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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

üppigen, großen Gürtel wunderbarer Vegetation, der dessen Kegel als Grenze der feurigen Lavaströme umgibt, zu bewundern.

Der Name unseres Reisenden klingt, wie alle englische Namen, sehr unromantisch: Fennel. Seine Gefährten, ein Geistlicher und ein Advocat, sind gar nicht genannt, eben so wenig zwei Diener, welche mit einer dauernden, stillen Wuth über Mangel an Porterbier und englischen Fleischkeulen die drei Herren begleiten und mit gemietheten Führern bedienen.

Sie folgten von der Stadt Catania, der nächsten am Aetna, ihren Führern durch ein wildes Labyrinth von Wald und Wildniß, Schlünden und Schluchten, Höhlen und Höllen, welche den Kegel des Vulcans wie warnende Ungeheuer umlagern. Schon seit einer Woche hatte der Krater Spuren innerer Unruhe verrathen. Erdbeben zitterten leise unter der Stadt hin und wogten mit dem Steinpflaster unter den Füßen der Menschen, als sei’s Wasser, gaben dem Kopfkissen des Schlafenden die Bewegungen eines geschaukelten Kahns und stießen Gläser und Tassen zusammen, jedoch ohne Häuser einzustürzen und die Catanier zu beunruhigen. Sie waren ja von der Wiege an so gewiegt worden. Ihre Häuser stehen auf Lava, gebaut von Lava. Ihre üppigen Blumen und Früchte nähren sich von zersetzter Lava, sie selbst leben von Lava und sind halb Lava, halb Vulcan, wie in einem gewissen Grade alle Sicilianer: von Außen kalt, inwendig voll Feuer, sehr leidenschaftlich fühlend, gedankenlos, stets auf dem Sprunge zu einer wüthenden Eruption.

Unser Herr Fennel wollte gern eine Eruption sehen, aber die Catanier sagten ihm, da könne er vielleicht lange warten. Manchmal grolle und grunze der Aetna sechs bis acht Wochen lang, ehe er sich seiner innern Qual wirklich entledigen könne. Manchmal komm’ es auch schnell, doch könne man’s nie vorher wissen. Der Engländer meinte, er könne und werde Monate lang warten; inzwischen sei es gut, sich den Krater mal in der Nähe anzusehen. So hatte er sich mit zwei Landsleuten, Dienern und Führern aufgemacht. Ein dünner brauner Rauch aus dem Aetnaschlunde spann sich in einem scharfen Westwinde zu langen Fäden aus durch die Luft, bis die eintretende Nacht zuweilen rothe Funken und Streifen durch die geschlängelten Rauchfelder zog. Die Funken und Streifen wurden zuweilen zu ganzen feurigen Athemzügen, welche mit einem tiefen, dumpfen, hörbaren Unmuthe aus der Brust des Kraters ausgestoßen wurden.

Was sie auf dem so stoßweise beleuchteten nächtlichen Wege sahen, fühlten, dachten und sprachen, würde kaum in einem Bande zu sagen sein. Sicilien ist jeden Zoll breit voller Wunder. Es ist noch keinem Reiseschriftsteller gelungen, diese erhabene, furchtbare, hier überschwenglich liebliche, dicht daneben bleichen Schrecken athmende Scenerie der Aetnainsel zu schildern. Mit jedem Schritte geht man thatsächlich Über einen unermeßlichen Abgrund dünn überkrusteten ewigen Feuers. Die dünne Kruste kann jeden Augenblick wogen wie das Meer, oder zersprengt werden wie ein Hauch. Von dem Aetnakegel her strecken sich weit unter dem Boden hin, meilenweit unter dem Meere fort, ungeheuere Lager von Schwefel, welche der ewig brennenden Hölle unter dem Himmel Siciliens seit Jahrtausenden Feuermaterial liefern, der Hölle, dessen Schornstein sich 10,000 Fuß hoch erhebt im Aetna-Krater. Mit jedem Athemzuge fühlt man etwas von der Wärme dieses innern ewigen Schwefelfeuers, der innern Heizung, welche, durch Erdrinde und Felsen dringend, einen ewig blühenden Himmel von Gewächshausvegetation treibt, unbekannt in andern Himmelsgegenden unter gleichen Breitengraden. Aber ungeachtet dieser Kenntniß setzt man mit den Bewohnern Vertrauen in die himmlische Oberfläche und giebt sich gern dem Glauben hin, daß diese ungeheuern, kochenden Schwefelmeere, auf denen die blühende Insel schwimmt, und alle die fürchterlichen Apparate unten, welche den Paradiesesglanz oben bedingen, dem Paradiese oben vorläufig noch erlauben werden, heiter und ruhig weiter zu schwimmen.

Man braucht auf gewöhnlichem Wege mit guten Führern etwa zwölf Stunden, um den Aetna zu besteigen. In der Regel wird Abends aufgebrochen, wenn man die Sonne oben aufgehen sehen will. Tüchtige Maulesel, die derb zuschreiten, erlauben Zeit, nach Mitternacht ein Stündchen zu ruhen, und etwa um drei Uhr die Reise zu vollenden.

