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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

sei. Der Hausschlüssel des Kriegsrathes fand sich am gewöhnlichen Platze vor; war der Fremde vermittelst dieses Schlüssels in das Haus gelangt? War ihm dasselbe von innen geöffnet worden? Das war nicht zu ermitteln. Von den Hausbewohnern hatte Niemand in jener Nacht nach zehn Uhr das Haus verlassen.

Aber als sollten alle weiteren Ermittelungen sich an das persönliche Erscheinen des englischen Anwalts knüpfen, so folgte der ersten Entdeckung bald eine zweite, wichtigere.

Der Sohn des Polizeibeamten, ein lebhafter Knabe von zwölf Jahren, hatte von den entwendeten Münzen reden hören, und sich von seinem Vater auseinander setzen lassen, wie ein solcher „Sterbethaler“ aussehe. Am Tage nach der Vernehmung der Waschfrau erzählte er seinem Vater bei Tische, er habe heute in der Schule einen solchen Sterbethaler gesehen, und zwar bei dem Sohne eines Subalternbeamten des Gerichts, der eine kleine Münzsammlung besitze. So zweifelhaft es auch schien, daß dieser Thaler eben der entwendete sein könne, so ließ es sich der eifrige Beamte doch nicht verdrießen, sofort in der Behausung des Knaben über den Ursprung des Geldstückes weitere Nachfrage zu halten. Der Knabe gab an, er habe diesen Thaler von dem Dienstmädchen seiner Eltern gegen anderes Geld aus seiner Sparbüchse eingetauscht, um das seltenere Geldstück seiner Sammlung einzuverleiben. Das Dienstmädchen mußte sich eine geraume Zeit besinnen, ehe es anzugeben vermochte, woher es den Thaler erhalten. Endlich erinnerte sie sich, daß sie diesen Thaler mit noch mehreren anderen Geldstücken in einem sogenannten Victualienladen herausbekommen habe, als sie mehrere Wirthschaftseinkäufe besorgt und mit einer Cassenanweisung von fünf Thalern bezahlt hatte.

Zum Inhaber dieses Victualienladens begab sich der Beamte zunächst und befragte ihn unter Vorzeigung der Münze, ob er anzugeben vermöge, von wem er dieses Geldstück erhalten habe.

„Es ist doch nicht falsch?“ war die erste Frage des ängstlichen Mannes.

Man beruhigte ihn und suchte sich zunächst zu vergewissern, daß dieser Thaler ihm auf irgend eine Weise kenntlich geworden sei. Er kannte ihn ganz genau.

„Denn,“ sagte er, „sehen Sie, weil mir der Thaler ein bischen fremd vorkam, hab’ ich ihn erst auf den Ladentisch auffallen lassen, um zu hören, ob es nicht etwa Blei wäre; und dann, hier ist auch noch das Zeichen, wo ich mit meinem Daumennagel eine kleine Schramme gekratzt habe.“

Die Wahrnehmung war richtig. Aber von wem hatte er das Geldstück erhalten? Er kannte den Mann nicht näher und bezeichnete ihn als einen Professionisten oder Arbeitsmann; möglicher Weise sei es ein Tischler gewesen, wenigstens hätten die Hände deutliche Spuren der braunen Möbelpolitur an sich getragen, deren sich die Tischler zum Poliren bedienen. Der Mann habe verschiedene Speisen und Getränke, die er in dem Victualienladen genossen gehabt, mit jenem Thaler bezahlt und, nachdem er den Restbetrag des Geldes erhalten, sich nicht wieder sehen lassen. Verdächtiges sei ihm an ihm nicht aufgefallen.

Damit waren die weiteren Spuren zunächst wieder erschöpft, und es war schwer, auf diese Andeutungen hin den Gesuchten ausfindig zu machen. Als der Polizeibeamte sich eben entfernen wollte, trat ein dem Arbeiterstande angehöriger ältlicher Mann ein und begann, nachdem er das geforderte Getränk empfangen, sich mit dem Wirth zu unterhalten. Der etwas einfältige Wirth schien sich plötzlich zu besinnen, blickte bald seinen Gast, bald den Beamten an, so daß dieser stehen blieb und seinerseits fragend auf den Wirth blickte. Es stellte sich heraus, daß der eben Eingetretene – ein Schiffer – zugegen gewesen war, als der in Rede stehende Thaler gewechselt wurde, und daß er sich mit dem Unbekannten geraume Zeit unterhalten hatte. Die Beschreibung, welche er von dem Fremden entwarf, schien auf den Menschen zu passen, der in der Todesnacht vor dem Hause des Kriegsraths gestanden hatte. Der Fremde hatte sich gegen den Schiffer unter andern dahin geäußert, daß er beabsichtige, die Stadt zu verlassen, und bei einer der damals noch nicht vollendeten, östlich gelegenen Eisenbahnen Arbeit zu suchen, da es mit seiner Profession – die er nicht nannte – nicht mehr gehe. Der Schiffer getraute sich, den Fremden mit Bestimmtheit wieder zu erkennen; der Wirth war seiner Sache nicht sicher.

