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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

in das freie, heitere Gebiet, wo die ewigen Götter thronten, verließ die römische Architektur jene ideale Stellung, um sich unter die Bedingungen und Anforderungen des praktischen Lebens zu begeben. Dies that sie aber, indem sie allen ihren Werken einen Abglanz griechischer Schönheit lieh, der veredelnd das Erzeugniß gemeiner Nützlichkeit in die Sphäre künstlerischen Daseins enthob. Ohne jene geniale Schöpferkraft, die allein das Höchste hervorzubringen fähig ist, wußten die Römer in ihrem vorwiegend verständigen Sinne zwar keine eigentlich neuen Formen zu schaffen, aber indem sie die alten Formen in neuer Weise verbanden, erzeugten sie ein neues System der Architektur, das, sich zur Wissenschaft emporschwingend, in großartigster Weise auf jede Gattung von Gebäuden anzuwenden ist; und in dieser Anwendung sind die Römer groß. Allerdings erzeugte die mehr dem praktischen Bedürfnisse als dem ästhetischen Sinne angepaßte und mehr kombinirende Art der römischen Architektur eine gewisse Zwiespältigkeit ihrer Schöpfungen, die, sich besonders in der Verbindung des Säulenbaues mit dem Gewölbebaue zeigend, eigentlich dem streng architektonischen Gesetze organischer Entfaltung widerstrebt und den römischen Gebäuden, wenn auch einen malerischen Charakter, doch eine gewisse nüchterne Kälte der Empfindung verleiht. Kurz es ist die römische Architektur ein Produkt des wählenden Geistes, aber nicht mehr des Bodens und ohne jene Wärme, welche durch das besondere nationale und religiöse Bewußtsein erzeugt wird. Dafür ist aber auch diese Architektur der engbegränzten Sphäre nationalen Daseins entrückt und auf der ganzen Erde zu Hause; sie ist die Vorläuferin der christlich-mittelalterlichen Architektur, der sie ebenso den Weg bahnen mußte, wie die Weltherrschaft der Römer dem Christenthume den Weg bahnte.

Römisches Kapitäl.

Der Grundzug der römischen Architektur besteht darin, daß der griechische Säulenbau mit dem etruskischen Gewölbebaue in großartiger Weise verbunden ist. Der Styl des Säulenbaues schließt sich dem spätgriechischen, besonders dem korinthischen an und ist nur noch gefüllter. Das Kapitäl ist entweder ein dorisch-toskanisches (mit einem Eierstabschmuck) oder ein korinthisch-jonisches (sogen. Composit- oder römisches Kapitäl). – Durch die umfassendere Handhabung des Gewölbebaues wurde zunächst die Entfaltung einer großartigen Massen-Architektur begünstigt, denn vermöge seiner bedeutenden Widerstandskraft gestattet der Bogen die Anordnung vieler Stockwerke selbst an den kolossalsten Gebäuden.

Tonnengewölbe.

Zugleich war dadurch aber auch die Innen-Architektur, welche bei den Griechen eine sehr untergeordnete Stufe einnahm, gestattet, denn mit Hülfe der Wölbung ließen sich die ausgedehntesten Räumlichkeiten überdecken. Die einfachere Wölbungsform ist das Tonnengewölbe, die vollkommenere und ästhetischere das Kreuzgewölbe und die Kuppel (eine halbirte hohle Kugel, welche einen kreisrunden Raum überdeckt). – Eine Rückwirkung des Gewölbebaues auf den Säulenbau war die, daß die Säule, nun nicht mehr ein so unentbehrliches architektonisches Glied wie bei den griechischen Gebäuden, manchfache Veränderungen und Einschränkungen erlitt.

Kreuzgewölbe.

Es traten die Gesetze über die Abstände der Säulen außer Kraft, das strenge architektonische Gesetz der Reihe wird aufgelöst und das mehr malerische der Gruppe tritt an seine Stelle. Sodann erhält die Säule, da sie, vom gemeinsamen Unterbau der Tempelstufen losgerissen, einen Ersatz heischt, gewöhnlich einen viereckigen Würfel als Unterlage (Postament). Sie wird ferner sehr oft nur noch eine Dekoration der Wandfläche, als Halbsäule oder als Pilaster (rechtwinklig vortretender Mauerstreifen). Was den Schaft der Säule betrifft, so ist derselbe oft nur ein Cylinder ohne Kanellirungen, oder nur von oben zu zwei Dritteln seiner Länge kanellirt. – Am wenigstm gelang den Römern eine ästhetisch-schöne Verbindung der Säule mit dem Bogen. Gewöhnlich tritt das Gebälk über den Säulen vor und springt neben ihnen im rechten Winkel zurück, so daß dadurch würfelartige Mauerecken (Verkröpfungen) entstehen, welche, obschon sie streng architektonischen Gesetzen widerstreben, doch den malerischen Charakter dieser Bauwerke verstärken. Eine dem römischen Baue eigenthümliche Säulenordnung ist die Attika. Dies ist eine Ordnung kürzerer Säulen oder Pilaster, welche auf das Gebälk einer vollständigen Säulenreihe gestellt sind, um einen übrig bleibenden Wandtheil zu dekoriren, der für eine volle Säulenordnung zu niedrig ist.

