Seite:Die Gartenlaube (1857) 439.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

in der Weltstadt allmählich ein bekannter, beliebter, gesuchter, berühmter Künstler und in der Verfertigung kostbarer Pedalharfen kam ihm keiner gleich. So erhielt er vom Hofe das Prädicat „Harpmaker to His Majesty.“ Wie zu erachten, erwarb er nun viel Geld, aber er ist nicht reich geworden. Ein Mann wie Stumpff, dessen Herz so warm für die Menschheit schlug, immer bereit zu helfen, Noth zu lindern, Gutes und Schönes zu unterstützen, ein solcher Cassirer Gottes kann keine Schätze sammeln.

Nichts konnte einem so liebevollen, nach Wohlthätigkeit strebenden, nach Erkenntniß ringenden Herzen mehr entgegen kommen, als die Tendenzen des Freimaurerordens. Stumpff ward mit ganzer Seele Freimaurer; er ging gleichsam in der Ordensthätigkeit auf. Es mag wohl wenig Maurer geben, die in Liebe und Kraft, in der That und Wahrheit so „arbeiten“, wie Stumpff; denn nur wenig Menschen werden von solch’ einer Begeisterungsgluth für das Gute, Wahre und Schöne getrieben. Seine maurerische Wirksamkeit richtete sich vorzüglich auf die hilfsbedürftigen Deutschen in London und unter diesen ganz besonders auf die Kranken. Wie ein trost- und hülfespendender Engel ist der schöne, mildfreundliche Mann an tausend Schmerzenslager seiner Landsleute getreten; unzählige deutsche Herzen, die drüben in der kalten fremden Welt verlassen gewesen wären, haben ihn gesegnet und Thränen der Dankbarkeit aus seine Hand geweint.

Aber diese schöne Thätigkeit, der wir die vollste Anerkennung entgegen bringen, verliert sich doch für unser im Thau der Rührung schwimmendes Auge zu sehr in’s Allgemeine, darum nimmt unser Herz noch ein erhöhtes und specielles Interesse an Stumpff’s gemüthlicher Verbindung mit einigen Kunstheroen unseres Volkes, in welcher er sich in seiner ganzen Liebenswürdigkeit zeigt. Sobald Stumpff in gute Umstände gekommen war, zog ihn das von ewiger Sehnsucht bewegte Herz nach Deutschland, das er noch so wenig kannte, aber der Despotismus des corsischen Soldaten, der mit Kanonen und Bayonnetten den Oberbefehl in Deutschland errungen halte, verwehrte einem Unterthan der Krone Englands das Reisen in den Ländern, die er sich unter die Füße geworfen, und erst nachdem der übermüthige Mann gestürzt war, konnte unser Thüringer daran denken, sein Geburtsland wieder zu sehen. Im Frühjahr 1814 reiste er nach Deutschland. Damals sah ich als elfjähriger Knabe den bedeutenden Mann zum ersten Male. Meine Mutter hatte mir viel von ihm erzählt; sie war nur einige Tage älter als er und mit ihm confirmirt worden. Ihre lebhafte Phantasie schilderte mit brennenden Farben die Einsamkeit und Bescheidenheit des talentvollen schönen jungen Mannes, der sich so gewählt gekleidet und so nobel benommen, und die patriarchische Einfachheit und treuherzige Unbeholfenheit seiner Eltern. Meine Phantasie hatte ihn in Folge dieser Mittheilungen reich ausgestattet, aber doch überraschte mich die edle Form und der geistreiche liebevolle Ausdruck seiner Gesichtszüge. Ich hatte noch keinen männlichen Kopf gesehen, der mir so imponirt hätte. Die Vermählung männlicher Gemüthsmilde mit Charakterstärke und Geisteskraft gaben diesen herrlichen Zügen einen Ausdruck, den keine Beschreibung wiederzugeben vermag. Seine äußere Erscheinung hatte viel Englisch-Aristokratisches, ruhig und gemessen Nobles. Er besuchte alle Nachbarn und hatte für Jeden herzgewinnende freundliche Worte. Er wurde sehr gefeiert, und wenn er durch die Straße ging, traten die Leute vor die Hausthür, um ihn zu begrüßen.

Von Ruhla ging Stumpff nach Weimar. Ein englischer Herzog, vielleicht einer der Brüder des Königs Georg’s IV. (Stumpff hat ihn mir nicht genannt), Meister vom Stuhl der Freimaurerloge, welcher Stumpff angehörte, hatte ihn dem Herzoge Karl August empfohlen. Diese Empfehlung mußte warm gewesen sein; denn Stumpff wurde bei Hofe sehr honorirt. An der herzoglichen Tafel sah er Goethe wieder. Am besten lass’ ich ihn über dieses Begegnen selbst reden.

