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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Ich komme direct von ihm.“

„Wie erhielten Sie die erste Nachricht von seinem Tode?“

„Der Revier-Commissarius des Kriegsraths – wir wohnen in demselben Viertel – schickte schon vor acht Uhr zu mir, und ließ mich zu sich bitten, er habe mir etwas Wichtiges mitzutheilen. Ich erzählte Ihnen wohl schon, daß der Commissarius ein Landsmann von mir ist, und mir jede erlaubte Gefälligkeit erweist. Ich begab mich zu ihm. In seinem Zimmer fand ich eine mir nicht bekannte ältliche Frau vor, welche meine Ankunft abzuwarten schien.“

„Dies ist die Aufwärterin des Kriegsraths,“ sagte der Commissarius zu mir, „sie hat mir eben eine auffallende Mittheilung gemacht. Erzählen Sie dem Herrn, was Sie mir gemeldet haben, Frau Uschert,“ sprach er, zu der Frau gewendet. Ich erschrak, noch ehe ich Näheres vernommen hatte, denn Sie begreifen, eine Summe – doch entschuldigen Sie, das gehört nicht zur Sache – kurz die Frau erzählte, sie habe heute zur gewöhnlichen Stunde, Morgens um sieben Uhr, bei dem Kriegsrath geklingelt, ohne daß ihr geöffnet worden wäre. Sie habe darauf geklopft, wiederholentlich geklingelt, aber ebenso erfolglos. Ausgegangen könne der Herr nicht sein, denn er gehe niemals so zeitig aus. Etwas Außergewöhnliches müsse passirt sein, denn die Abendzeitung des vorigen Tages habe noch unter der Thürschwelle gelegen, obgleich der Herr jedenfalls des Abends nach Hause gekommen sein müsse.“

Der Commissar wandte sich an mich.

„Die Sache ist allerdings so angethan, daß ein polizeiliches Einschreiten gerechtfertigt erscheint. Ich weiß, wie sehr Sie bei diesem Todesfalle interessirt sind, und stelle Ihnen anheim, uns zu begleiten.“

„Natürlich nahm ich das Anerbieten an, ich zitterte vor Aufregung. Ein Schlosser wurde mitgenommen. Wir kamen, der Commissarius, ein anderer Polizeibeamter und die Aufwärterin mit dem Schlosser, in der Wohnung an; wir klingelten, Alles blieb still. Der Commissarius ließ die Thür zur Wohnung, welche nur mit einem einfachen Drückerschloß verschlossen war, öffnen. Von einem schmalen Corridor gelangten wir in ein unverschlossenes Wohnzimmer, nebenan liegt das Schlafzimmer; es war gleichfalls unverschlossen. Wir traten ein – der Kriegsrath lag in seinem Bette ohne ein Zeichen des Lebens.“

„Bemerkten Sie irgend etwas Auffälliges?“ fragte ich den Agenten hastig.

„Nicht das Mindeste.“

„Und der Commissarius?“

„Eben so wenig.“

„Was sagte der Commissarius?“

„Seine ersten Worte waren: Der Schlag hat ihn gerührt! Sonderbare Idee, bei geöffneten Fenstern zu schlafen!“

„Sie sagen, die Fenster waren geöffnet?“

„Allerdings!“

„Die des Schlafzimmers allein, oder auch die Fenster der übrigen Zimmer?“

„Nur die Fenster des Schlafzimmers.“

„War irgend eine Unordnung im Zimmer zu bemerken?“

„Nicht die geringste. Am Kopfende des niedrigen Feldbettes lag auf einem Nachttischchen die goldene Uhr und die Geldbörse des Kriegsraths. Ueberall im Zimmer herrschte die größte Ordnung und Sauberkeit.“

„Haben Sie oder der Commissarius irgend welche Wiederbelebungsversuche angestellt?“

„Das wäre vollkommen nutzlos gewesen.“

„Auf welche Weise überzeugten Sie sich davon?“

„Wir hoben seinen herabhangenden rechten Arm in die Höhe – er war kalt und starr; der Commissarius hob das Augenlid in die Höhe – die durchsichtige Hornhaut des Auges war glanzlos und runzlig.“

„Und der Hals –“

„Ich weiß, was Sie sagen wollen. Nicht das mindeste Zeichen, das zu einem positiven Verdacht Anlaß geben könnte.“

„Wie lag der Körper?“

„Wie ein vollkommen ruhig Schlafender zu liegen pflegt.“

„Der Gesichtsausdruck?“

„Eben so ruhig, von dem Ausdruck des Schlafes nur durch eine gewisse Schlaffheit der Züge und einen leisen Anflug mattbläulicher Färbung des Gesichts unterschieden.“

