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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

seit drei Wochen ihr täglicher, stets heiterer, liebenswürdiger und freigebiger Gefährte gewesen war, jetzt verlassen sollten oder nicht. An etwas Anderes konnten sie nicht wohl denken; denn damals existirte noch kein Gesetz, das den Criminalbeamten verbot, einen Officier zu verhaften. Der Graf bemerkte ihre Unentschlossenheit.

„Ah, meine Herren, Sie warten auf mich? Zu viele Güte! Ich bitte, gehen Sie voraus; verwahren Sie mir nur einen Platz; in einer Stunde bin ich bei Ihnen.“

Sie gingen; die meisten gewiß leichten Herzens.

Der Graf hatte sein Billet beendet: er siegelte es mit dem Wappen seines Siegelringes und übergab es dem Referendarius.

Es war wirklich an den österreichischen Gesandten gerichtet; der Graf halte es so leicht geschrieben, als wenn er sich zu einer Gesellschaft bei dem Gesandten zusage; er war überhaupt vollkommen ruhig und sicher geblieben. Der Beamte der Criminalpolizei wurde desto unruhiger und unsicherer; doch er konnte nicht mehr zurück. Er übergab das Billet zur Bestellung einem Gensd’armen, den er schon vorher in die Nähe postirt hatte, und fuhr mit seinem Gefangenen in einer Droschke nach dem Molkenmarkte Nr. 2.

Aber kaum eine Stunde später ließ den armen Referendarius, der in der Polizei seine Carriere machen wollte, der Polizeidirector zu sich kommen.

„Was haben Sie gemacht, mein lieber Referendarius?“

„Sie meinen den Abenteurer, den ich verhaftet habe?“

„Der österreichische Gesandte reclamirt ihn als den ihm sehr angelegentlich empfohlenen Grafen Zilly.“

„Der Herr Gesandte ist nicht unterrichtet; ich hoffe, den Menschen noch heute als einen gefährlichen Verbrecher zu entlarven.“

„Wohl durch Lude Stähler?“

„Sie wissen schon?“

„Gewiß. Lude Stähler ist der durchtriebenste Schuft des Berliner Pflasters.“

„Mir,“ sagte der Referendarius selbstzufrieden, „hat er schon halb und halb ein Geständniß ablegen müssen.“

„Er hat Sie ganz und gar belogen. Aber ich bin Ihnen dankbar, lieber Referendarius, daß Sie ihn arretirt haben: ich suchte ihn den ganzen Morgen.“

„Sie suchten ihn?“

„Er hat heute Nacht in Moabit einen schweren Einbruch verübt, heute Nacht um ein Uhr.“

„Mein Gott, um ein Uhr war er ja in der Jüdenstraße; er hat es mir selbst gestanden.“

„Mein lieber Referendarius, Sie müssen noch viel lernen, besonders von den Spitzbuben. Um Sie abzulenken von dem, was er gethan hatte, ging der Mensch desto bereitwilliger auf das ein, was Sie von ihm wissen wollten.“

„Aber, ich hatte ihn selbst gesehen.“

„Phantasie, lieber Freund.“

Dem Referendarius brach der Angstschweiß aus. „Der Schurke,“ rief er.

„Hielten Sie den zehn Mal bestraften Dieb für einen ehrlichen Menschen?“

„Aber, ich habe noch mehr gesehen.“

Er theilte dem Polizeidirector mit, wie der Graf von dem kleinen, entsprungenen Menschen Geld erhalten habe. Der Vorgesetzte hörte ihm sehr aufmerksam zu.

„Aber,“ erwiderte er, „junge Menschen haben ihre Abenteuer; das rechtfertigte seine Verhaftung nicht.“

„So werde ich ihn wieder in Freiheit setzen müssen.“

„Ich bin Ihnen zuvorgekommen, und Sie können ihn bereits im Hofjäger finden; ich habe ihm versprochen, Sie würden in einer halben Stunde dort bei ihm sein, um ihn um Verzeihung zu bitten.“

„Ich sollte mich so compromittiren?“

„Sie müssen schon; Sie haben das Versehen begangen.“

„Aber es werden täglich Hunderte solcher Versehen begangen und niemals bittet man um Verzeihung, im Gegentheile, der unschuldig Verhaftete bekommt einen Verweis, daß er sich verdächtig gezeigt und dadurch der Behörde unnütze Mühe und Kosten gemacht habe.“

Der Polizeidirector lächelte.

