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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Haus kam die Blüthe der deutschen wissenschaftlichen Jugend heimlich auf schwachbetretenen Gebirgspfaden von Jena und Halle an der Saale herauf, die unweit von hier über uns auf dem Berge entspringt, in der Nacht schweigsamer Tannenwälder, eine keusche, spröde Bergtochter. Ueber die Berge kamen diese herüber, und von Erlangen her wanderten andre am weißen Main herauf, in welchen auch dieses Bächlein fließt, wenn es erst in den rothen Main sich ergossen. Hier in dieser Stube saßen sie beisammen, die heißen, für Deutschlands Ruhm und Größe begeisterten Herzen, die noch für wahre Religion, für Treue und Glauben, für Tugend und Wahrheit, für Fleiß, Ordnung und Sittsamkeit, für eine keusche deutsche Wissenschaft und für freie Forschung in allen Gebieten derselben, für ein ehrliches Regiment und für den vernünftigen billigen Gesetzen schuldigen Gehorsam schwärmten. Hier hielten die Jenaer und Erlanger Burschenschaftsglieder ihre heimlichen Burschentage, wie die Heidelberger und Würzburger im Odenwalde, als der Herr Polizeiminister von Kamptz in Berlin die Burschenschafter als Majestätsverbrecher denuncirte, als die Ministerialconferenzen in Wien die Schlußacte vom 15. Mai 1820, den Hemmschuh der deutschen Geistesentwickelung, fertig machten, die Centraluntersuchungscommission in Mainz acht Jahre lang die deutsche studirende Jugend und ihre Lehrer belehrte, wie und auf welche Weise sie die Interessen des Vaterlandes zu fördern hätten.

„Sobald „die Mißverständnisse und Irrthümer“ über den Sinn des vielbesprochenen[WS 1] 13. Artikels der deutschen Bundesacte, die in den deutschen Ländern und namentlich unter der Verbindung der Burschenschaft auf den Universitäten obwalteten, so nachdrücklich in Wien, Berlin und Mainz zur Sprache kamen, und man von Köpenik aus, wo Burschenschafter in Masse in schwerem Gefängniß Geständnisse gemacht, immer stärkere Anklagen gegen den „verderblichen“ Geist der deutschen wissenschaftlichen Jugend erhob, wuchs die schwer verpönte Burschenschaft im Dunkel des Geheimnisses und der Wälder des Fichtelgebirges und des Odenwaldes reißend schnell. Und nun erst wurde zum Theil daraus, wessen man sie beschuldigt. Es ist wahr, in dieser Stube und draußen im Grunde sind Deutschlands politische Zustände einer scharfen, von Vaterlandsliebe und Jugendmuth, von stürmischer Begeisterung für eine der deutschen Bildung analoge staatliche, ausgesprochenen Kritik unterworfen worden. Freilich – freilich, es lief auch manche unreife Idee, manche hohle Phrase mit unter und die glühende Vaterlandsliebe ließ sie manche Thorheit sprechen! Mein Gott, aber auch welche flammende, welche erhabene Reden haben diese Wände vernommen!“

Wir waren unterdessen in die Stube getreten.

„Sie stehen an einer heiligen Stätte,“ fuhr der alte Mann feierlich fort, der mir in diesem Augenblicke sich um zwanzig Jahre verjüngt zu haben schien. Sehen Sie das Stammbuch der jungen redlichen herrlichen Männer um sich aufgeschlagen, die zum großen Theil in den Schlachten des deutschen Freiheitskampfes die Bluttaufe des deutschen Heldenthums erhalten, dann wenige Jahre später am unvergeßlichen Wartburgfeste die „überhand nehmende Neigung zu unfruchtbaren und gefährlichen Theorien“ auf drastische Weise documentirt hatten, und die nun hier den kühnen Gedanken aussprachen, wie solche Theorien, nach ihrer Meinung zum Heil Deutschlands und der Cultur, in die Praxis übersetzt werden könnten und müßten. Herr, Sie werden hier Namen lesen, würdig, in einem Pantheon der Menschheit zu glänzen, Namen, welche die Unsterblichkeit verdient hätten, wie irgend welche, die uns die Geschichte mit ihren heiligsten Segenssprüchen aufbewahrt hat, und die nun verhallt und verklungen sind, wie die Klage Ossians im Windsgeräusch. Ach, was ist aus ihren Trägern geworden? In den Schlachten der nordamerikanischen Union gegen die der kalten schlauen Krämerpolitik ungefügigen Rothhäute oder gegen die für die trockne Yankee-Weisheit nicht empfänglichen Mexicaner haben sie ihr edles Leben auf fremder Erde für eine fremde lügnerische Freiheit, die sie mit falschem Schimmer anzog, ausgehaucht, oder sie liegen gar in Afrika’s heißem Boden begraben, gefallen als französische Dienstknechte gegen die Bewohner der Berberei und des Atlas. Andre haben die Thränen zurückgedrängt und sich der höheren Staatsweisheit gefügt, Manche haben sich auch aufrichtig bekehrt und sind gute und treue Staatsdiener geworden. Was von diesen Namen noch lebt, ist nun alt und grau wie ich; ein leises Frösteln rinnt durch unsere Adern und ein ironisches Lächeln zuckt um unseren Mund, wenn wir die Steinmetzen der Harfensteine, diese Amarante, sich breitmachen sehen in diesen Landen und ihre zwölf Auflagen überzahlen.“

