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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Ebenbürtig! Dies Wort der Anerkennung eines Rangunterschiedes, das der Graf in den Kreisen seiner Bekanntschaft noch nie aus dem Munde eines Unadeligen gehört hatte, war geeignet, ihn die vorige Aeußerung über den Pastor, der das Fraulein gleich nehmen würde, vergessen zu lassen.

„Sie ist also sehr liebenswürdig?“ fragte er mit Antheil.

„Eine sehr angenehme Person – unter Ihren Hofdamen haben Sie gewiß keine, die ihr das Wasser reicht, im Aussehen, meine ich. Bildung – Du lieber Gott, wo sollte sie die her kriegen? Was sie als Kind bei dem seligen Pastor gelernt hat, ist nicht viel gewesen, in Gesellschaften ist sie niemals gekommen.“

„Aber sie war doch verlobt, sagten Sie?“

„Ja, das wohl. Das war ein reiner Zufall, sehen Sie. Bei dem Herrn in Reinsdorf drüben war vor zwei Jahren einmal ein Vetter aus dem Thüringischen, ein reicher junger Herr, der muß die Lenchen wohl einmal in der Kirche oder auf dem Felde gesehen haben, wie es dann weiter gekommen ist, wissen wir nicht, aber es hieß bald in der Gegend, sie wären verlobt. Er reiste ab und ich gratulirte, das wurde auch angenommen, aber ich erfuhr von dem Alten weiter nichts und von der Lenchen erst recht nichts. Leider kam dann das Unglück und so ist Alles wieder vorbei.“

„Sie hat also doppelten Gram, das arme Mädchen,“ bemerkte der Graf, welcher jetzt für Aßberg die Forschung weiter fortsetzte.

„Na, das ist auch eine eigene Geschichte. Zuerst gab es freilich einen großen Schreck, aber wie ich nach einem Vierteljahre wieder herauskomme, finde ich die Lenchen munter und lustig, wie einen Vogel. Sie hat sonst ein sehr weiches und gefühlvolles Herz – also muß sie den Bräutigam wohl nur auf Befehl ihres Vaters und wegen des Geldes genommen haben.“

„Starb er so plötzlich?“

„Sehr plötzlich, Herr Graf, er wurde im Duell todtgeschossen.“

Hallstein fühlte bei diesem Worte, wie Günther neben ihm zusammenzuckte, ein Seitenblick ließ ihn bemerken, daß er jählings erblaßt war. Ein plötzliches Ahnen wunderbarer Fügung überkam ihn und ließ ihn für einen Moment verstummen.

„Die näheren Umstände hat mir der alte Nidau erzählt,“ fuhr Hassel fort, „aber ich mußte ihm versprechen, sie für mich zu behalten – hätte es auch aus Gründen von selbst gethan. In der Gegend wurde nur bekannt, daß er gestorben sei. Ihnen, meine Herren, da sie sich einmal für das gute Mädchen interessiren und die gnädige Frau etwas für sie thun will, auch Sie, Herr Graf, ihr vielleicht bei Ihren Connexionen zu einem Unterkommen, einer Stiftsstelle oder so etwas verhelfen können, habe ich nur allein davon erzählt. Ich recommandire mich nun, hier geht ein Fußsteig ab!“

Er zog die Mütze und lenkte seinen Falben von dem Wagen in einen Seitenpfad ein, in welchem er nun in einem stürmischen Galopp davonsprengte.

Die Freunde saßen eine lange Zeit stumm neben einander. Gebhard überließ es Aßberg, ob er eine Erklärung des ungewöhnlichen Eindrucks, welcher sich bei ihm bemerklich gemacht hatte, geben wolle.

„Er hat den Namen nicht genannt?“ begann Günther endlich mit unsicherer Stimme.

Gebhard verneinte es auch, äußerte aber, daß er wohl in der ganzen Gegend, welche um die Verlobung gewußt, bekannt sein werde. Als Günther wiederum eine geraume Weile schwieg, fragte ihn der Graf, den diese Zurückhaltung kränkte, in einem plötzlichen Uebergange zu alltäglichen Dingen: was er für die beiden Braunen gezahlt habe? Das traf denn endlich.

„Gebhard, Du hast ein Recht, mir auf diese Weise fühlbar zu machen, wie ich mich an unserer Freundschaft vergangen habe! Auch meine Mutter fand es unrecht, daß ich Dir mein volles Vertrauen vorenthielt – willst Du es noch von mir annehmen?“

Er war in mächtiger Bewegung, völlig der Haltung beraubt, welche ihm sonst eigen war, und Gebhard hielt es für unedel, von dieser Aufwallung, die den Freund vielleicht bei ruhigerem Blute wieder gereuen konnte, Vortheil zu ziehen. Er bat ihn daher, sich erst zu fassen und, was er ihm vertrauen wolle, auf eine gleichmütige Stimmung zu verschieben: er danke es ihm schon von Herzen, daß er ihm das Recht der Freundschaft zugestehe.

