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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

unterseeische Blitzreise von tausend Meilen noch nichts Großartiges bekommen.

So viel im Allgemeinen und gegen Ueberstürzung in Beurtheilung des telegraphischen Weltwunders. Wir verkennen dabei das Wunder nicht, und freuen uns der ungeheuern Technik und Industrie, die es schuf. Suchen wir uns eine Vorstellung davon zu machen. Es ist durchweg interessant und erhebend, zu begreifen, wie man’s machte.

Der ungemein dünne, obwohl sehr complicirte Draht, der die alte und neue Welt verbinden soll, wird zwei kolossale Kriegsschiffe füllen, ein amerikanisches und ein englisches, die in der Mitte des atlantischen Oceans jedes ein Ende hergeben, verbinden lassen und dann nach entgegengesetzten Enden ausspinnen werden, bis das eine Amerika, das andere England erreicht. Die amerikanische Fregatte Niagara hat eben ihren Theil in England eingesponnen, mit der andern Hälfte wurde das englische Kriegsschiff Agamemnon in Portsmouth beladen.

Die Art, wie das Telegraphen-Tau in’s Schiff gewickelt ward, ist folgende. Linker Hand am Schiffe hat man eine Art von Ponton-Brücke mit Rädern oben, über welche das Tau läuft, angebracht. Es wird von einer Dampfmaschine im Innern von den Walzen in den Werkstätten der Herren Glaß und Elliot ab- und in das Schiff hineingezogen, wo unten um einen Kegel herum ein dichter Ring von Männern in blauen, wollenen Matrosenhemden sitzt und den rollenden, auf vielen Rädern hinrutschenden Draht so genau ordnen, indem er sich aufwickelt, daß keine Krümmungen, Verwickelungen und Zwischenräume an der Rolle entstehen. Als Schreiber dieser Zeilen das Schiff besuchte (auch interessant wegen seiner Kriegsthaten im schwarzen Meere und der Besatzung, welche noch ganz dieselbe ist, wie sie aus dem Kriege zurückkehrte), waren 230 englische Meilen aufgewickelt. Da man im Durchschnitt täglich etwa 40 Meilen ab- und einspann, bedurfte diese eine Hälfte des Drahtes allein einer fortwährenden Reise und Aufwickelung aus seiner Geburtsstätte in das Schiff von fünfwöchentlicher Dauer.

Die Reserveschiffe, Mittel und Vorsorgen gegen allerhand mögliche Unglücksfälle beim Aussenken des Riesendrahtes in den Meeresgrund sind von sehr durchdachter Art; doch hängt deren Erfolg von den Händen ab, welche in Fällen der Noth zu- und eingreifen müssen. Da wichtige Posten und Aemter in England aber nicht nach dem Maße von Kenntniß und Tüchtigkeit, sondern in Folge von Geburt, Verwandtschaft und Empfehlung vertheilt werden, ist hier nicht geringe Gefahr zu befürchten.

Am 14. oder 15. Juli dampfschrauben sich beide Schiffe nach der Mitte des atlantischen Oceans, wo die beiden Hälften des großen Freundschaftsbandes vereinigt und dann in nobler Concurrenz als ein Ganzes durch das atlantische Meer hin ausgesponnen werden. Jedes wird dazu etwa acht bis zehn Tage brauchen. Das Telegraphen-Tau besteht zunächst aus einem dichten Gewinde von sieben Kupferdrähten in einer festen Hülle von Gutta-Percha, um sie dadurch gegen äußere Einflüsse zu schützen und gegen erdmagnetische Störungen zu sichern. Um den Gutta-Percha-Mantel ist eine feste Schicht getheerten Hanfs gesponnen. Kupferdrähte, Gutta-Percha-Hemd und Hanftheerjacke sind mit einem dichten Eisendrahtmantel bekleidet, um dem Ganzen just für die Zeit des Ausspinnens und Senkens Zähigkeit und Kraft zu geben. Nachher kann der Eisenmantel ruhig verrosten, das kolossale Band bedarf auf dem ruhigen Meeresgrunde dieses Schutzes nicht mehr. Trotz dieser complicirten Zusammensetzung ist das ganze Tau nicht dicker als eine gewöhnliche Waschleine und eben so biegsam. An der Verfertigung der mehr als 50,000 geographischen Meilen Kupfer- und Eisendraht (400 Meilen einfache Länge von Amerika bis England sieben Mal in Kupfer und achtzehn Mal sieben Mal in Eisendraht zu dem äußeren Mantel, der aus achtzehn Schnüren, jede zu sieben Drähten, besteht) haben alle Drahtzieher Englands über ein Jahr mehr oder weniger zu thun gehabt. Sie lieferten ihre Arbeit an die beiden Hauptspinner ab: Newall in Birkenhead und Glaß und Elliot in Greenwich, welche selbst täglich mit Dampf jeder etwa 15 geographische Meilen Draht zogen. Im Durchschnitt kostete jede geographische Meile 600 Pfund Sterling. Das Ausziehen dieser Metallmassen und deren Verspinnung mit den Tag für Tag vierspännig ankommenden Arbeiten anderer Drahtzieher rief ein Leben in Birkenhead und Greenwich hervor, das eben so großartig als neu aussah, da immer wieder Tausende von Neugierigen herbeiströmten, um die unaufhörlich ankommenden riesigen Trommeln von gesponnenem Drahte zu bewundern und zu sehen, wie sie abgewickelt und blitzschnell wieder zusammengesponnen wurden.

