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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Auf die Frage des Engländers, ob der Unterschied der Pulte in den Schülerwohnungen eine Bedeutung habe, antwortete er:

„Allerdings; denn während die Untergesellen, so wie die Lichtputzer, das sind „untere Mittelgesellen“ – sich mit einem Kasten in den Bücherregalen begnügen müssen, darf der eigentliche Mittelgesell schon ein Stehpult haben.“

„Und Sie?“

„Ich habe das Vorrecht eines Sitzpultes.“ –

(Schluß folgt.)




Die Handwerkernoth,
ihr Grund und die Mittel zu ihrer Hebung.
Von Schulze-Delitzsch.
Nr. 2.

Die erste der in unserm vorigen Artikel (Nr. 9.) aufgestellten Forderung zur Abhülfe der Noth war also: Verminderung der Zahl der Handwerker. Hierbei wird man zunächst von der Verminderung der gegenwärtig etwa vorhandenen Ueberzahl ganz abstehen müssen. Denn die theilweise Ausschließung der Leute, welche einmal sich Jahre lang auf diesen Beruf eingelernt haben, würde deren Pensionirung oder Ueberführung nach entfernten Colonieen voraussetzen, wenn sie nicht verhungern sollen: Maßregeln, wovon bei uns nicht die Rede sein kann. Man wird sich also darauf beschränken müssen, den Andrang für die Zukunft zu vermindern. Dabei kann man einen doppelten Weg einschlagen. Der erste, der allein wahrhaft zu dem vorgestellten Ziele führt, ist: daß man die Zahl der jungen Leute beschränkt, welche sich dem Handwerke widmen wollen, daß man also einen Theil daran hindert und nöthigt, einen andern Beruf zu ergreifen. Geradezu könnte dies natürlich nur von einer mit öffentlicher Autorität bekleideten Behörde geschehen. Daß es aber eine sehr mißliche Sache ist, dem Einzelnen die freie Selbstbestimmung über die Wahl des künftigen Lebensberufes zu verschränken, sieht Jeder ein. Unleugbar kommen hierbei Neigung und natürliche Fähigkeit, Familien- und Vermögensverhältnisse und andere zur amtlichen Entscheidung wenig geeignete Punkte in Anschlag, und man hat im Gefühl der Unthunlichkeit einer solchen officiellen Regelung die Sache dadurch zu vermitteln gesucht, daß man eine Beschränkung der Handwerksmeister bei der Annahme von Lehrlingen vorschlug. Allein abgesehen davon, daß hier eine Gleichstellung sämmtlicher Meister, ohne Rücksicht auf den Umfang ihres Geschäfts und ihre persönliche Tüchtigkeit, schon große Unzuträglichkeiten mit sich führt, ist die Fixirung dieser Zahl in den einzelnen Gewerken und Orten äußerst schwierig und würde zu den widersprechendsten Reclamationen der betheiligten Meister Anlaß geben. Denn wollte man wirklich mit dieser Beschränkung so weit gehen, daß der natürliche Abgang unter den Handwerkern durch Alter und Tod durch den Zugang von Lehrlingen nicht weiter überschritten würde, als das Steigen der Bevölkerung mit sich bringt, so würde man den einzelnen Meistern kaum mehr als einen Lehrling auf einmal zu halten gestatten können. Mit einer solchen Maßregel wäre aber den Handwerkern selbst am wenigsten gedient. Nicht nur, daß sie dadurch nicht selten am Heranlernen der eignen Söhne gehindert wären, fristet sich auch eine Menge von Meistern gerade nur dadurch hin, daß sie in den Lehrlingen Gehülfen erhält, welche sie nicht zu lohnen braucht, und die noch obenein Lehrgeld zahlen müssen. Deshalb ist denn auch dieser Vorschlag noch nirgends consequent durchgeführt worden.

So bleibt denn noch der andere Weg übrig, auf welchem man die Concurrenz der Handwerker unter sich beschränken will, und der wirklich früher bei den geschlossenen Zünften üblich war; der nämlich, daß man zwar die Erlernung der Handwerke frei gibt, dafür aber die Meister an jedem Orte, je nach dem Bedürfniß, auf eine gewisse Zahl beschränkt. Allerdings ließe sich hierdurch wohl erreichen, daß sich eine günstig gestellte Minderheit auf Unkosten der Mehrheit ihrer Genossen, welche zur dauernden Unselbstständigkeit verdammt und daher gezwungen wären, bei jenen um geringen Lohn zu dienen, bereicherte, wobei natürlich auch das Publicum mit leiden müßte, insoweit es an jene kleine Zahl bei Beziehung seiner Bedürfnisse gebunden wäre. Da man aber auf solche Weise die Zahl der Handwerker nicht vermindert, sondern nur eine kleine, bevorzugte Classe unter ihnen schafft, welche die Früchte der Arbeit ihrer Genossen sich zu eigen machte, so wird dies Niemand im Ernste für eine wirkliche Lösung der Frage ausgeben, da es vielmehr ein Anerkenntniß ist, daß die Frage im Interesse der Gesammtheit keine Lösung zuläßt, weil man für nöthig hält, einen Theil der Masse zu opfern, um für den Rest eine erträgliche Existenz zu gewinnen.