Mr. Fennel’s Führer, despotisch wie alle Führer und Herren, so lange ihre Function dauert, erklärten erst um ein Uhr in der Nacht, daß jetzt Zeit und hier die Stelle zum Halten und Rasten sei. Jeder war damit zufrieden, da die Nachtreise bisher körperlich wie geistig eine Tortur gewesen war. Man hat keine Idee von der furchtbaren Erhabenheit einer Nachtreise in Sicilien, besonders von Catania nach dem Aetnakrater. Welche Abgründe von riesigen Schatten und Schreckbildern dunkeln vor den angestrengten Augen aus den Tiefen und Höhen und unergründlichen Fernen! Ungeheuere, monströse Riesen von Berghäuptern winken und drohen von oben; aus hohler, tiefer, tiefer Unterwelt brummt und murmelt es unheimlich herauf an den jähen Felsen, auf dessen schmaler Kante des Maulthiers Fuß vorsichtig knattert. Aus Wald und Weite dringen seltsame, unerklärliche Töne, heulende, kreischende, rauschende, ängstliche, drohende, pfeifende Laute herauf. Man springt den Führern nach über Klüfte, zwischen denen ein losgebröckelter Stein hohl und dumpf anprallt und mit langsam verschwindendem Geräusch dem Abgrunde verfällt. Im wilden Zickzack geht’s weiter und weiter, höher und höher über die Gesichter verzerrter Klippen hinweg, in immer wildere Verschlingungen und Verlegenheiten, über welche die Führer nur spärliche Auskunft geben, so daß man ihnen, vor Angst und Anstrengung schwitzend, unbedingt folgen muß. Unter solchen Umständen klingt ihr gebieterisches Halt! gar angenehm, wie in dem vorliegenden Falle. Die Diener und Führer machten Feuer, um Kaffee zu kochen und den scharfen Zug der kalten Nachtluft zu erwärmen, während Fennel die kolossalen Terrassen hinunter nach dem Meere schaute, in ein dämmerndes Chaos von Landschaft und Städten, begrenzt von dem leuchtenden Silberbande des Meeres. Das Meer schaut auch während der Nacht mit leuchtender Brust in die Sterne hinauf. Diese Nacht funkelten außerdem schwimmende Lichtinseln der Phosphorescenz bis zum Tarentinischen Vorgebirge hin auf. Die Wissenschaft mag diese Phosphorescenz eben so deutlich erklären, wie den Gedankenproceß im Menschen, der ja nach einer Autorität auch blos eine Phosphorescenz sein soll. „Kein Gedanke ohne Phosphor.“ Aber wer antwortet dabei auf die Unruhe von tausend himmelhohen Fragezeichen, die aus dem brennenden Wasser aufsteigen, aus den schwimmenden Feuerinseln, den meilenlangen Gewinden von Gluthwärmern, die auf den Wellenkämmen sich hinschlängeln, verschwindend, aufleuchtend, in neuen Gestalten und Lichttönen abdunkelnd und wieder hell aufschießend? Auf die Gefühle, Stimmungen und Ahnungen, welche die Menschenbrust vor solchen Scenen durchschauern?

Mr. Fennel ward von diesem Genusse zu dem körperlichen, den die Diener bereitet hatten, gerufen. Nachher wickelte sich Jeder, mit Ausnahme einer Wache, in seinen Mantel vor dem Feuer, worauf die Führer sofort fest schliefen, wie rothe Indianer. Doch schon nach einigen Dutzend Minuten sprang einer derselben mitten aus seinem tiefen Schlafe auf, und roch prüfend in die Luft hinein, die plötzlich wärmer und wärmer ward. Er rief sofort alle Schläfer auf und zeigte auf den blutrothen Glanz, mit welchem sich der Himmel bedeckte und die furchtbare landschaftliche Scenerie unten recht schwarz färbte mit seinem Lichte.

„Der alte Bursche kommt uns zuvor!“ rief der Hauptführer. „Brechen wir auf!“

Die Eruption war in vollem Gange. Auf dem runden, von Bäumen umgebenen Knollen, wo sie standen, konnten sie deutlich rothe, breite, langsam sich fortwälzende, Bäume, Felsen niederkrachende und mit sich fortreißende Feuerwogen sehen, welche beide Seiten des Kegels, auf dem sie standen, in kurzer Zeit einschließen mußte. Ein unsäglicher Anblick.

„Wie entkommen wir?“ fragte endlich Fennel die vor Schreck stummen Führer.

„Wissen’s nicht. Nie in solcher Lage gewesen. Aber fort, rasch fort. Hier würden wir bald Asche sein bis auf die Knochen. Die Bäume krachen. Die Lava verfolgt ihre beiden Hauptwege in den Abgründen auf beiden Seiten, um sich jenseits jenes Hügels zu vereinigen. Kommen wir nicht rechtzeitig über diesen hinaus, sind wir verloren.“

In einer Minute war die ganze Gesellschaft in wilder Flucht. Die heranglühende Hitze der Lava und die krachenden Bäume gaben jedem Flügel mit den Eisenstangen, mit denen sie abwärts über Abgründe sprangen. Alles Andere war zurückgelassen worden. Ringsum erhob sich ein wahrer Höllenlärm durch die kurz vorher noch so schweigende Gegend: Geblöke und Geheul von Heerden, Hundegeheul, Menschengekreisch, Geknister rasch aufflackernder Flammen und Feuersbrünste, dumpfes Donnern zersprengter Felsen, Krachen und Knacken niedergebrochener und aufflammernder Wälder. Jeden Augenblick stieg die sich heranwälzende Gluth höher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_374.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)