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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 21. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Fern der Welt.
Von Bernd von Guseck.
Fortsetzung.

Graf Hallstein fühlte in diesem Augenblicke nur des Mannes redliche Gesinnung und sprach ihm seinen Beifall aus – Günther aber fragte nach dem angedeuteten Unglück des Fräuleins, von dem er noch nichts gehört hatte.

„Ja, das glaube ich wohl, Herr von Aßberg. Es weiß es auch Niemand, als ich, und ich mag nicht weiter davon reden, da er todt ist und es nun doch weiter nichts hilft. Setzen Sie sich nicht etwas zu uns in den Schatten, meine Herren? Sie können hier einen Rüdesheimer trinken, wie Sie ihn bei keinem Weinhändler finden.“

Hallstein wunderte sich, daß sein Freund die Einladung annahm, gewiß wollte er sich vollständig hier naturalisiren, und wenn er ihn etwa nach fünf Jahren wieder besuchte, fand er ihn gewiß als Stammgast, vielleicht gar als Eidam eines dieser würdigen Familienhäupter, welche das Patriciat der Stadt bildeten. Er konnte es zwar über sich gewinnen, die zuvorkommende Aufnahme, die er mit Günther in der kleinen Versammlung unter den Pappeln fand, nicht durch übel angebrachte vornehme Kälte zu erwidern, im Gegentheil war er so freundlich und gesprächig, als es in seinen Kräften stand, und bestätigte dadurch den Ruf, den ihm Herr Hassel schon bereitet hatte, aber innerlich widerstrebte doch seiner Natur die Formlosigkeit, die sich ihm selbst in jeder Beziehung hier fühlbar machte, zu sehr, und er dachte nun schon an seine Abreise. Was konnte ihn, da er nun wußte, wie Günther sein Leben gestaltet hatte, und daß er für ihn doch nicht mehr das alte offene Herz habe, was konnte ihn noch länger hier fesseln? Als er sich diese Frage stellte, war es ihm, als wecke er damit eine räthselhafte Unruhe, die mehr und mehr in ihm aufwallte – er spottete bitter darüber und das ironische Lächeln, das auf seine Lippen trat, galt nicht, wie Günther besorgt wähnte, den harmlosen Kleinstädtern um ihn her, sondern dem eigenen Selbst. Es mahnte aber den Freund zum Aufbruche.

„Charmant, ich begleite Sie, wenn Sie es erlauben,“ sagte Hassel. „Ich reite dann den Fußsteig nach Allweide, wo mich der Pastor erwartet. Den sollte sie heirathen, der nimmt sie gleich.“

Diese Aeußerung traf das aristokratische Gefühl des Grafen wie ein elektrischer Schlag, und nur die rasche Unterbrechung des Gesprächs durch Günther hinderte eine Entgegnung in diesem Sinne, welche ihn hier lächerlich gemacht haben würde: er dankte, zur Besinnung gekommen, dem Freunde später selbst dafür. Der Gerichtsverweser eilte, seinen Falben satteln zu lassen, Aßberg ging, seine übrigen Geschäfte zu besorgen, und Hallstein begleitete ihn, wobei er Gelegenheit hatte, sich das Bild der Physiognomie dieses vom großen Weltverkehr in fast märchenhafter Abgeschlossenheit liegenden Gemeinwesens zu vervollständigen. Leugnen konnte er trotz aller Vorurtheile nicht, daß er hier einen so gesunden und achtungswerthen Kern des Volkslebens fand, wie er ihn in der großen Strömung vor allen Krystallisationen, die sich um ihn angesetzt haben, nicht mehr zu erkennen vermochte.

Herr Hassel erschien jetzt hoch zu Roß und ritt hinter dem Wagen des Bergaers aus der Stadt, draußen, sobald der Weg breiter wurde, sprengte er aber an den Schlag. Auch heute war kein Kutscher mitgenommen worden, die Unterhaltung konnte also ganz ungestört geführt werden.

„Ich wünschte noch Ihre Meinung zu hören,“ sagte Günther, „ob meine Mutter vielleicht etwas für Fräulein von Nidau thun kann. Sie fürchtet, nur ihren Schmerz noch mehr aufzuregen, sonst würde sie, wenn auch unbekannt, schon selbst nach Allweide gefahren sein.“

„Na, dazu würde ich auch nicht rathen. Das würde die Lenchen nur in Verlegenheit setzen. Aber sonst darf sich die gnädige Frau nicht geniren. Brauchen kann sie Alles, denn ihr fehlt nicht mehr als Alles. Wenn Ihre Frau Mutter mir anvertrauen will, was sie zu spenden gedenkt, so werde ich es schon mit Manier anbringen, daß es nicht wie’n Almosen aussieht. Am Ende braucht sie gar nichts davon zu wissen, denn sie hat keine Ahnung, wie weit ihr Vater heruntergekommen ist, und kann es dann in Gottes Namen für das Ihrige, was etwa aus der Masse gerettet ist, halten. Ihrer Frau Mutter, wie ich sie kenne, wird es nicht darauf ankommen, für ihre Wohlthat einen großen Dank zu ernten – ich habe schon Beweise, was sie im Stillen für die Armen gethan hat, wie eine echte christliche Dame. Gestern, in der ersten Rathlosigkeit, was nun aus der Lenchen werden sollte, dachte ich schon daran, daß vielleicht Ihre Frau Mama sie als Gesellschafterin oder so etwas zu sich nähme, aber nachher fiel mir ein, daß Sie noch ledig sind, Herr von Aßberg, und ich nicht Ursache geben möchte, mir später Vorwürfe von der gnädigen Frau zuzuziehen.“

„Herr Gerichtsverweser!“ entgegnete Aßberg unwillig. Graf Hallstein sah den kleinen dicken Herrn, der bei dieser Naivetät ganz ruhig mit seinem Zügel spielte, eher belustigt an.

„Na, in allen Ehren natürlich!“ erwiderte Hassel. „Wenn Sie die Lenchen gesehen hätten, würden Sie es nicht so weit wegwerfen, und sie ist doch immer, wenn auch noch so arm, Ihnen ebenbürtig.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_285.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)