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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Ich werde nicht, Herr Langenau.“

„Machen Sie auch nicht die geringste leichtfertige oder zweideutige Anspielung.“

„Herr Langenau, ich bin eine ehrbare Wittwe, und mein Mann war Friseur und Berliner Bürger.“

„Sehr wohl, Madame Beier. Dieser Garten stößt an den gräflichen Garten?“

„Hinten an das Bosquet im Park. Man kann durch ein offenes Pförtchen hinein.“

„Richtig. Wenn es dunkel wird, werden wir zusammen dorthin eine Promenade machen. Sie verlassen mich dann mit Theodor; er weiß Bescheid.“

„Sie wollen dort mit dem Mädchen allein bleiben?“

„So ist es. Sie ist ja meine Braut.“

„Ach, Herr Langenau, solch’ eine Brautschaft –“

„Was wünschen Sie?“

„Das Mädchen ist so brav und unschuldig!“

„Gewiß.“

„Sie konnte im Wagen so schön von ihrer guten Mutter, ihren Geschwistern und ihrem verstorben Vater erzählen; das Herz schnürte sich mir zusammen.“

„Mir auch, Madame.“

„Und von ihrer Armuth, Herr Langenau. Die Leute sind so arm und doch so brav.“

„Das sind sie.“

„Und noch vor drei Tagen hat sie einen frischen Rosenstock auf das Grab ihres Vaters gepflanzt; das gab mir erst recht einen Stich in’s Herz.“

„Ich war mit ihr da, Madame Beier.“

„Herr Langenau, und Sie könnten das arme Mädchen verführen?“

„Madame Beier, hier haben Sie zwei Friedrichsd’or, und nun kümmern Sie sich um nichts weiter.“

„Ach, Herr Langenau!“

„Was wollen Sie noch?“

„Ist es kein Sündengeld? Kein Blutgeld?“

„Nein.“

„Ich kann es also mit gutem Gewissen nehmen?“

„Das müssen Sie wissen.“

„Sie wollen also das Mädchen nicht verführen?“

„Habe ich gesagt, daß ich sie verführen will?“

„Ich kann also?“

Die ehrbare Wittwe steckte mit gutem Gewissen das Geld ein und kehrte mit dem Herrn Langenau zur Laube zurück.

Der Kaffee war aufgetragen. Rudolf Langenau gab der Madame Beier einen Wink.

„Mamsellchen, Sie müssen uns heute einmal die Wirthin machen.“

„Dazu werde ich mich schlecht schicken,“ meinte das erröthende Mädchen.

„Sie müssen es gewohnt werden. Ein junges Mädchen wird Braut, eine Braut wird Frau, und eine Frau muß den Kaffee einschenken können; er schmeckt dem Manne noch einmal so gut.“

Emma sah unwillkürlich und darüber tiefer erröthend ihren Geliebten an.

„Es ist so,“ bestätigte er.

Sie schenkte den Kaffee ein, mit einer unnachahmlichen, natürlichen, einfachen Anmuth. Das Auge des jungen Mannes an ihrer Seite konnte sich nicht wegwenden von den Bewegungen ihrer Arme, ihrer feinen Hände, des zarten Körpers, wenn sie sich über den Tisch bog, um Tassen herumzureichen oder anzunehmen. Er schlürfte, wie mit einem noch nie gefühlten Wohlbehagen, den Kaffee, den sie ihm eingeschenkt hatte. Das Mädchen sah es; auch ihr Gesicht glänzte wie von einem noch nie gefühlten Glücke.

Nach dem Kaffee wurde eine Promenade gemacht, durch üppig emporschießende Kornfelder in ein benachbartes Buchwäldchen. Emma selbst suchte mit dem Geliebten hinter den Anderen zurückzubleiben.

„Rudolf, Du liebst mich?“

„Hast Du daran gezweifelt, mein Mädchen?“

„Heute habe ich es so recht gesehen.“

„An dem Kaffee?“ lächelte er.

„An dem Kaffee; Du trankst ihn lieber, weil meine Hand ihn Dir reichte.“

Sie drückte ihr erröthendes Gesicht an seine Schulter. Er küßte die Hand, die ihm den Kaffee gereicht hatte. Sie waren stehen geblieben und ihre glücklichen Augen leuchteten einander an. Es war ein reizendes Bild der Liebe mitten in dem wogenden Kornfelde. Die Madame Beier hatte sich umgesehen.

