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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Ich will statt acht Prozent zwölf zahlen.“

„Herr Sekretair, ich bin kein Wucherer!“

„Sie nehmen ja nur, was ich Ihnen biete. Kein Mensch in der Welt soll ein Wort von unserem neuen Abschlusse erfahren, das schwöre ich Ihnen!“

„Ich bitte, Herr Sekretair!“ sagte der Jude, den Kopf wendend. „Sie sind so aufgeregt, daß Sie mich beleidigen. Ein gemeiner Wucherer nimmt Ihre Vorschläge an, nicht aber ein reeller Geschäftsmann.“

„Der reelle Geschäftsmann ruinirt mich mit kaltem Blute, er sieht, wie mich die Verzweiflung ergreift, er zuckt höhnend die Achseln, während ich mich vor ihm demüthige. Aus Mitleiden, Herr Hofkommissär, seien Sie Wucherer, nehmen Sie meine Zinsen, und geben Sie Frist. Ihnen stehen mehr Wege offen, Geld zu erlangen, als mir. Ich bin rathlos, der Verzweiflung nahe.“

„Kann nicht, kann nicht!“ murmelte Spanier, „Ueberlegen Sie mit Ihrer Frau Gemahlin – acht Tage haben Sie noch Zeit“

„Mit meiner Frau, mit meiner Frau soll ich überlegen?“ rief Bergt, der wie angewurzelt stehen blieb.

„Madame Bergt ist die Freundin des reichen Fräuleins von Hoym. Verzeihen Sie, Herr Sekretair; ich will damit weiter nichts gesagt haben, es ist nur so meine Ansicht, ein augenblicklicher Einfall. Also spätestens in acht Tagen werde ich mir erlauben, Ihnen den Wechsel zu präsentiren.“

Der Jude verneigte sich. Bergt begriff, daß ihm nichts mehr übrig blieb, als zu gehen, und er ging, bestürzter noch, als er gekommen war. Der Rath des Israeliten, durch Henrietten mit Cäcilien zu verhandeln, hatte schwer sein Herz getroffen. Ihm war, als ob das heiligste Geheimniß seines Lebens verrathen, als ob er seiner Frau nicht mehr derselbe sei. Der Sonntag verfloß, und noch hatte der Bedrängte keinen Ausweg gefunden. Am Montag Morgen begab er sich mit bekümmertem Herzen auf sein Bureau. Der Kanzleirath Bronner, der sonst so freundliche Chef dieses Bureau’s, übertrug ihm kalt eine wahre Fluth von Arbeiten. Der Leser kennt den Grund, der den Kanzleirath mit Groll gegen den Sekretair erfüllte: Bergt aber war der Ansicht, seine zerrütteten häuslichen Verhältnisse erregten das Mißfallen des Chefs, und vielleicht auch Henriettens Umgang mit Cäcilien, der durch den Ball zur allgemeinen Kenntniß gekommen war.

Gegen Abend desselben Tages führte ihn ein Geschäft in das Kassenzimmer Ernesti’s. Der Rendant arbeitete allein. Eine große, mit Geld gefüllte Kassette stand geöffnet neben dem Schreibepulte des Greises. Bergt zitterte bei dem Anblicke des Mammons, dessen zehnter Theil hinreichte, um ihn vom Verderben zu retten.

„Sind Sie krank?“ fragte Ernesti, indem er den jungen Mann besorgt ansah.

„Ich fühle mich ein wenig unwohl, es ist wahr; aber ich hoffe, es wird bald vorübergehen. Die auf dem Balle durchwachte Nacht hat mich ein wenig angegriffen.“

„Sie sehen wirklich sehr bleich aus und zittern am ganzen Körper!“ fuhr der Greis fort. „Bleiben Sie zu Hause und ziehen Sie einen Arzt zu Rathe. Es wäre freilich sehr schlimm, wenn gerade jetzt die beste Arbeitskraft unserer Kanzlei entzogen würde.“

„Es wird vorübergehen!“ rief Bergt, auf dessen bleicher Stirn sich große Schweißtropfen zeigten.

Dann ergriff er ein Glas Wasser, das auf dem Tische stand, und trank es hastig aus. Ernesti hatte den jungen Mann, den er seit langer Zeit lieb gewonnen, besorgt betrachtet; er glaubte sich nicht zu irren, wenn er die gewaltige Aufregung des Sekretairs einer äußern Veranlassung zuschrieb.

„Bergt,“ sagte er theilnehmend, „Sie suchen mir umsonst einen Zustand zu verbergen, den ein moralisches Leiden zu erzeugen scheint. Bin ich nicht stets Ihr Freund gewesen? Vertrauen Sie sich mir an, und kann ich mit Rath und That helfen, so seien Sie meiner Hülfe gewiß.“

Erschüttert warf sich Bergt an die Brust des greisen Rendanten, dessen herzliche Worte ihm tief in die Seele gedrungen waren. Außer ihm gab es ja keinen Menschen, dem er sein Vertrauen schenken konnte. Er erleichterte seine Brust durch das Geständniß dessen, was wir wissen.