„Und was thaten Sie ferner?“

„Ich war eben so rathlos als bestürzt. Der Commissarius bemerkte, es sei in der Sache nichts weiter zu thun, als dem Gericht schleunigst Anzeige zu machen, und inzwischen Alles unverändert zu lassen. Er verschloß die Wohnung wieder, versiegelte sie und hat eine Wache vor die Thür gestellt. In einer Stunde glaubte er mit dem Staatsanwalt und dem gerichtlichen Physicus wieder in der Wohnung sein zu können. Ich bin zu Ihnen geeilt, um von Ihnen Rath zu erbitten, was ich in der Sache noch thun kann.“

Was sollte ich rathen? Was sollte ich vermuthen? Sollte ich ohne irgend einen nähern Anhalt an ein begangenes Verbrechen, an einen Selbstmord glauben? Und wenn jener trübe Abschiedsblick mich auch wirklich nicht getäuscht hatte, berechtigte er zu weiteren Schlußfolgerungen, als zu der, daß der Verstorbene, wie so viele plötzlich von einem Nervenschlage Dahingeraffte, sein bevorstehendes Ende geahnt habe? Oder war ich berechtigt, mit voller Ueberzeugung anzunehmen, daß es der Verstorbene wirklich war, mit dem ich am Abend vorher unter dem nämlichen Obdach Schutz vor dem Unwetter gesucht hatte? Und wenn es wirklich der Fall gewesen, was folgte mit einiger Wahrscheinlichkeit daraus für die Annahme, daß die Todesart des Verstorbenen eine unnatürliche gewesen, das heißt zunächst eine selbstmördische? Denn dieser Punkt war es, der die Gesellschaft zunächst und am lebhaftesten interessirte. War ein Selbstmord als Todesursache erweislich, so war damit nach den Statuten die Police erloschen und die gezahlte Prämie verfallen.

Welche andere Gedanken mich auch sonst noch bei diesem unerwarteten Todesfalle bewegen mochten, ich war verpflichtet, ihn zunächst aus dem Gesichtspunkte eines Ereignisses zu betrachten, welches der Lebensversicherungsgesellschaft, die mir ihr Vertrauen zugewendet hatte, einen unmittelbaren und sehr erheblichen Geldverlust zu bereiten drohte. Ich hatte daher als Geschäftsmann alle meine Aufmerksamkeit darauf zu richten, ob eine der Bedingungen eingetreten war, mit welchen nach ziemlich allgemein übereinstimmenden Grundsätzen der Versicherungsverträge die Versicherung selbst steht und fällt. Dazu gehört insbesondere, außer dem Falle des Selbstmordes und des versuchten Selbstmordes, auch der, wenn der Versicherte durch einen ausschweifenden Lebenswandel, durch muthwillige oder mit augenscheinlicher Gefahr verknüpfte Handlungen seinen Tod herbeiführt oder beschleunigt. Es gehört ferner dazu, daß bei der sehr speciell gehaltenen Declaration in Betreff des Gesundheitszustandes, alle früheren Krankheitsfälle und alle etwaigen organischen Gebrechen mit größter Genauigkeit angegeben werden, damit die Versicherungsgesellschaft, zum Behufe der Wahrscheinlichkeitsberechnung über die präsumtive Lebensdauer, auch die kleinsten, oft gerade bestimmenden Details zu übersehen vermag.

Alles das sagte ich mir selbst nach kurzer Ueberlegung und kleidete mich schnell an, um den Agenten zu begleiten. Auch dieser hatte sich inzwischen gefaßt und schrieb, während ich mich ankleidete, einen vorläufigen Bericht über den Eintritt des Todesfalles an die Direction nach London.

(Fortsetzung folgt.)




Gellert und der Bildhauer Knauer.

Wenn man in Leipzig die Dresdner Straße, von der Stadt kommend, hinabgeht, sieht man eine einsame Kirche vor sich stehen, die ihren schlanken Thurm hoch in die Lüfte erhebt; sie erscheint so einsam, weil der Kirchhof, der sie früher umgab, weggeräumt ist, und somit die Todten ihre Kirche haben verlassen müssen. Nur ein Grab ist geblieben und das ist das Gellert’s. Es besteht in einer einfachen Steinplatte mit dem Reliefbildniß des edlen Todten und einer Anpflanzung von Cypressen, die einen kleinen, von einem Eisengitter umfriedeten Raum schmücken. Gellert allein, von Allen, die hier entfernt wurden, ist geblieben; an seine Ruhestätte hat die Hand, die hier aufräumte, nicht rühren dürfen. Aber wie lange wird er noch sein Plätzchen behalten? Vielleicht noch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_312.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)