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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

da die Bequemlichkeiten, an die man sonst in Piemont gewöhnt sei, hier schlechterdings unerreichbar wären. – Wie luxuriös muß man in Norditalien leben gegen den Süden, da dieses Mahl ein ärmliches genannt ward! Der Speisesaal lag unter dem Prachtzimmer mit großen offenen Thüren gegen Garten und Park und gegen das Meer auf der andern Seite.

Unten ward mir ein Hausfreund, Signor Bonaventura Ricci aus Ventimiglia vorgestellt, ein mittelalterlicher, lebhafter Herr mit einem klugen, offenen Gesichte, ein Exemplar Jung-Sardiniens, gegen den Repräsentanten des alten, den Oberst, wie ich bald merkte. Die Mahlzeit war ein Muster simpler Hausmannskost Norditaliens, so daß ich fast den Speisezettel mittheilen möchte.

Signor Bonaventura weihete mich nachher auf einem Spaziergange durch die Gärten in die Geheimnisse des Citronenbaues ein. Die 500 Bäume dieser Besitzungen hätten in zehn Monaten über 100,000 Citronen gegeben, 30 bis 50,000 seien noch während der beiden andern Monate zu erwarten. Man ernte im Durchschnitte alle zwei Monate das ganze Jahr hindurch. In guten Zeiten bekomme man 50 Francs für jedes Tausend von Schiffskapitainen und Händlern, welche sie nach England und Amerika verschiffen. Citronen- und Olivenbäume werden, wenn sie gut aushalten sollen, aller drei Jahre mit wollenen Lumpen gedüngt, die man einen Fuß tief in einem Cirkel um den Baum herum eingräbt. Er zeigte mir einen Haufen dieser kostbaren Citronenerzeugungsmasse: abgelegte und abgefallene Lumpen der zerlumptesten Lazzaroni von Neapel, von wo sie hauptsächlich eingeführt werden. Jeder Baum verlangt etwa 20 Pfund solcher Speise und außerdem eine zärtliche Hütung, besonders gegen gewisse Insekten und Mehlthau, der sich in Form von schwarzen Flecken auf den glänzenden grünen Blättern ankündigt. In solchen Fällen werden alle Mädchen der Nachbarschaft, die Geld verdienen wollen, zusammengerufen, um jedes Blatt jeden Baumes sorgfältig erst naß, dann trocken abzuwischen.

Abends in der großen Sola wich das buccolische und idyllische Element der Politik. Und jetzt merkte man, daß man in einem freien Lande mit Preßfreiheit und großen Aufgaben, sich auf der Bahn der Freiheit zu halten, und deshalb auch unter Parteien lebte, die zu sprechen und zu streiten wissen. Es waren Zeitungen von Ventimiglia angekommen. Der Oberst und seine Schwester, aus einer alten Adelsfamilie, lasen nur die „Armonia“ (Harmonia) „die Kreuzzeitung“ Sardiniens und speciell Piemonts, worin das Land seit 1848 als am Vorabende einer „atheistisch-socialen Revolution“ stehend, geschildert wird. Die Aufhebung der Klöster wäre gleich der Verstopfung aller Lebensbrunnen der Nation. Die Klöster allein seien noch die Kultusstätten wahrer Religiosität und Achtung vor der „Autorität.“

Bonaventura und der Neffe gehörten zu „Jung-Sardinien“ und hatten unter dem Vorwande, daß man auch die Meinungen Anderer hören müsse, um sie gelegentlich bekämpfen zu können, die „Piedmontese Gazette“, „Il Parliamento,“ und sogar „Italia e Popolo,“ die Zeitung der Mazzinianer und „rothen Republikaner“ eingeführt. Letztere durfte aber „die Tante“ nie zu Gesicht bekommen, weil sie, wie er mir zuflüsterte, einmal beinahe ohnmächtig geworden, als der Neffe ihr wie zum Spaß einen Artikel daraus vorgelesen. Da sich übrigens bald die neunte Stunde näherte, lassen wir uns zum Abendessen und dann in’s helle, helle Mondlicht und die goldene und blaue Nacht am Gestade hinausfahren, blos um damit zu sagen, wie die höhern Stände hier leben und genießen.

Am nächsten Morgen brachte Bonaventura seine beiden Töchter mit, prächtige, reizende Exemplare der mezzo cetto-Sorte italienischer Mädchen, aber von zu ländlicher Einfalt. Sie wunderten sich immerwährend mit großen Augen, und getrauten sich kaum Ja und Nein zu sagen, so daß schlechterdings mit ihnen gar nichts anzufangen war. Sie wußten von A bis Z ganz und gar nichts, selbst nicht in Bezug auf Häuslichkeit, Kleiderstoffe, Moden, so daß sie sich, wie gesagt, immerwährend ungeheuer wunderten, auch über das merkwürdige Schauspiel, wie der Oberst seinen Hund im Meere badete. Aber schön waren sie bis zum Exceß und von so natürlicher Grazie in ihren einfachen, blauen Musselinkleidern und runden, schmucklosen Strohhüten. Der Vater merkte auch, daß ich mich über ihre Einfalt ärgerte, während ich von ihrer Schönheit entzückt war und sagte, daß seine Mädchen noch lange nicht zu den schlechtesten Produkten der hier üblichen Klostererziehung gehörten. Da sie erst vor einigen Wochen zurückgekehrt, werde er lange faule Geschichten aus- und gesunde Ansichten und Kenntnisse eintreiben müssen, ehe es menschlich in ihren Köpfen aussehen könne. Er ärgere sich jetzt oft genug, seiner Frau nachgegeben zu haben. Er selbst bewährte sich durchweg als ein kluger, praktisch erfahrener Mann, so daß ich mich auf unsern Wanderungen während des Vormittags hauptsächlich an ihn hielt.