(Fortsetzung in nächster Nummer.)




Blätter und Blüthen.


Verbrechen und Wissenschaft. In Nr. 4. der Gartenlaube 1857 wurde die Thatsache besprochen, daß in dem Prozesse wider Palmer den englischen Chemikern nicht gelungen ist, durch chemische Prozesse den Beweis zu liefern, daß Cook in Folge des ihm beigebrachten Strychnins gestorben sei. Es wird deshalb für die Leser der Gartenlaube nicht ohne Interesse sein, zu hören, daß gleichwohl die Chemie nicht blos in Deutschland, sondern auch namentlich in London auf dem Standpunkte sich befindet, um das Strychnin, wenn es mit andern Substanzen vermischt ist, genügend nachweisen zu können.

Nach der Methode des Professor Dr. Otto wird die zu untersuchende Substanz bei auf einander folgender Behandlung mit einigen Tropfen concentrirter Schwefelsäure und einem kleinen Krystall von rothem chromsaurem Kali intensiv violett gefärbt, wenn sich Strychnin darin befindet. Diese Färbung konnte von den zur Untersuchung von Cook’s Leichnam beigezogenen Chemikern nicht hervorgebracht werden und die Ursache hiervon glaubte man darin suchen zu müssen, daß Palmer seinem Opfer Antimon hatte zu sich nehmen lassen und daß hierdurch die obige Probe paralysirt worden sei. Allein der zur Untersuchung wider Palmer nicht beigezogene Chemiker von Sicherer in London hat durch seine, im Interesse der Wissenschaft gemachten Untersuchungen constatirt, daß es ein Irrthum sei, wenn behauptet werde, Antimon könne die Erzeugung der violetten Farbe verhindern, eine solche Wirkung komme lediglich der Weinsteinsäure zu, welche sich in dem mit Antimon vermengten Brechweinstein, den Cook genommen hatte, befand. Von Sicherer machte diese Untersuchungen öffentlich bekannt und gab sein Verfahren genau an, mittelst dessen er das Strychnin, selbst wenn es mit Weinsteinsäure vermengt wurde, unfehlbar entdecke. Er behandelt nämlich die zu untersuchende Substanz eine halbe Stunde lang mit concentrirter Schwefelsäure gelinde erwärmt, neutralisirt dieselbe hierauf mit kohlensaurem Kali und verdampft die Lösung bis zur Trockne. Durch Behandlung des trocknen Pulvers mit Chloroform wird nun eine Lösung erhalten, in welcher sich blos Strychnin befindet, weil die Weinsteinsäure durch die Schwefelsäure zerstört worden ist. Nach dem Verdunsten des Chloroforms kann aber mittelst Schwefelsäure und chromsaurem Kali die violette Farbe erzeugt, und somit das Strychnin entdeckt werden.

Professor Dr. Otto hat in seinem kürzlich erschienenen Werke über das Auffinden der Gifte nicht blos die vorberührte Methode des von Sicherer, sondern auch eine von dem Chemiker Staß erfundene Methode, das Strychnin mittelst Aetherlösung zu entdecken, angeführt. Daraus ergibt sich zur Genüge, daß es nicht dem Standpunkte, auf dem sich die Chemie befindet, zugemessen werden dürfe, wenn im Palmer’schen Prozesse die obengedachte Nachweisung nicht hergestellt wurde.




Literarisches. Ein Strauß aus Norwegens Wäldern. Von Bernh. Herre. Aus dem Norwegischen übersetzt von Bertha Theile. Schilderungen und Bilder aus Norwegens eben so großartiger als lieblicher Natur, die in das Gebiet des Volkslebens wie auch in das des Mährchens und der Sage, die, wie fast bei allen Gebirgsvölkern, auch noch in ursprünglicher Frische im norwegischen Volke lebt – hinüberspielen. Sie erinnern sowohl durch die entsprechende Einfachheit ihrer Erzählung, als auch durch die Treue der lebensfrischen Gemälde an Andersens „Bilderbuch ohne Bilder,“ das auch in Deutschland so grossen Anklang gefunden hat; nur daß, dem Charakter des Landes angemessen, dem dieser „Strauß“ entsprossen, neben der zartesten Lieblichkeit sich doch eine kräftigere, kühnere Natur darin spiegelt, als in jenen lieblichen Schilderungen aus Dänemarks lächelnden Gefilden. Die Uebertragung ist eben so gewandt wie gewissenhaft und zeigt, daß die talentvolle Uebersetzerin mit Verständniß des Ganzen gearbeitet hat.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_100.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)