„Goethe’s Anblick rührte mir das Herz gewaltig. Als jugendlich schönen Mann hatte ich ihn dreißig Jahre früher gesehen; jetzt stand er unfern von mir als edler ehrwürdiger Greis. Damals wußte ich nichts von ihm, als daß er ein vornehmer Hofherr war, jetzt kannte ich alle seine Werke und verehrte ihn als den deutschen Dichterfürsten. Der Herzog stellte mich ihm vor, und ich erbat mir die Erlaubniß von ihm, ihm in seiner Behausung meine Huldigung darbringen zu dürfen. Dort nahm er mich kalt und förmlich auf, was mich verlegen machte. Doch schien er im Laufe der Unterhaltung einiges Wohlgefallen an meinen Aeußerungen zu finden. Ich mußte ihm viel von London erzählen. Sehr schmerzlich bedauerte ich, Schillern nicht mehr unter den Lebenden zu finden.“ –

Sein treu gesinntes Herz drängte ihn, auch dem Herzoge August von Gotha als Fürsten seines Geburtslandes die Aufwartung zu machen. Aber die brillante outrirte Natur dieses Fürsten hatte keine Empfänglichkeit für Stumpff’s deutsch-englisch gemessenes Wesen und ruhige, von sittlicher Größe getragene Würde. Stumpff’s Liebe war beim gemüthlichen weimarischen Hofe, und die Tage, die er zu verschiedenen Zeiten dort verlebte, nannte er die glücklichsten seines Lebens.

Zehn Jahre später war er abermals in Weimar. Dies ist der Besuch, welchen Goethe im Briefe an Zelter so kurz abthut. Die beiden Männer kamen während Stumpff’s Aufenthalt in Weimar einander näher. Der Grund war wohl, weil Stumpff nicht nurr Mode wurde in den höheren Cirkeln der berühmten kleinen Residenz, sondern auch weil er dem „hohen Dichtergreise“ sehr werthvolle Geschenke mitbrachte.[1] Gewiß weiß ich, daß Goethe von Stumpff einen sehr kostbaren Dollond zum Geschenk erhalten hat. Er gab ihm dafür einige seiner Bücher, darunter Werther’s Leiden in einer Ausgabe mit des Dichters Portrait und den von ihm darunter geschriebenenen Worten: „Seinem werthen Landsmann Herrn J. A. Stumpff zum freundschaftlichen Andenken, Goethe, 1. November 1824.“ Dann ein Bändchen Festgedichte mit der eigenhändigen Inschrift: „Seinem werthen patriotisch gesinnten Landsmanne Herrn J. A. Stumpff zum freundschaftlichen Andenken.

Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann.
Die Nacht tritt ein, wo Niemand wirken kann.

Goethe.“

Endlich unterzeichnete Goethe sechs auf einzelne Blätter gedruckte Gedichte jedes mit seinem Namen für Freunde Stumpff’s in London.

Eh’ unser wackerer Harfenmacher auf dieser Reise das ihm so lieb gewordene Ilm-Athen betrat, führte ihn sein „patriotisch gesinntes“ Herz zu zwei andern ihm heiligen Stätten. Die vier Sterne seiner höchsten Liebe waren Goethe, Schiller, Mozart und Beethoven. Da er zwei davon nicht mehr unter den Lebenden fand, so wollte er wenigstens an der Stätte, wo der Dichter gestorben, und an der, wo der Tonschöpfer geboren worden war, dem tiefen Gefühl seiner Seele ein Genüge thun. Er wallfahrtete zuerst nach Mozart’s Geburtshaus in Salzburg, er suchte dort dessen geliebte Schwester und Kunstgenossin und dessen Wittwe auf, um ihnen die Huldigung zu erweisen, die dem lebenden Genius des unsterblichen Meisters darzubringen ihm nicht mehr vergönnt war. So karg Stumpff’s Mittheilungen über diese Reise, so wie über sein ganzes Leben und Wirken an mich auch gewesen sind, so fand ich doch unter seinen mir übergebenen Papieren werthvolle Documente, welche einiges freundliche Licht gewähren. Die zunächst folgenden beziehen sich auf seinen Aufenthalt in Salzburg. Der erste Brief ist von der Frau, welche einst Mozart’s Gattin gewesen war, das zweite Blatt von Mozart’s Schwester, welche einst als Kind mit dem achtjährigen Virtuosen von ihrem Vater auf Kunstreisen geführt, mit ihm die gebildete Welt aus dem Clavier entzückte.

Salzburg, 26. Septbr. 1824.

Sehr verehrter Herr und Freund!

Je mehr Freude Ihre Achtung vor Mozart’s Namen und Ihre Theilnahme an seinen Angehörigen mir gewährten, desto mehr habe ich die Kürze unseres Zusammenseins zu bedauern. Noch mehr aber schmerzt es mich, daß ich Ihnen meine Gefühle nicht bethätigt habe, ungeachtet ich es wenigstens einigermaßen gekonnt hätte. Es stand bei mir, Ihnen das Haus, worin Mozart geboren ward, und eine von Mozart’s Vater über alle Freunde in London geführte Liste und sogar die von London und Chelsea während ihres dortigen Aufenthaltes an einen hiesigen Freund gesandten dreizehn Briefe vom 13. Septbr. 1764 an datirt (sie hatten bei Mr. Xandal in Fivefields Row ein Haus auf ein paar Monate gemiethet) zu zeigen, und ich versäumte es; gewiß die Wirkung unserer gänzlichen Aufmerksamkeit auf Ihr anziehendes Gespräch.

Bei der Ueberlegung, ob ich denn nun auf gar keine Art Ihnen ein Andenken anbieten könnte, ist es mir wieder in den Sinn gekommen,

  1. Das war der Grund wohl nicht; er lag vielmehr in Goethe’s Charakter. Kirms schrieb einmal an Ifland: „Sie vermissen vielleicht eine Herzlichkeit an ihm (Goethe); das kann sein. Von dieser Seite zeigt er sich nicht oft und alsdann nur, wenn er einen Menschen lange geprüft und bewährt gefunden hat.“
    D.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_439.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)