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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

der mittleren Regionen Schwedens, dem südöstlichen Abfalle des hohen Gebirgsrückens. Eine Lachsart wird besonders von ihm gefangen und frisch verzehrt oder auch getrocknet, in welchem Zustande der Fisch sich lange hält. Sein Boot ist sehr klein und überaus leicht gearbeitet, meist ganz ohne Verwendung des Eisens. Muß er einen der zahlreichen Wasserfälle umgehen, dann stülpt er den Kahn wie einen großen Hut über den Kopf, hackt seine Axt in den Schnabel, und regiert mit ihr die sonderbare Bürde beim schnellen Laufe durch das Gebüsch und die niederhängenden Baumäste. Dabei trägt er in der linken Hand das Fischergeräthe; am Halse hängt der Beutel von Rennthierfell mit seiner übrigen Habe. Der Fischlappe ist ein ungeselliger Mann und lebt meist vereinzelt, wenn nicht größere Fischereien ihn geradezu nöthigen, sich mit seinen Standesgenossen zu verbinden. Dem Gaste sein Brod zu brechen, fällt ihm gar nicht ein. Dieses für unsere Gaumen fast ungenießbare, Brod genannte Gebäck ist ein Gemenge aus Fichtenrinde und Fischen. Will der Reisende den Fischlappen sich geneigt machen, dann muß er mit der Branntweinflasche kommen, ein Juckastaka, d. i. ein Schluck, macht ihn zum lieben Bekannten. Die Gastfreundschaft der Araber, dort unter den Palmen im Wüstensande, findet man nicht, wo die Lappen unter düsteren Fichten auf Schnee und Eis hausen. Hier muß man mit schwedischen Redensarten, mit blankem Silbergelde und Branntwein versehen sein, will man nicht in ernstliche Gefahr gerathen und weiter kommen.

Die Rennthierlappen sind die eigentlichen Lappen. Man findet sie in den oberen Berg- und Waldregionen, und theilt sie deshalb auch in Berg- und Waldlappen. Letztere bilden den cultivirteren, mehr ansässigen Theil dieses Volksstammes in Schweden, wogegen der Berglappe, der interessanteste, ein wahres Hundeleben führt. Auf offenem Gebirge muß er bei dem Unwetter, Tag und Nacht seine Rennthiere pflegen. Der dürftige Wald der oberen Abhänge des hohen Gebirgsrückens gewährt gegen Sturm und Regen keinen hinreichenden Schutz, ja oft vermag er sich nicht einmal an einem Feuer zu erwärmen und zu trocknen, auf seiner hohen Lagerstatt wächst nur die Zwergbirke. In voller Kleidung muß er sich, so naß er auch sein mag, in die Hütte werfen; daher auch der Mangel an aller Reinlichkeit. Seine ganze Lebensweise wird durch das Renn bestimmt, und nirgends findet sich eine innigere Naturbeziehung zwischen Menschen und Thieren, als beim Lappen. Sein Land zerfällt in Berg- und Waldland. Ersteres findet sich in Norwegen und geht als hoher, breiter Gebirgsrücken bis an’s weiße Meer. Während dieser Hochrücken nach Westen zu steil in’s Meer abfällt, und die oben erwähnte höchst wilde Scenerie bildet, sendet er auf der östlichen Seite langgestreckte, sich allmählich verflachende Ausläufer tief in’s Land hinein. Zwischen diesen Gebirgszweigen haben zahlreiche Gewässer ihren Lauf. Sie sowohl, wie überhaupt jene Gebirgsausläufer und Flußthäler sind die Wegweiser für die Wanderzüge der Rennthiere. Nie bewegt sich die Heerde von einem Flußthale zum andern, immer geht es längs der bewaldeten Seitenabhänge hin bis in die oberen Bergregionen. Während des Winters weilt der Lappe in den unteren Walddistricten, deren Boden mit dem weichen Rennthiermoose bekleidet, obwohl vom Schnee bedeckt ist. Das kluge Thier weiß schon seine Nahrung unter der Schneedecke zu erlangen. Eine Anzahl Stangen, meist sechzehn bis zwanzig, kreisförmig in der Erde befestigt, oben zusammengebunden, bis auf eine Oeffnung für den Rauchabzug und mit Filz oder grobwollenem Stoff bedeckt, bilden seine Wohnung oder Gamme. Zwar ist sie leicht genug, um von heftigen Stürmen umgeworfen zu werden, doch reicht sie aus, ihn gegen das Wetter zu schützen, und das Feuer in ihrer Mitte mag das Uebrige thun.