„Der verführt das Mädchen nicht,“ sagte sie laut, halb zu ihrem Gewissen, halb zu ihrem Begleiter.

Theodor Erhard lachte.

Nach Beendigung des Spazierganges war in der Laube Wein und Kuchen aufgetragen. Der Weg, der warme Nachmittag, die Luft des Feldes und des Waldes, Alles hatte sie hungrig und durstig gemacht. Die beiden Männer sprachen der Flasche fleißig zu; die korpulente ehrbare Wittwe folgte ihrem Beispiele; das junge Mädchen nippte nicht minder fleißig. Der Abend dämmerte.

„Kehren wir bald zurück, Rudolf?“ flüsterte Emma ihrem Geliebten zu. „Meine Mutter, die mich bei einer Freundin glaubt, hat mir nur bis halb neun Uhr Urlaub gegeben.“

„Gleich, mein Mädchen, Deine Mutter soll Dir nicht zürnen. – Aber, siehe da! – Madame Beier, was fällt Ihnen denn heute ein? Auf Champagner tractiren Sie uns!“

Ein Aufwärter brachte zwei Flaschen Champagner mit vier langen, spitzen Gläsern.

„Ja,“ sagte mit schon etwas schwerer Zunge die ehrbare Wittwe. „Ja, Kinder, ich bin heute fidel, so gewaltig fidel.“

Die Flaschen wurden entkorkt; die Propfen flogen in die Decke der Laube, beinahe so gewaltig, wie die Fidelität der Madame Beier war. Die langen, spitzen Glaser wurden gefüllt. Rudolf Langenau that es:

„Emma, mir mundete der Kaffee, den Du mir eingeschenkt hattest, wie nichts Anderes in der Welt. Du mußt dieses Glas leeren.“

Sie leerte es mit einem dankbaren Blicke auf den glücklichen jungen Mann. Er füllte ihr Glas zum zweiten Male.

„Und nun, Emma, dieses zweite Glas müssen wir zusammen austrinken, auf unseren geheimsten, unsern süßesten Wunsch, auf unser Glück! Stoß an!“

Der Champagner ist für Frauen immer die schlimmste Todsünde; sie können ihm nicht widerstehen. Wie hätte das liebende, das dankbare, das schon halb berauschte, das glühende Mädchen, das schon den ersten Schritt jener Sünde gemacht hatte, dem zweiten widerstehen können? Sie stieß mit ihm an, und trank ihr Glas aus.

Er stand auf, erhob sie mit sich und umfaßte sie; sie lehnte mit ihrem ganzen Körper sich an ihn. Sie mußte so, denn ihr schwindelte von dem rasch genossenen, schäumenden, schon durch seinen Schaum so rasch berauschenden Weine. Er warf einen befehlenden Blick auf die Madame Beier und auf Theodor Erhard.

Des Blickes auf die ehrbare Wittwe bedurfte es nicht mehr, denn sie konnte nur noch mit gläsernen Augen in ihr Champagnerglas starren. Der kleine gedrungene Mann an der Seite der Frau sah mit einem eigenthümlich lauernden Blick bald auf seine corpulente Nachbarin, bald auf das liebende Paar vor ihm.

Das Paar verließ die Laube, an einander geschmiegt, so dicht und fest, als wenn es eine einzige Gestalt wäre.

Es war dunkler Abend geworden. Sie gingen tiefer in den Garten hinein, in die Gegend, wo das Pförtchen in das Bosquet des gräflichen Parks führte. Der junge Mann führte das Mädchen so, denn dies kannte keinen Weg und keine Richtung mehr. Sie durchschritten das Pförtchen, und traten in das dunkle, stille, einsame, verschwiegene Bosquet. Weiches Moos empfing sie auf feinem duftenden Lager.

Welch eine leichte, eben so leichte als elende Kunst ist es, ein Mädchen zu verführen!

„Emma, Du liebst mich?“

„Wie mein Leben.“

„Du bist mein!“

„Ganz Dein!“

„Meine Braut, mein Weib!“

„Dein Weib, mein Geliebter!“

Glühende Küsse erstickten weitere Worte.

Aber nein, wo der rechte Engel der Unschuld ist, da zerschellen alle Künste der Verführung.

Auf einmal sprang das Mädchen empor, heftig, mit einem lauten Aufschrei, mit einer Kraft, die einen Riesen würde zurückgeworfen haben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_424.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)