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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

erkauft und sehr werth gehalten hatte. Da ein Kunsthändler mit seiner Meinung, daß sie unecht sei, nicht durchdringen konnte, so trug er darauf an, daß dieselbe von der dicken Unterlage abgelöst würde. Und was kam zum Vorschein? Das Papierzeichen N. (Napoleon) mit einer Krone darüber. Napoleon hat aber bekanntlich nicht zur Zeit Raphael’s gelebt. Nun wurde die Zeichnung um soviel Kreuzer verkauft, als Thaler dafür würden gezahlt worden sein. Ein Kunstliebhaber muß auch diese äußere Kenntniß haben, wenn er nicht beständigen Betrügereien will preisgegeben sein.

Niemand hat nun bestritten. daß der erwähnte Holzschnitt ein deutsches Product sei, und Niemand hat bis jetzt vermocht, einen älteren nachzuweisen. Die Ehre der Erfindung des Holzschnittes war deshalb den Deutschen unbestritten. Nur die Niederländer wiederholten ihre Versuche, ihnen diese Ehre zu entreißen, und glaubten vor einigen Jahren ihres Sieges gewiß zu sein. 1845 fand man nämlich in Mecheln in einem alten Koffer einen Holzschnitt eingeklebt, worauf sich angeblich die Jahrzahl 1418 befand.[1] Die königliche Bibliothek in Brüssel erkaufte denselben um hohen Preis und der Bibliothekar Baron von Reiffenberg veröffentlichte darüber eine besondere Broschüre in französischer Sprache: La plus ancienne gravure connue avec une date, der älteste Holzschnitt mit Jahrzahl, und gab dazu eine Nachbildung in Steindruck.

Bald darauf erschien eine andere Schrift dagegen,[2] deren Verfasser sich nur mit den Anfangsbuchstaben C. D. B. genannt hat (Herr von Brou, Bibliothekar des Herzogs von Aremberg), worin das Alter dieses Holzschnittes und die Richtigkeit der Jahrzahl bezweifelt wurde.

Durch eine Reihe von Costümefiguren nach Gemälden, Miniaturen und andern Denkmalen wies er nach, daß der fragliche Holzschnitt nur aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts stammen könne. Für Herrn von Reiffenberg trat zwar noch eine andere Schrift in die Schranken, deren Verfasser sich M. J. A. L. redacteur de la renaissance nennt, jedoch ohne sonderlichen Erfolg. Seitdem ist, soviel ich weiß, nichts weiter in der Sache geschehen, als daß Herr Inspector Passavant in Frankfurt a. M. im deutschen Kunstblatt erklärt hat, daß jedenfalls die Jahrzahl gefälscht sei; man bemerke auch noch ein L, 50, an der durch eine kleine Null ausgefüllten Stelle. Danach lautete die Jahrzahl 1468, was mit der Erklärung des Herrn de Brou übereinstimmt.

Der deutsche Christoph hat also diesmal gesiegt. Ob er sich aber gegen wiederholte Angriffe halten wird, kann man nicht voraussagen. Das soll uns Deutsche aber nicht hindern, uns der Ehre dieser Erfindung bis dahin voll zu erfreuen. Den Streit über Holz- oder Metallschnitt lasse ich deshalb unbeachtet, weil das zu weit führen würde und weil es gar kein wesentlicher Punkt ist, ob man Metall, Holz oder Stein verwendet, es wird immer Hochschnitt bleiben. Nur erwähne ich noch, daß der Holzschnitt die Erfindung der Buchdruckerei herbeigeführt hat. Wie man bei dem Burxheimer Christoph sehen kann, so ist die Unterschrift auf dieselbe Tafel ausgeschnitten. Und so verfertigte man auch größere Werke mit bildlichen Darstellungen und Text, welche vorzugsweise xylographische Werke genannt werden. Dergleichen sind die sogenannte Armenbibel, Heilspiegel, die Kunst zu sterben u. a. Ersteres, ein Auszug aus der Bibel mit bildlichen Darstellungen, wird deshalb so genannt, weil er für Unbemittelte, namentlich für Prediger gemacht wurde, für welche die Anschaffung der ganzen Bibel in jenen Zeiten zu theuer gewesen wäre. Diese Werke sind sehr alt, reichen aber noch in die Zeit nach der Erfindung der Buchdruckerkunst herein, weil die Verfertiger nicht sogleich ihre Beschäftigung, ihren Broderwerb aufgeben konnten. Bei späteren Aufgaben hat man die bildlichen Darstellungen benutzt und den Text darum in beweglichen Lettern beigefügt.

Wenn eine wichtige Erfindung einmal gemacht ist, so bemächtigt man sich derselben, beutet sie aus, verwendet und erweitert sie. Und so ist es auch mit dem Holzschnitt gegangen. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts bemühte man sich, einfarbige Malereien, getuschte Zeichnungen durch Holztafeln herzustellen. Auf eine derselben wurden die Umrisse und tiefsten Schatten ausgeschnitten und auf eine andere nur die Lichter ausgestochen und sorgfältig auf die erste abgedruckt. Dadurch erzielte man drei verschiedene Farbentöne: das hellste Licht, den Mittelton und einen tieferen Schattenton. Diese Gattung nennt man Helldunkel, Clair-obscur, was man, meiner Ueberzeugung nach, irriger Weise mit dem Begriff von Helldunkel in der Malerei verwechselt hat. Hier bedeutet es nur wörtlich eine Zeichnung mit helleren und dunkleren Tönen derselben Farbe. Eigentliches Helldunkel habe ich bei keinem dieser Blätter bemerkt, dazu reichen die Mittel in keiner Weise aus. Nach und nach hat man diese Gattung von Holzschnitt sehr vervollkommnet, und namentlich haben die Italiener Vortreffliches darin geleistet.