Am Gestade fielen mir unter den Hütten der Fischer und Bauern ganz sonderbare Gebäude auf, hohe, schmale Thürme, die mit den Wohnungen nur durch hölzerne Ziehbrücken verbunden waren und sonst ganz isolirt standen. Bonaventura gab dazu prächtige historische Kommentare. Die Thürme waren Ueberbleibsel aus jener Zeit, als die Raubstaaten von Algier, Tunis und Tripolis noch auf dem mittelländischen Meere hausten, und die Korsaren nicht selten über Nacht diese Küsten überfielen, um Sachen als Beute und Menschen als Sklaven fortzuschleppen. Die Thürme dienten in solchen Fällen als Zufluchtsort für die Personen, die, wenn die Brücke aufgezogen war, wenigstens sich retten und halten konnten, wiewohl von ihrem Eigenthume nicht viel übrig blieb. Jetzt dienen die Thürme friedlicheren Zwecken. Nach gethaner Arbeit steigt der Bauer hinauf, und weidet sein Auge an seinen Kornfeldern, die hier aus Citronen-, Oliven-, Feigen- und andern Bäumen, auf denen „Italiener-Waaren“ wachsen, aus Schooten, Tomato’s und Melonen bestehen. Das eigentliche Korn und Brot die ganze cornische Straße entlang, zwischen Nizza und Genua, ist die Citrone, die geschützte Orte liebt, wie sie die Berge und Schluchten hier vortrefflich bieten. Jeder Baum gibt im Durchschnitt einen jährlichen Nettogewinn von zehn Francs (etwa drei Thalern), d. h. ein Jahr um’s andere beinahe zwanzig, da er sich jedes zweite Jahr ausruht und nur wenige Früchte liefert. Die Bauern, welche 1000 bis 1200 Bäume haben, gelten als wohlhabende, reiche Grundbesitzer. Selten findet man einen mit weniger als 500.

Nach den Citronen kommt das Olivenöl. Wenn die Früchte anfangen zu reifen und schwarz zu werden, legt man Tücher unter die Bäume und schüttelt sie leise. Die so gesammelten Früchte werden in besondern luftigen Räumen aufbewahrt, bis eine Ladung für die Mühle beisammen ist. Hier wird das klare, schäumende Oel erster Klasse ausgepreßt, das man selten im Handel echt bekömmt, da es durch das Oel zweiter Pressung aus den zermahlenen Oliven gar zu häufig schon getauft wird, ehe es den Producenten verläßt. Zuletzt wird Wasser auf die Steine und den Brei gegossen, welches das Oel in die Höhe treibt. Letzteres gehört dem Müller, der damit allein bezahlt wird.

Die dritte Haupt-Erwerbsquelle fließt von den Feigenbäumen. Ich sah überall lange Flechtwerke von Rohr, auf denen die Feigen getrocknet und dann in Kasten gepreßt werden, in welchen sie durch ganz Europa auf den Markt kommen. Die Feigen von Ventimiglia sollen denen von Smyrna nicht nachstehen. Durch alle diese schöne Naturindustrie ging eine erfreuliche Offenheit, ein nirgend eingezäuntes und abgeschlossenes Vertrauen. Die Gärten blühen und duften und zeitigen am offenen Meere in einladenster Fülle und Appetitlichkeit. Doch bewacht Niemand je seine Schätze und niemals vermißt Jemand nur eine einzige Frucht.

Wir waren bis Ventimiglia geschlendert, so daß der Abend herankam, ehe wir an Rückkehr dachten. Diese Verspätung verschaffte uns das reizendste, malerische Schauspiel einer hier berühmten, populären Art zu fischen, eines Fischfestes „alla fucina“ d. h. mit Fackeln von den duftigen Spänen der Meeresfichte. Die Späne sind im Hintertheile der Bote an Eisenstäbe befestigt und flackern und laufen nun mit vielen Dutzenden anderer ebenso illuminirter Boote durch das blendend scheinende Meer. Die feurigen Ritter des Meeres stürmen in alle die kleinen Buchten hinein, in welchen die Fische so gern schlafen, die nun von dem blendenden Lichte aufgeschreckt, nach allen Richtungen davon schießen, und dabei von der geschickten Hand der Fischer mit einem zwölf Fuß langen Spieße aufgestochen werden. Das Schauspiel, wie wir es vom Lande aus sahen, war von unbeschreiblich malerischem Effect und glich einer geisterhaften Schlacht übermenschlicher Wesen mit den Bewohnern der Tiefe. In hellster Beleuchtung sah man die Fischer in einer Leidenschaft, einem Eifer, einem dramatischen Leben, wie es sonst die Bühne nur in den effektvollsten Scenen letzter Akte zuweilen versucht. Uebrigens ist diese Fischerei alla fucina

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_107.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)