„Nein, Gebhard. Es tritt mir zu mahnend von Neuem in den Weg und ich sehe doch, daß ich mich getäuscht habe, als ich mich stark genug wähnte, Alles allein zu tragen. Ich habe eine Blutschuld auf meiner Seele.“

Hallstein wandte sich betroffen nach ihm um, aber er sagte, schnell verständigt:

„Im Zweikampfe, das ist ein Unglück, aber wer wollte das so nehmen oder nennen, wie Du sagst? Wir können die Gesetze der Ehre nicht ändern.“

Aßberg schüttelte düster den Kopf.

„Die Welt hat es einen Zweikampf genannt, aber die Umstände, unter denen es vorgefallen ist, haben ihn zum Mord gestempelt. Wenn ich Dir sage, daß mein Gegner ein Rittergutsbesitzer aus Thüringen, daß er, wie mir später gesagt wurde, glücklich verlobt war, daß er vor zwei Jahren von meiner Hand gefallen ist – begreifst Du, daß ich zittere vor Gottes gerechter Vergeltung, die mich hierher geführt hat, um ein Zeuge des Elendes zu sein, das ich verursacht habe?“

„Ich bitte Dich, Günther, gib Dich nicht dieser erschütternden Aufregung hin! Hat Dich wirklich der Zufall – oder Gottes wunderbare Fügung, wenn Du es annehmen willst – gerade in diese Gegend geführt, wo Du, ohne es zu ahnen, die hinterlassene Braut des Mannes, der im ehrlichen Zweikampfe gefallen ist, finden mußtest, so hast Du auch zu glauben, daß es zu einem anderen Zwecke ist, als nur Dich zu zerknirschen!“

„Was willst Du damit sagen?“ rief Günther, von dem Gedanken ergriffen, der in Hallsteins Worten zu liegen schien.

„Deine Meinung, wir haben oft darüber gestritten, gibt keinen Zufall in der Welt zu. Du hast immer behauptet, auch das geringfügigste Ereigniß sei entweder Schickung oder Folge der eignen Willensfreiheit – ich finde es viel natürlicher, auch einmal eine zwischen Beiden liegende Macht, den Zufall, den ich eine Zulassung nennen möchte, wirkend zu denken – gleichviel! Mag Deine Wahl, hier Dich anzukaufen, gekommen sein, wie sie wolle, ihre Folgen mußt Du wie ein Mann zu beherrschen wissen. Vor Allem aber, warte doch ab, was Dir die nächste Minute sagen wird: ob der Bräutigam des Fräuleins von Nidau und Dein Gegner eine Person gewesen sind? Daß letzterer ebenfalls ein Thüringer und verlobt war, beweist noch nichts. Willst Du mir Dein Rencontre erzählen? – Aber ich dränge Dich damit nicht.“

„Nein, nein, Du sollst Alles wissen – mehr, als selbst meine Mutter! Gebhard, Du hast die Deinigen auch geliebt, mich gestern hart angesehen, als ich gewisse Verhältnisse berührte – richte Du über mich. Es war in Ischl. Ein Herr von Walrode – Du kennst den Namen?“ unterbrach er sich überrascht.

„Vielleicht!“ sagte der Graf sich beherrschend. „Fahre fort. Ich werde es erst erfahren, ob ich diesen Walrode gekannt habe.“

„Er hatte sich bei den Herrschaften, welche zur Cur dort anwesend und sonst schwer zugänglich waren, vorstellen lassen, er spielte eine angesehene Rolle in der Gesellschaft. Ich war nicht meiner Gesundheit wegen dort, sondern nur, um die herrliche Alpennatur zu genießen, doch hatte ich mir, im Uebermuthe der mir zugefallenen großen Glücksgüter, allen äußern Luxus gestattet und fand dadurch – Du wirst mich nicht mißverstehen, wenn ich es selbst sage – einige Beachtung. Man zog mich in gewisse Kreise, zu geselligen Unterhaltungen, zu Ausflügen nach den schönsten Partien des Salzkammerguts, ich kann nicht läugnen, daß ich mich in dem fröhlichen, ungezwungenen Leben, wo nur die Etikette, nicht aber die feine Sitte der Salons verbannt war, sehr wohl fühlte. Nur Walrode benahm sich sonderbar kühl, fast abstoßend gegen mich – ich begriff nicht warum?“

„Neid!“ warf der Graf ein.

„Er offenbarte nur zu bald einen andern Grund. Anfangs kehrte ich mich nicht an ihn, ich war sonst wie Du weißt, nicht eben schmiegsam – Walrode existirte für mich gar nicht, auch wenn uns die Gesellschaft, in der er seine Rolle nicht aufgab, zusammen führte. Endlich benahm er sich aber so verletzend, ich kann sagen verächtlich, daß ich es nicht mehr dulden konnte. In der Gesellschaft natürlich stellte ich ihn nicht zur Rede, diese ahnte nichts – aber dann – erst schriftlich, dann unter vier Augen und“ – fuhr Günther immer kürzer und heftiger fort – „was er mir da in’s Gesicht gesagt, wie er die Ehre – meiner Mutter angegriffen – das forderte mein Blut oder seines! Sollte ich Zeugen dazu rufen? Den Secundanten meinen Grund zum Cartel sagen? Wir schossen uns allein – am Hallstädter See – ich hatte den ersten Schuß!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_286.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)