Auf das Technische und die vielen wunderbaren Kleinigkeiten und genialen Erfindungen zur Erleichterung der verschiedenen Operationen können wir hier ohne viel Raum nicht eingehen, da wir schon genug zu thun haben, um von der elektrischen und telegraphischen Wichtigkeit dieses Taues eine Vorstellung zu geben. Zunächst ist es schon großartig genug, eine so complicirte Waschleine 2000 englische Meilen lang zu spinnen und sie aus zwei Kriegsschiffen durch das ganze atlantische Meer hin zu legen, um die vor einigen Jahrhunderten noch ganz unbekannte, weite, nur nach langen, schweren Kämpfen erreichbare neue Welt so dicht an die andere zu knüpfen, daß man beim Aufwachen in Berlin, Leipzig, Dresden, Wien, Peterburg u. s. w. bis in die Hinterwälder Amerika’s fragen kann, wie ein Verwandter oder Bekannter dort geschlafen habe, um beim Frühstück schon die Antwort zu erhalten. Wird’s denn aber auch gehen? Wird die dünne Waschleine auf dem Meeresgrunde unbeschädigt ankommen, dort aushalten und die Elektricität in beiden Welten stark genug sein, um in einem Futter hüben und drüben anzukommen, ohne den Athem oder sich selbst ganz verloren zu haben?

Lauter Fragen, deren Beantwortung erst abgewartet werden muß, wird man meinen. Dies ist aber nicht nöthig; der wissenschaftliche Director des ganzen Unternehmens, Mr. Whitehouse, hat sich bereits auf die großartigste und complicirteste Weise mit Mitteln umgeben, um Antwort auf diese Fragen im Voraus zu erhalten. Diese sind bis jetzt alle günstig ausgefallen.

Mr. Whitehouse ist zugleich wissenschaftlicher Director der ganzen einen Elektro-Telegraphen-Compagnie Englands und hat sich als dieser moderne Jupiter des Blitzes dichter mit Drähten und Gewinden umgeben, wie die Spinne mit ihrem Gewebe oder der Seidenwurm mit seinem meilenlangen Coconmantel. Besonders interessant unter diesen Gewinden und Geweben und Instrumenten ist seine Elektricitäts-Kraftwage. Er läßt den elektrischen Strom durch Draht laufen, der um eine Barre weichen Eisens gewickelt ist. Letzterer wird dadurch ein Magnet, der das eine Ende der Wage anzieht und zwar mit einer Kraft, welche durch die Zahl von ganz kleinen, gleichen Eisenkügelchen, die dann das andere Ende der Wage aufhebt und anzieht, auf das Genaueste gemessen werden kann. Dieser „Magneto-Elektrometer,“ wie die Wage genannt wird, hat seine unermeßlichen Vorzüge vor dem bekannten Galvanometer, der unruhig und höchst unsicher mißt, während ersterer ruhig und genau nur so viel Eisenkügelchen anzieht, als die elektricitätserzeugte magnetische Kraft eben tragen kann. Außer dieser feinen Elektricitäts-Kraftwage ist ein Elektricitätsgeschwindigkeits-Meßinstrument sehr wichtig geworden, das zu complicirt ist, als daß wir es ohne wissenschaftliche Voraussetzungen in Kürze beschreiben könnten. Nur so viel, daß dieses Instrument hundertste Theile einer Secunde angibt, so daß elektrische Ströme, die durch je eine zusammengewickelte Masse von Draht, eine bis hundert und mehrere hundert Meilen lang, gehen, der Zeit nach auf das Genaueste gemessen werden können. Mit diesen Instrumenten hat er den Drähten, welche das blitzschnell fragende und antwortende Band zwischen der alten und neuen Welt werden sollen, schon von vornherein befriedigende Antworten auf wichtige Fragen abgenöthigt. Wir bemerken hier nur in Kürze eine der wichtigsten Eigenthümlichkeiten des gigantischen Drahtes. Das innere Gewinde von sieben Kupferdrähten wird nicht als ein bloßer Leitungsdraht wirken, wie unsere gewöhnlichen Telegraphendrähte, sondern als Leydener Flasche, eine Flasche so lang, wie der atlantische Ocean zwischen England und Amerika breit ist. Die Leydener Flasche, welche mit Elektricität gefüllt wird, muß einen isolirenden Mantel haben, der die entgegengesetzten Elektricitäten getrennt hält, bis sie sich an einem verlangten Punkte blitz- und schlagartig vereinigen sollen. Diesen isolirenden Mantel bildet hier der Gutta-Percha-Ueberzug; der innere Kupferdraht den Behälter und Leiter der innern, der äußere Eisendraht und (ohne denselben) das umgebende Meereswasser nehmen die durch die innere gebundene entgegengesetzte Elektricität auf. Der innere Kupferdraht ist beinahe Haarbreit dünn, weil die ganze Leydener Flasche, die er bildet, mit Elektricität gefüllt werden muß, damit sie am andern Ende sich entlade. Wäre er nur um ein Hundertstel eines Zolles dicker, würde das jedesmalige Füllen des Drahtes so und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_407.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)