„Den gewöhnlichen Leuten gegenüber muß allerdings die Ehre der Behörde gewahrt werden; aber hier –. Zudem hatte ich Sie vorher gewarnt, sich nicht zu compromittiren. Jedenfalls verlangt es der Gesandte. Der junge Graf selbst wollte freilich nichts davon wissen, Sie möchten denn eine Flasche Champagner mit ihm trinken wollen. –“

Der Referendarius ging sehr kleinlaut und niedergeschlagen. Allein schon nach drei Tagen konnte er desto triumphirender zu seinem Vorgesetzten zurückkehren, der seinerseits, wenn auch gerade kein langes, doch ein sehr nachdenkliches Gesicht machte.

„Der Graf Zilly ist fort, Herr Polizeidirector?“

„Ja, Herr Referendarius.“

„Verschwunden? Plötzlich?“

„Hatten Sie vielleicht vorher Kenntniß von seinem Verschwinden gehabt?“

„Nicht die geringste.“

„Was halten Sie von der Sache?“

„Ich habe dem Menschen nie getraut, Herr Director. Dieses plötzliche Erscheinen, dieses Renommiren mit dem stehenden Thaler für die Droschke und dem Ducaten für eine Tasse Kaffee, dieses Herandrängen an die Gardeofficiere, unseren besten Adel – das Alles war mir von Anfang an verdächtig. Dazu jene nächtliche Begegnung und Unterredung in der Jüdenstraße! Und diesen Menschen habe ich, hat ein Beamter um Verzeihung bitten müssen! Ich hatte eine Ahnung seines plötzlichen Verschwindens. Aber ich habe auch eine Ahnung, daß ich ihn noch einmal wiederfinden werde.“

„Sie stimmen also mit den Vermuthungen des österreichischen Gesandten überein?“

„Darf ich fragen, was dieser vermuthet?“

„Daß der Graf Zilly noch in Berlin sein müsse.“

„Der Graf? Man hält ihn noch für einen Grafen?“

„Der Gesandte hat sich nicht darüber ausgesprochen; er hat nur beantragt, sehr genau und sorgfältig auf ihn zu vigiliren, ihn im Betretungsfalle zu verhaften und sofort ihm, dem Gesandten, Nachricht davon zu geben. Uebrigens soll die ganze Angelegenheit geheim bleiben; nur die vertrauteren Polizeibeamten sind deshalb davon in Kenntniß gesetzt, und indem ich auch Ihnen diese amtliche Mittheilung mache, muß ich um die strengste Verschwiegenheit bitten.“

„Was mag diese ungewöhnliche Discretion zu bedeuten haben?“

„Ich denke, ein ungewöhnliches Verhältniß.“

„Ah, diese Gardeofficiere haben mit ihm verkehrt, manche Flasche Champagner auf seine Gesundheit mit ihm getrunken, vielleicht auch mit ihm gespielt; das könnte compromittirend werden.“

„Gespielt nicht,“ versicherte mit Entschiedenheit der Polizeidirector.

Der Polizeireferendarius lächelte fein, als wenn er, obgleich Neuling in dem Fache, doch schon mehr wisse, als er nur wissen sollte.

„Wir dürfen nicht alle Spielhöllen in Berlin kennen, Herr Director.“

„Sie wissen Bescheid. Dem Gesandten ist sehr viel an der Habhaftwerdung des Menschen gelegen.“

„Ich werde mir alle Mühe geben.“

Dieses Gespräch fand in dem Polizeipräsidium in dem Geschäftsbureau des Polizeidirectors statt.


III.

Fast just zu derselben Zeit ereignete sich auf dem Spittelmarkte zu Berlin, der bekanntlich von dem Polizeipräsidium nur durch den Petriplatz, die Gertraudenstraße, den Cölnischen Fischmarkt und den Mühlendamm getrennt ist, Folgendes:

Aus der Leipziger Straße kam in eiligem Schritt ein junges Mädchen. Sie war noch sehr jung, etwa sechszehn bis siebzehn Jahre alt, aber schon von einer hervorstechenden Schönheit; wer die hohe, schlanke Gestalt mit dem feinen, sanften Gesichte und den frommen, demüthigen Augen so leicht und anmuthig daher schweben sah, meinte, daß er nie eine schönere, herzigere Blondine sehen könne. Sie war nicht elegant, aber auch nicht ärmlich gekleidet; man konnte sie für eine Arbeiterin in einem Putz- oder ähnlichen Geschäft halten. Sie bog, als sie das Ende der Leipziger Straße erreicht hatte, hinüber auf das Trottoir an der Spittelkirche, als wenn sie in die Wallstraße wolle. Es war dort ein großes Gedränge von Menschen allerlei Standes und Alters, die um diese Zeit – es war zwölf Uhr Mittags – aus den Fabriken, Comptoirs, Läden und anderen Arbeitslocalen der nahen und fernen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_382.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)