„Das ist eine große, eine schwere Verlegenheit!“ flüsterte der Greis. „Ich kenne Spanier, er ist unbeugsam wie der große Riegel an meinem Kassenzimmer. Armer Freund, diese Judenseele richtet Sie vollständig zu Grunde. Er zieht jetzt alle seine Kapitalien ein, um sich an einem Kredit-Mobilier zu betheiligen, einem neuen Unternehmen, von dem er sich in kurzer Zeit große Vortheile verspricht.“

„Glauben Sie, daß dieser Grund allein ihn treibt?“ fragte Bergt.

„Setzen Sie einen feindlichen Handstreich voraus?“

„Aus einer Andeutung des Juden muß ich fast darauf schließen.“

„Was deutete er an?“

„Er rieth mir, mich an Fräulein von Hoym zu wenden, und zwar durch meine Frau; sie sei die einzige, meinte er, die soviel baares Geld besäße.“

„Meinte er das?“ fragte der Rendant, bitter lächelnd.

„Ehe ich meiner Frau einen solchen Schritt zumuthe – –“

„Nein, nein, Bergt; weder Ihre Frau, noch Cäcilie von Hoym dürfen Sie um Vermittelung der Sache angehen. Es ist nur zu klar, daß der Jude diese Aeußerung in einer gewissen Intention ausgesprochen hat. Sie müssen den Händen des Hofkommissärs entrissen werden –“

„Aber wie? Ich sehe keinen Ausweg. O helfen Sie, helfen Sie mir, mein väterlicher Freund!“

Der greife Rendant ging nachdenkend durch das Zimmer, während der Sekretair am Fenster lehnte.

„Bergt,“ sagte Ernesti nach langer Pause, „es ist jetzt nicht mehr an der Zeit, Ihnen den Leichtsinn vorzuwerfen, mit dem Sie die fragliche Anleihe kontrahirt haben; es kann sich nur darum handeln, die wirklich gräßliche Verlegenheit zu beseitigen. Für den Augenblick kenne ich kein Mittel, denn die Summe ist zu groß, sie übersteigt meine Kräfte. Verlassen Sie sich darauf, ich schaffe Rath. Ihr Besitzthum ist viertausend Thaler werth, ich glaube, wir werden einen Mann finden, der auf diese Kaution die nöthige Summe leiht. Fassen Sie Muth, besorgen Sie ruhig Ihre Geschäfte, damit Niemand etwas ahnt, und vertrauen Sie Gott und Ihrem alten Freunde!“

Bergt wollte sich an die Brust des Greises werfen, aber ein eintretender Kassendiener hinderte ihn daran. Ernesti gab ihm ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten.

„Es ist gut,“ sagte er im trockenen Geschäftstone; „ich werde Ihnen das Aktenstück zusenden.“

Der Sekretair ging in sein Bureau zurück, und arbeitete mit erleichtertem Herzen.

„Der Schlag ist gegen die beiden Frauen gerichtet,“ dachte der Rendant. „Nur Geduld, wir werden ihn abzuwenden wissen! Der Jude ist das Mittel zum Zwecke; bald werde ich auch den Urheber der Machination kennen lernen, und ich muß ihn kennen lernen, um ihn an betreffender Stelle zu bezeichnen. O, wäre ich ein reicher Mann!“




Ⅲ.

Am folgenden Morgen stattete Henriette der Freundin den gewöhnlichen Besuch ab. Cäcilie empfing sie mit allen Zeichen der zärtlichsten Zuneigung. Der trübe Himmel drohete mit Regen, die beiden Freundinnen blieben in dem reizenden Boudoir, dessen Fenster nach dem Garten hinausgingen. Nachdem sie eine Zeit lang über gleichgültige Dinge geplaudert, zog Cäcilie die junge Frau auf das Sopha.

„Henriette,“ begann sie, „ich komme heute noch einmal auf den Ball zurück; dann werde ich seiner nie mehr erwähnen, das verspreche ich Ihnen!“

„Mein Gott, können Sie denn den unglücklichen Ball gar nicht vergessen? Ich denke schon längst nicht mehr daran.“

„Sie und ich!“ flüsterte Cäcilie. „Welch ein himmelweiter Unterschied liegt zwischen uns. Sie besitzen den Mann, den Sie lieben, und ich darf Albert Ernesti nur verstohlen sehen, und außer mit Ihnen kann ich mit keinem Menschen von ihm sprechen.“

„Arme, liebe Freundin,“ sagte lächelnd Henriette, „wenn Sie nur deshalb von dem Balle gern sprechen, weil Sie Albert Ernesti dort gesehen haben, so gehe ich mit Vergnügen auf das Gespräch ein. Also was haben Sie mir zu sagen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_090.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2019)