Kommt das Frühjahr, dann verläßt der Lappe den Wald und zieht hinauf in die höheren Gegenden der Gebirgsausläufer bis zum Waldessaum, wo der Baumwuchs aufhört. Dies geschieht indeß nicht nach eigener Wahl, das Rennthier bestimmt ihn dazu. Der wilden Dasselfliege in den Wäldern zu entgehen, bricht es von selbst in’s höhere kühlere Gebirge auf, sein Herr muß ihm folgen, wenn er, der dem Rennthiere seine Gewohnheiten längst ablauschte, ihm nicht zuvor kam. Das eine seiner Renne am Riemen führend schreitet er voran, während die andern in langen Reihen hinter ihm herziehen. Bald ist der Platz abgeweidet, die Heerde zieht weiter; der wandernde Hirt wird zum Nomaden. Auf dem Rücken der hohen Fjellen, an jenen fürchterlichen abflußlosen Sümpfen, wo neben Moos und Flechte die Moltebeere als einzige Frucht zur Reife kommt, findet der Sommer die Heerde. Aber die Tage werden immer heißer, die Sonne geht nicht mehr unter, sie beschreibt um den Himmel einen Kreis, der um Mittag seine bedeutendste, um Mitternacht, wenn man trotz der am Himmel stehenden Sonne es so nennen kann, seine kleinste Entfernung vom Horizonte hat. Graue Wolken von Mücken, Schnaken und Stechfliegen umschwärmen die weidende Heerde und verursachen ihr die fürchterlichste Pein. Die gemarterten Thiere werden unruhig und wenden sich der kühlen Meeresküste zu, wo heftige Stürme die Schwärme des Ungeziefers verwehen. Der Lappe muß folgen, folgen bis auf die Inseln der Fjorde, welche das Rennthier schwimmend erreicht. Und wenn der Herbst naht, brechen die Thiere wieder auf und wenden sich rückwärts, erst den oberen, dann den niederen Waldregionen zu, um nach Jahresfrist genau dieselbe Wanderung wieder einzuschlagen. So abhängig ist der Lappe vom Renn; wollte er seinem Triebe nicht Genüge leisten, die ganze Heerde würde davonlaufen oder zu Grunde gehen und ihn zum „Bettellappen“ machen.

Doch wir besuchen den Lappen während des Spätsommers in seiner Gamme. Er ist von der Meeresküste zurückgekehrt und weidet wieder auf den nackten Felsenwüsten. Hundegebell kündigt uns von fern schon die Nähe des Lappenlagers an. Da regt es sich an der braunen Bergwand, einige Rennthiere werden sichtbar; nur noch wenige Schritte und wir sehen, wie am Rande eines kleinen Gebirgssees eine Rauchsäule emporsteigt und vor uns die Lappenhütte liegt. Wir heben die Thür der Hütte auf und treten tiefgebückt ein. Es ist Mittagszeit. In der Mitte brennt am Boden ein Feuer, über welchem, von an den Zeltstangen befestigten Ketten getragen, der dem Lappen unentbehrliche kupferne Kessel hängt. Der Rauch erfüllt den ganzen Raum und zieht sich behaglich nach dem oberen Luftloch. Mücken gibt es zwar nicht, doch können nur Lappländer hier ausdauern. Der Hausherr bereitet eben das Mahl; er kocht Rennthiermilch, brockt Käse dazu und würzt das Gericht mit Rennthierblut. Er ist ein reicher Mann, seine Heerde mag, wie wir später erfahren, gegen 2000 Stück zählen, darum hat er auch Salz und etwas Mehl zum Anrühren. Rings um das Feuer am Rande der Hütte liegen die Schlafstellen, Birkenreißig mit Fellen bedeckt. Dem Eingange gegenüber sitzt der Vater, neben ihm seine Frau, zur Seite die Kinder, gegenüber die Dienstboten und Verwandte, welche deren Stelle vertreten. Uns wird, nachdem man die Hand zum Willkommen gereicht, der Ehrenplatz zwischen dem Ehepaare eingeräumt. Wären wir Lappen, so würde beim Willkommen unter vielen unnützen Redensarten die Nase gegenseitig nach Stand und Würden tüchtig gerieben werden. Vor und nach Tische wird baarhäuptig still und kurz gebetet; beim Mahle liegt man, denn die Gamme ist viel zu niedrig, um darin aufrecht stehen zu können. Wir treten nach abgehaltenem Mahle mit unserm Wirthe in’s Freie. Der Lappe zieht aus seiner Blouse ein Fläschchen mit aufgelöstem Pech hervor und frischt den mückenfeindlichen Geruch seines Gesichts an, ganz wie wir es mit unserer Eau de Cologne thun. Der Abend naht, wiewohl die Sonne noch hoch am Himmel steht, und die Heerde kehrt heim von den höher gelegenen Fjellen.

Jetzt ist Alles Leben und Thätigkeit. Schon von Weitem vernimmt man das eigenthümliche Knicken der Renne, das oft mit dem Ueberspringen eines elektrischen Funkens verglichen worden ist, und von einem länglichen Knochen unter dem Horne des Hufes herrührt. Die freundliche Natur gab ihm diesen Knochen, damit sich die Thiern im dichten Schneetreiben nicht von einander entfernen möchten. Gleich einem Strome ergießt sich die Heerde von der Höhe herab. Die Hirten treiben sie mit lautem Rufe dazu an, die Hunde mit ihrem Gebell. Plötzlich drängt sich die Heerde zusammen, die Geweihe bilden einen wandelnden Wald. Wäre all’ dieses Geäst belaubt, man würde unwillkürlich an Macbeth’s Birnamwald erinnert. Alles strömt einem lockeren Gehege zu, und zwar stellen sich die Thiere so, daß der Rauch jener Feuer sie bestreicht, die man zum Schutze gegen die Mücken längs der Windseite für sie angezündet hat. In der Mitte dieses Geheges ist ein Stangengerüst, an welches jede Kuh zur Erleichterung des Melkens gebunden wird. Das Renn ist ein unbändiges Thier, es sträubt sich, hält die Milch zurück und Melker und Melkerin tractiren es mit Faustschlägen, so daß die Haare reichlich in das Melkgefäß stäuben. Kleine Lappenbuben fangen jedes zu melkende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_196.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)