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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Mein Herr, wenn Sie für die That Rechenschaft wünschen, so bin ich bereit, Ihnen eine jede zu geben; gleich jetzt, wenn Sie mit mir kommen wollen, oder zu jeder andern Zeit.“

Blumenbach erholte sich schwer von seinem Erstaunen über dies Betragen eines Menschen, den er eben zum ersten Male sah.

Zugleich bemerkte er das Näherkommen der Damen und sagte heftig, aber leise:

„Rechenschaft werden Sie mir geben, sobald ich von dem Badearzt erfahren, daß Sie nicht unter die Unzurechnungsfähigen gehören, was ich aus Ihrem Betragen schließen muß. Natürlich nicht eine Rechenschaft, wie Sie vielleicht auf burschikose Weise im Sinne haben –“

„Mein Herr,“ unterbrach ihn Bruno, „ich bin principiell auch ein Gegner des Duells und habe wenigstens im Augenblicke nicht daran gedacht. Ich meine damit, daß Sie mir Gehör schenken, wozu jetzt nicht der Ort ist – hier ist meine Karte, bestimmen Sie eine Stunde.“

Blumenbach überlegte – die näher gekommenen Damen waren nicht weit entfernt, sich mit andern begrüßend, stehen geblieben; es mußte ihnen aufgefallen sein, daß er noch nicht auf sie zugeeilt, und um sein Zögern einzubringen, sagte er darum schnell:

„Ich habe heute keine Zeit – kommen Sie morgen so früh Sie wünschen in meine Wohnung.“

„Noch Eins,“ sagte Bruno; „ich schließe aus der Anzahl, die Sie bei sich trugen, daß diese Anzeigen noch nicht ausgeschickt sind; wenn Ihnen Ihre Ehre lieb ist, unterlassen Sie es, bis Sie meine Mittheilungen vernommen.“

„Mein Herr!“

„Ich wiederhole: wenn Ihnen Ihre Ehre lieb ist.“

Blumenbach grüßte, ohne ein Wort zu erwiedern, ließ Bruno stehen und wandte sich zu den Damen.




III.

Bruno beobachtete, langsam umkehrend, wie Blumenbach die Damen begrüßte, wie Amanda scheu zurückwich und sich so zu wenden wußte, daß Blumenbach statt an ihrer, an der Seite ihrer Begleiterin gehen mußte, die ihn mit aufmunternder Freundlichkeit begrüßte. Bruno ging an den Damen vorüber und grüßte.

„Kannten Sie diesen Herrn?“ fragte Blumenbach, und fixirte dabei die junge Dame mit stechenden Blicken.

Diese, die den Gruß erröthend erwiedert hatte, schien jetzt zu zittern und flüsterte ein leises:

„Nein.“

„Sie unterhielten sich ja eben sehr angelegentlich mit ihm,“ sagte die Regierungsräthin; „ich meinte, es sei ein Bekannter von Ihnen, den Sie unerwartet hier trafen, daß Sie darüber alles Andere vergaßen.“

Blumenbach entgegnete: „Er redete mich an und dann interessirte er mich, weil es mir schien, als ob es in seinem Kopfe nicht ganz richtig sei, so viel faselte er durcheinander.“

„O das ist unmöglich!“ rief Amanda, sich vergessend.

„Wie, Sie kennen ihn doch?“ fragte Blumenbach.

„Ich meine nur, er sieht ganz und gar nicht danach aus,“ fügte Amanda kleinlaut hinzu.

„Haben Sie diese Physiognomie so sehr studirt?“ fragte Blumenbach peinlich weiter.

Diesmal besann sich Amanda schneller auf die Antwort.

„Was bleibt uns denn auf diesen einförmigen Spaziergängen weiter zu thun übrig, als die Begegnenden zu betrachten?“

„Nehmen Sie sich in Acht!“ sagte die Regierungsräthin lächelnd; „Sie sehen, wie Amanda empfindlich ist, daß Sie sie so lange diesem einförmigen Spaziergange überlassen konnten.“

Amanda’s Lippen zuckten leise, aber sie thaten keine Gegenrede. Das war die Art der Regierungsräthin, ihrer Stiefmutter, mit wenig Worten anzudeuten, wie wenig Aufmerksamkeit und Liebe die Tochter für sie und wie viel für Blumenbach habe; durch Beides konnte sie diese am tiefsten verletzen.