Die Erfindung selbst ist ebenfalls eine deutsche, nur streitet man sich darüber, wer der Erfinder sei, an welchen Namen man sie knüpfen solle. Lange galt der Maler und Holzschneider Hans Burgmaier in Augsburg dafür, ein Zeitgenosse Dürers, von dem man ein Blatt mit der Jahrzahl 1510 kennt. Am allgemeinsten wurde aber ein anderer Künstler dafür gehalten, den man Johann oder Hans Ulrich Pilgrim nannte, weil er seine Blätter mit I. V. und zwei gekreuzten Pilgerstäben bezeichnet hat. Die Gründe für diese Annahme sind durch nichts unterstützt, da keins der zehn Blätter, welche man von ihm kennt, eine Jahrzahl hat, auch von seinen sonstigen Lebensverhältnissen nichts bekannt ist. Unsere Zeit, die mit außerordentlicher Thätigkeit der Erforschung und Feststellung von dergleichen schwebenden Fragen und Irrthümern sich zuwendet, hat den Kupferstecher Lödel in Göttingen veranlaßt, die sämmtlichen Blätter dieses Meisters, welche sehr selten und theuer sind, in Copien herauszugeben, und derselbe glaubt, daß sie von einem Straßburger Künstler, Namens Wächtelin oder Vuchtelin, gemacht seien; das Werk ist noch nicht erschienen. Nach andern Arbeiten, welche unter Wächtelin’s Namen gehen, habe ich mich von der Richtigkeit dieser Annahme noch nicht überzeugen können; doch sind das Werk und die angegeführten Beweisgründe erst abzuwarten. Erfreulich war es mir aber, als ich bei meinen Studien über Lucas Cranach ein Blatt von diesem Meister nachweisen konnte, das vom Jahre 1506 ist und welches in der Hitze des Gefechtes übersehen worden. Es ist darauf Venus mit Amor dargestellt. Die Abdrücke davon in Helldunkel sind sehr selten, nicht so die Abdrücke von einer Platte, wovon es sogar neuere gibt.

Eine Korrespondenz des kaiserlichen Rathes Conrad Peutinger zu Augsburg mit dem Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen belehrt uns, daß ersterer veranlaßt wurde, mancherlei Erfindungen Cranach’s mit großen Kosten nachmachen zu lassen, und da er zu gleicher Zeit mehrere Holzschneider, darunter auch Burgmaier, für die Werke, die Kaiser Maximilian durch ihn ausführen ließ, beschäftigte, so ist es möglich, daß diese Erfindung von Wittenberg nach Augsburg kam.

Die ersten Arbeiten dieser Art waren nur mit zwei Platten gedruckt, bald aber wollte man ausführlichere, vollendetere Kunstwerke herstellen, steigerte die Zahl immer mehr und suchte auch schon frühzeitig farbige Bilder auf diesem Wege zu erzielen, wie ein Muttergottesbild von Albr. Altdorfer zeigt, wovon ein Facsimile in dem R. Weigelschen Werk vor Kurzem erschienen ist.

Die Holzschneidekunst war, wie freilich alle Kunst, im vorigen Jahrhundert in Verfall gerathen. Da legte ein englischer Kupferstecher, John Bewick, durch seine Abbildungen zu der Geschichte der vierfüßigen Thiere 1790 und zu der Naturgeschichte der britischen Vögel 1797 den Grund zu deren erneutem Aufblühen, und dessen Sohn Thomas verbesserte das technische Verfahren weiter, so daß diese Kunst in ihrer neuen Gestalt von England ausgegangen ist.

Diese in neuester Zeit fast in’s Unglaubliche gesteigerte Technik hat freilich auch dadurch geschadet, daß sie, auf Kosten des eigentlichen Kunstwerthes, überschätzt worden ist, daß man Künstelei, Kunststückchen für Kunst hält. Das Material, der Stoff, dessen sich eine Kunstgattung für ihre Aufgaben bedient, bestimmt ihre Grenzen. Holzschnitte, welche Kupferstiche, Stahlstiche, Radirungen, Lithographien ersetzen wollen, sind Künsteleien, Surrogate, die nur solche befriedigen können, denen das Mühselige der Arbeit, das Ueberwinden von Schwierigkeiten für Kunst gilt; gleich denen, die lieber einen Purzelbaum schlagen sehen, als die ausdrucksvollen graziösen Bewegungen einer fein gebildeten Tänzerin.

  1. Es ist darauf vorgestellt die gekrönte Madonna auf dem Thron, in einer Gartenumzäunung, von vier Heiligen umgeben: Sancta Katerina, Barbara, Theorettisa (Theresia?) und S. Margoreta, wie die Beischriften und Attribute angeben. Darüber schweben drei Engel mit Kränzen.
  2. Quelques mots sur la gravure au millesime de 1418. (Einige Worte über den Holzschnitt mit der Jahrzahl 1418.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_163.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)