ging. Meine Fahrzeit war abwechselnd einen Tag zehn, den zweiten zwölf und den dritten sogar vierzehn Stunden in einem bestimmten Umkreise; jeden zehnten Tag hatte ich aber völlig frei für mich. Alle vier Stunden wurden frische Pferde vorgespannt, und während dies geschah und der Omnibus nachgesehen wurde, ob er vielleicht schadhaft geworden, konnte ich in Eile ein Stück gutes Fleisch verzehren und auch ein Glas Brandy dazu trinken.

So war ich denn Omnibuskutscher auf dem Broadway in New-York geworden und führte statt des Degens die Peitsche in meiner Rechten. An meine früheren Verhältnisse durfte ich freilich nicht mehr zurückdenken, sonst kann ich aber nicht leugnen, daß ich mich gar nicht so ungemüthlich fühlte. In einen sehr bequemen und weiten warmen Rock von weißgrauem Tuche gehüllt, bei schlechtem Wetter einen Regenmantel darüber, einen breitkrämpigen Wachstuchhut auf dem Kopfe, saß ich stolz auf meinem Kutschbocke, führte Peitsche und Zügel mit sicherer Hand, rauchte gemüthlich meine Cigarre und schaute mit philosophischer Ruhe das rings um mich herum sich entfaltende Gewühl einer großen Weltstadt.

Da der Besitzer bald einsah, daß ich besser wie seine übrigen Kutscher, welche meist Irländer waren, fuhr, und besonders auch auf die jungen Pferde alle mögliche Rücksicht nahm, so erhielt ich stets die neuesten und besten Gespanne, die man noch sicherer einfahren lassen wollte, und es machte mir oft großes Vergnügen, stets so ein paar feurige tüchtige Rosse von meinem hohen Bocke aus zu lenken. Auch setzten sich häufig Passagiere auf das Verdeck, so daß ich viel Neues hörte und kennen lernte und mich bei meinen Fahrten nicht wenig in den Sitten und Verhältnissen des Landes unterrichten konnte. Hatte ich einige freie Stunden, so zog ich mich gut an und ging in irgend ein Gast- oder Kaffeehaus ersten Ranges, machte auch an den mir zukommenden freien Tagen, wenn die Witterung es mir erlaubte, Ausflüge in die nähere oder weitere Umgebung der Stadt, wobei ich meine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Betreibung der Landwirthschaft richtete.

Wenn ich in diesen Gasthäusern vornehmer Klasse auch bisweilen Passagiere traf, die ich vor einer Stunde vielleicht noch als Kutscher gefahren hatte, so machte dies nichts aus, und sie wunderten sich keineswegs, mich jetzt in ihrer Gesellschaft zu sehen, wie das in Deutschland entschieden der Fall sein würde, wenn ein Omnibuskutscher an dem Tische eines Gasthauses ersten Ranges zu Mittag essen wollte. In Nordamerika gibt im öffentlichen Verkehr nur das Geld einem Menschen seinen Werth, einen andern Maßstab kennt man hier gar nicht. Hat Jemand den Beutel voll Dollars, so besucht er theure Restaurationen und den ersten Rang im Theater und Niemand nimmt Anstoß, ihn an diesen Plätzen zu finden, gleichviel, welche Beschäftigung er auch sonst treiben mag; fehlt ihm aber Geld, so wird er stets über die Achsel angesehen, und als ein untergeordnetes Wesen betrachtet, und wenn er noch so viel Kenntnisse, geselligen Anstand und andere vortreffliche Eigenschaften besäße. Mit meinen zwölf Dollars per Woche, die ich regelmäßig empfing, reichte ich aber gerade aus, um recht gut zu leben, und mich mit passender Kleidung, reichlicher, kräftiger Nahrung, einem gesunden, freundlichen Schlafkämmerlein und dem nöthigen Taschengelde für den zehnten freien Tag zu versehen. Ersparungen machte ich nicht, brauchte aber auch von meinem Gelde, das mir unterdeß hohe Zinsen trug, nichts auszugeben, lernte dabei geläufig Englisch sprechen, besonders in der Art, wie es die Nordamerikaner der untern Stände reden, machte gar viele nützliche Erfahrungen, und konnte somit sicher zufrieden sein, daß ich vorerst Kutscher geworden war, und mich nicht sogleich irgendwo angekauft hatte, wie es so viele deutsche Einwanderer, die noch einiges Vermögen besitzen, leichtsinniger Weise thun.

Freund Hansen erhielt eine einträgliche Stelle als Hufschmied in unserm Etablissement, und verdiente bald eben so viel, wie ich selbst. Wir wohnten in zwei Kammern neben einander, und wenn wir zu Hause waren, ließ Hansen es sich nie nehmen, mich Herr Hauptmann zu nennen, und ganz so zu bedienen, als sei er noch mein Ordonnanzsoldat; auch putzte er mir regelmäßig die Stiefeln, und war in jeder Hinsicht voll der aufrichtigsten Treue und Ergebenheit für mich.

Ein seltsames Zusammentreffen, das mich recht lebhaft an meine früheren Verhältnisse erinnerte, begegnete mir, als ich wohl schon acht Monate Omnibuskutscher war. Ein sehr wohlhabend gekleideter Amerikaner saß hinter mir auf dem Decke des Wagens, und fixirte mich lange mit sehr aufmerksamen Blicken. Das Gesicht dieses Mannes kam auch mir ungemein bekannt vor, doch konnte ich mich nicht recht besinnen, wo ich ihn schon früher gesehen haben mochte. Endlich, am Haltplatz, als die Pferde gewechselt wurden und ich eine freie Viertelstunde hatte, redete mich dieser Herr auf sehr höfliche Weise in gutem Deutsch an, fragte nach meinem Namen und ob ich nicht früher als preußischer Offizier einige Zeit in Koblenz in Garnison gestanden. Ich hatte keinen Grund, dies zu verschweigen, und erinnerte mich nun auch genau des Mannes, der damals als junger, reicher Amerikaner einige Wochen in Koblenz gelebt, und viel mit mir verkehrt hatte. Derselbe wunderte sich nun freilich nicht wenig, mich jetzt als Omnibuskutscher in New-York wiederzusehen, billigte es aber, als ich ihm die Ursache meines jetzigen Dienstes erzählte, daß ich auf solche Weise mir zuerst eine gründliche Kenntniß der nordamerikanischen Verhältnisse erwerben wollte, bevor ich mich ankaufte. Alles, was rein praktisch ist, wird der wahre Nordamerikaner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_082.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)