Blumenbach entschuldigte sich nochmals in einigen gewählten Redensarten für sein Säumen. Dann sagte die Regierungsräthin: „Sie haben nun wohl die Verlobungsanzeigen aus der lithographischen Anstalt in Wunsiedel erhalten und wir können Sie heute aussenden?“

Auch diese Frage, an diesem Orte, war wohlberechnet, denn Amanda konnte unmöglich auf der lebhaften Promenade, von Allen beobachtet, neuen Widerspruch erheben und eine compromittirende Scene herbeiführen – dennoch schien sie nach Worten zu ringen, aber Blumenbach kam ihr zuvor, indem er nach einigem Bedenken sagte:

„Leider hat der Lithograph sein Wort nicht gehalten; vor morgen kann er uns die Anzeigen nicht senden.“

Amanda athmete auf, noch ein Tag war ihr geschenkt. Die Regierungsräthin aber schalt auf die Langsamkeit und Unzuverlässigkeit der Kleinstädter, auf Wunsiedel, ja auf den zukünftigen Schwiegersohn, der die Bestellung nicht eilig und fest genug gemacht.

Er suchte sich und Alles, so gut es ging, zu entschuldigen.

Im Cursaal, wo man das Frühstück nach dem Spaziergange nahm, lehnte Bruno, Zeitungen lesend, in einer Ecke. Er sah die Drei eintreten und bald auch Amanda’s gestrige Begleiterin sich zu ihr gesellen. Als Beide einmal entfernt von Blumenbach und der Stiefmutter und einem Knäuel anderer Damen standen, drängte sich ein kleines Mädchen, das Blumensträuße in einem Korbe feil bot, hinzu, zupfte Amanden, da diese eben ein wenig zurücktrat, an der Mantille, gab ihr einen der schönsten Sträuße und sagte:

„Schnell, nehmt, aber es soll’s Niemand sehen. Ein Zettelchen steckt darin.“

Erschrocken aber hastig griff Amanda danach und wußte nicht warum, noch hatte sie irgend einen bestimmten Gedanken dabei, aber ihr war seit einigen Tagen zu Muthe, wie einem Ertrinkenden, und angstvoll zitternd griff sie nach jedem Strohhalm, vielleicht hing er an einem Fels, der Rettung verhieß. So griff sie auch nach dem Strauße, zog ein Blättchen Papier unter einer vollerblühten brennenden Liebe hervor und barg es in ihrem Busen. Niemand sah es, als Bruno, der aus der Ferne jeder ihrer Bewegungen mit forschenden Blicken folgte.

Heimgekehrt nach einer Stunde und endlich allein, um die Toilette des Morgenspaziergangs mit der zur table d’hôte zu vertauschen, las Amanda das Zettelchen, das indeß feurig brennend auf ihrem Herzen geruht. Es lautete:

„Bleiben Sie standhaft. Verweigern Sie das schreckliche Opfer, das man von Ihnen fordert. Verhältnisse machen es Ihnen schwer, sich selbst getreu zu bleiben, aber nicht unmöglich. Vielleicht ist mir schon gelungen, B. zu bewegen, die Declaration der Verlobung noch bis morgen aufzuschieben, wo ich eine Unterredung mit ihm haben werde, die vielleicht über Ihr Geschick entscheidet. Aber um Sie befreien zu können, muß ich mit Ihnen selbst sprechen. Ich bin so kühn, Sie für diesen Abend um eine Unterredung auf der Louisenburg zu bitten, auf dem Jean-Pauls-Platz, wo wir uns vorgestern begegneten. Können Sie diese Bitte erfüllen, so erscheinen Sie mit diesem Sträußchen an der table d’hôte oder haben Sie anders zu bestimmen, so findet sich wohl dabei eine Gelegenheit zu einer Notiz für mich. Ich werde dort sein, aber nicht wagen, mich Ihnen zu nähern. – Ich bitte nicht um Verzeihung für meine Kühnheit, außer mit den Worten Jean Paul’s, die Horion an den ihm unbekannten Emanuel schreibt: Sage nicht zu mir, ich kenne Dich nicht! – Warum kann der Mensch auf dem schmalen Sonnenstäubchen Erde, auf dem er warm wird, und während der schnellen Augenblicke, die er am Pulse abzählt, zwischen dem Blitze des Lebens und dem Schlage des Todes, noch einen Unterschied machen unter Bekannten und Unbekannten? Warum fallen die kleinen Wesen, die einerlei Wunden haben, und von denen die Zeit das nämliche Maß zum Sarge nimmt, nicht einander ohne Zögern mit dem Seufzer in die Arme: ach, wohl sind wir einander ähnlich und bekannt!
Ein Jünger Jean Paul’s.“

Amanda las und ward dabei von den verschiedensten Empfindungen bestürmt. Zuerst war es Entrüstung weiblichen Stolzes, die ihre Wangen wechselnd erbleichen und erglühen machte. Wer war dieser Unbekannte, der es wagte, so vertraulich zu ihr zu sprechen, so in ihre Familien- und Herzensangelegenheiten sich zu mischen, der es wagte, über ihr Geschick entscheiden zu wollen? Sie weinte vor Unmuth über sich selbst, daß sie diese Zeilen nur angenommen und warf den Strauß, der sie geborgen, entrüstet zu Boden. Aber sie las doch weiter – und da sie zu Ende gelesen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_159.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)