Ebenso mißlich steht es mit der zweiten Forderung: „dem Verbot der Fertigung von Handwerkerwaaren von andern als Handwerksmeistern, insbesondere von Fabrikanten.“ Wo ist hier die Grenze zwischen Handwerk und Fabrik, welche Artikel eignen wir dem erstern, welche der letztern zu? Nach dem gegenwärtigen Stande der Sache sind eine ganze Menge von Gewerbszweigen, welche früher nur von Handwerkern gefertigt wurden, in die Fabrikproduction dergestalt übergegangen, daß der handwerksmäßige Betrieb entweder ganz aufgehört hat oder kaum noch das trockne Brod abwirft, wie wir z. B. an der Leinen- und Baumwollenweberei u. a. sehen. Bei andern existirt zwar auch die Concurrenz zwischen Handwerk und Fabrik, wie z. B. bei der Möbel-Production, bei verschiedenen Eisen- und Blechwaaren, jedoch wird die Stellung der Handwerker den Fabrikanten gegenüber mit jedem Tage unhaltbarer. Bei noch andern Gewerbszweigen endlich bedienen sich unsere Handwerker selbst der Erzeugnisse der Fabriken, weil sie die Stücke gar nicht oder nicht so billig herstellen können, und behalten sich höchstens die Zusammensetzung und letzte Ueberarbeitung, manchmal auch nur den Handel vor. Man frage z. B. nur die Tischler hinsichtlich der Fourniere, der gedrechselten oder geschnitzten Möbeltheile; die Schlosser in Bezug auf ganze oder Theile von Schlössern, die Büchsenmacher u. a., welche oft die wesentlichsten Stücke ihrer Waaren aus den Fabriken entnehmen und sich dabei viel besser stehen, als wenn sie dieselben selbst verfertigten. Wie soll es nun in dieser Hinsicht ferner gehalten werden? – Will man den gegenwärtigen Stand der Dinge bei Ziehung der Grenze zwischen Fabrik und Handwerk zu Grunde legen, der Fabrik die bisher eroberten Gebiete belassen und ihr nur verbieten, weiter um sich zu greifen? Und heißt das nicht den gewerblichen Fortschritt, jede neue Erfindung und Vervollkommnung der Betriebsart untersagen? Oder will man etwa gar auf irgend einen frühern Zeitpunkt zurückgehn, die Fabrikation von Waaren, welche irgend einmal von Handwerkern gefertigt worden sind, überhaupt verbieten, und die damit beschäftigten Fabriken schließen? – Der Natur der Sache nach werden die Handwerker, die sich bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge nicht halten können, es auch nicht dabei belassen wollen, sondern die Rückkehr zu frühern Zuständen, also die Schließung einer Menge von Fabriken fordern. Was soll aber dann zunächst aus der Menge entlassener Fabrikarbeiter werden, denen man doch am Ende so gut, wie den Handwerkern, das Recht, von ihrer Hände Arbeit zu leben, zugestehn muß? Beim Handwerk läßt man sie nicht zu, denn das ist ohnehin schon überfüllt, und sie haben ja nichts darin gelernt. Beim Landbau geht es ihnen nicht besser, da einerseits auch hier schon ein ländliches Proletariat vorhanden ist, welches in vielen Gegenden auf die Dauer keine lohnende Beschäftigung findet, andererseits die Leute die Arbeiten auch nicht verstehn, zum Theil sogar die Kraft nicht dazu besitzen. Wollte man aber auch hiervon absehn, und die Fabrikproduction in einer Menge von Artikeln, welche sie billiger und besser als die Handwerker herzustellen vermag, wirklich vernichten: wie will man da mit dem Auslande Schritt halten? Was soll daraus entstehen, wenn man alle neuen Erfindungen und verbesserte Productionsmethoden, wie sie der fabrikmäßige Betrieb allein in Anwendung bringen kann, von einer so großen Menge von Industriezweigen ausschließt? Die nothwendige Folge würde sein, daß sich die gewaltsam gehemmte Industrie über die Grenzen zieht, daß ein solches Land in gewerblicher und commercieller Hinsicht gegen seine Nachbarländer zurückkommt. Und die Handwerker sind deßhalb um wenig besser dran, denn die auswärtigen Fabriken

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_255.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)