Das Nächste war jetzt, die Register aller derjenigen Personen zu durchsuchen, welche als Arbeiter auf Kosten des Staates nach den verschiedenen Stationsorten der im Bau begriffenen Eisenbahn befördert worden waren. Deren Zahl war Legion; auf mehr als hundert konnte die Beschreibung des Schiffers passen. Dennoch entschloß sich der Polizeibeamte, die Reise in Begleitung des Schiffers zu unternehmen, und die einzelnen Stationsorte der Eisenbahn zu revidiren.

In sein Büreau zurückkehrend, fand er mehrere Personen vor, welche sich zur Erledigung der verschiedenen Angelegenheiten eingestellt hatten, die in einem Polizeibureau vorzukommen pflegen. Hierzu gehören namentlich die schriftlichen An- und Abmeldungen, die Ertheilung von Paßcertificaten u. dergl. mehr. Ein solches bereits von dem Schreiber ausgefülltes Paßcertificat wurde dem Commissarius zur Unterschrift vorgelegt; es enthielt in der Rubrik: Zweck der Reise – die Angabe, „Arbeit bei der Eisenbahn zu suchen.“

„Für wen ist dieser Schein?“ fragte der Beamte, sich zu den Anwesenden wendend.

„Hier,“ antwortete ein junger Mann von schmächtiger Natur und blasser Gesichtsfarbe.

Der Commissarius machte eine Bewegung, als wollte er ihm das Papier einhändigen, der junge Mensch streckte die Hand aus – ein Blick des erfahrenen Beamten genügte – diese Hand trug noch deutlich Spuren des Gebrauchs der Möbelpolitur an sich.

„Wo haben Sie das silberne Schachspiel und das übrige Geld gelassen?“

Ein Blitzstrahl aus heiterer Luft konnte nicht erschütternder wirken, als diese einfachen Worte aus dem Munde des Polizeibeamten. Der Angeredete schrak heftig zusammen, wurde glühend roth und gleich darauf wieder todtenbleich. Ehe er sich noch zu sammeln vermocht, hatte der Commissarius ihn in das Nebenzimmer geschoben; ein Schreiber war mit hinein getreten. Man sah sofort, daß dem Menschen klar wurde, in welcher Situation er sich befand; er rang nach Fassung – leugnete mit stockender Stimme, er wisse von nichts. Er sei nur erschrocken, weil man ihm plötzlich Dinge vorgehalten habe, von denen er keine Ahnung habe. Dabei blieb er, trotzdem ihm der verausgabte Thaler vorgehalten wurde, obgleich man ihn eindringlich darauf aufmerksam machte, daß er nur durch ein unumwundenes Geständniß den Verdacht eines noch weit schwereren Verbrechens von sich abzuwenden vermöge.

Durch die Confrontation mit dem Schiffer und dem Victualienhändler wurde festgestellt, daß er es gewesen, der den Thaler verausgabt hatte. So viel gab er auch schließlich zu, nachdem er anfänglich auch diesen Umstand abgeleugnet hatte. Ueber den Erwerb des Thalers befragt, bediente er sich der allgemeinen Ausflucht, daß er ihn von seinem früheren Arbeitslohn gespart habe. Seine persönlichen Verhältnisse sprachen durchaus nicht für die Wahrscheinlichkeit eines solchen Erklärungsgrundes.

Ludwig *** war als Kunstdrechslergehülfe polizeilich gemeldet, befand sich aber schon seit geraumer Zeit ohne Arbeit und ohne erweislichen anderweiten Erwerb. Aus den Polizeilisten ging sogar hervor, daß er vor nicht langer Zeit wegen Obdachslosigkeit zur Haft gebracht worden war. Inzwischen hatte er allerdings hier und da durch das Aufpoliren von Möbeln in verschiedenen Häusern einiges Geld verdient; dasselbe war jedoch nicht ausreichend gewesen, seine dringendsten Lebensbedürfnisse zu bestreiten. Denn wie aus dem Schritte hervorging, der seine Ermittelung zur Folge hatte, war es sogar dahin mit ihm gekommen, daß er sich zu der unwillkommenen letzten Ausflucht bequemte, seinen Unterhalt als gewöhnlicher Tagearbeiter zu erwerben.

Er wurde verhaftet und sofort dem Untersuchungsrichter vorgeführt.

„Sie sind dringend verdächtig,“ begann der Untersuchungsrichter das Verhör, „verschiedene werthvolle Gegenstände bei Nachtzeit und vermittelst Einbruchs aus der Wohnung des Kriegsraths von P. entwendet zu haben!“

Der Schrecken, welcher den Angeschuldigten bei der ersten Vorhaltung durch den Polizeibeamten ergriffen hatte, war nichts im Vergleiche zu dem Entsetzen, das ihn jetzt bei Nennung des Namens des Verstorbenen packte.

Er starrte den Richter einen Augenblick mit weit aufgerissenen Augen an, wechselte ein paar Mal die Farbe, und rief mit ungeberdiger Heftigkeit, fast schreiend: „Ich kenne keinen Kriegsrath von P., ich habe ihn in meinem Leben nicht gesehen, wie kann man mir solche Nichtswürdigkeiten in’s Gesicht sagen –“

Der Untersuchungsrichter ließ ihn austoben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_339.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)