Er deutete mit der zitternden Hand auf die Tische, Thür- und Fensterbekleidungen. Da sah ich eine große Menge Namen eingeschnitten, alles Holz- und Täfelwerk war damit bedeckt. Ich las bekannte, ja berühmte Namen, aber ich nenne keinen, obgleich die besten davon die todter Männer sind. Ich las sie mit hoher Ehrfurcht. Sie gehören einer nun abgeschlossenen Periode der Geschichte an. Die Acten derselben können heute noch nicht vervollständigt werden, aber sie werden es einst, und die künftige Culturgeschichte Deutschlands wird auch von diesem „Löchle“ zu reden wissen. Damals sah nur ein deutscher Fürst, Carl August von Weimar, der Große, der „alte Herr,“ wie ihn die Gartenlaube so oft genannt hat, dem man jetzt das langverdiente Denkmal setzen wird, nur dieser eine Fürst sah klar genug, um den edlen, schönen Kern zu erkennen, der diesen Bestrebungen zu Grunde lag, und er war auch der einzige Fürst, der die großen hochfliegenden Träume der damaligen Jugend nicht geradezu verdammte und den verfolgten Jünglingen ein theilnehmender und helfender Beschützer blieb.

„Wann war wohl die erste Zusammenkunft der Burschenschafter hier?“ fragte ich meinen mir so lieb gewordenen Cicerone.

„Im Frühling 1818, als das Thal hier in üppiger Blüthe stand. Da kamen die prächtigen ehrlichen Burschen, voll von jungen Wartburgsideen, von Jena, Halle, Leipzig, Erlangen, Gießen auf einer heitern Burschenfahrt hier zusammen. Sie besuchten Jean Paul’s Geburtsstadt und die Orte, wo er gelebt und zum originellsten Dichter des deutschen Volkes aufgewachsen war, er, der die hohen heiligen Ideen der Freiheit mit glühender Seele ausgesprochen hatte, die sie nun mir glühender Seele als Thaten in’s Leben einführen wollten. Das Warmensteinacher Thal gefiel ihnen vorzüglich und das Löchle mit seinem Bier zumeist. Da war auch der unglückliche Sohn dieses Gebirges dabei, der mit Jean Paul Richter den gleichen Geburtsort hat, der beklagenswerthe Jüngling, der, dem finstern Geiste einer fanatischen Mystik verfallen, die unselige That beging, welche so großes Elend über Tausende seiner Brüder brachte, deren Folgen hemmend in die naturwüchsige Entwickelung des deutschen Geisteslebens eingriffen und ihr eine andere unerwartete Richtung gaben.“

„Sie meinen den unglücklichen Schwärmer Karl Ludwig Sand aus Wunsiedel.“

„Er hat den Beweis geliefert, daß jede Begeisterung für die heiligsten Güter des Lebens, Liebe, Vaterland, Tugend, Religion, wenn sie sich nicht eines klaren vernünftigen Zieles bewußt wird, zur unsittlichen Schwärmerei werden muß. Sand’s Geist hat sich auf ein Gebiet verirrt, wo noch nie Segen gesprossen ist, auf das der religiösen Mystik. Was er Religion nannte, ist jenes chamäleonische Wahngebilde, das den menschlichen Geist erhitzt und verwirrt, ihm die Schärfe der Vernunftschlüsse raubt und ihn zur unsittlichen That drängt, die er für ein Werk zur Ehre Gottes vollbracht hält. Keine Menschen werden dem ruhigen sichern Fortschritt der Geistescultur gefährlicher, als die religiösen Mystiker und Schwärmer, die doch gerade sie am meisten zu fördern wähnen. Darum kann man nicht genug auf die Verderblichkeit der modernen Amaranten-Schöpfungen hindeuten. Zum Glück ist die Schwärmerei der heutigen Herren Poeten eine gemachte, und das düster flammende Auge ist nicht vom Spiritus sanctus, sondern von einem andern erhitzt. Nur im kühlen Schatten der Vernunft gedeiht das wahre Heil des Menschengeschlechts. Rufen Sie die deutsche Jugend zu den Standbildern Lessing’s, Herder’s, Jean Paul’s, Friedrich’s des Großen und Joseph’s II. und machen Sie ihr begreiflich, was diese Männer in Wort und That erstrebten, und wenn sie den Geist derselben begreift, so hat Niemand Schlimmes von ihr zu fürchten.“

„Es ist ein eigenthümliches Schicksal der kleinen Gebirgsstadt Wunsiedel, daß sie einen so erhabenen Geist, wie Jean Paul, und einen unseligen Schwärmer, wie Sand, hervorbrachte, und das Thun und Treiben Beider zeigt, daß Deutschland seit einer Generation wieder zurückgegangen ist.“

„Nicht doch!“ lächelte mein Alter, „das ist nur scheinbar. Jean Paul war ein mächtiger Schritt vorwärts, Sand nur ein kleiner Schritt rückwärts. Das Löchle steht verödet, was darin einst verhandelt wurde, ist scheinbar alles vergebens gewesen; aber wie der Wind den leichten Samen der größten Gewächse weit von dannen und auf öde Felder führt, die sich dann mit fruchtbarem Grün überkleiden, so der geheimnißvolle Hauch des Geistes, der aus der abgeblühten Geistesarbeit den Samen pflückt und ihn der Nachwelt Überbringt. Ein anderes Geschlecht nimmt dann die Arbeit auf, wo wir sie


  1. Vorlage: vielbesprocheen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_210.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)