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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

weil er keine Beschäftigung fand. Dort verweilte er ruhig und ohne seinen Entschluß durch schwermüthiges Aussehen oder durch eine Miene zu verrathen, zwei Tage; am dritten endete er freiwillig sein elendes Leben. Nahe an vierhundert Wahnsinnige enthält die Anstalt, an welcher der bekannte Irrenarzt Professor Leubuscher in Jena mehrere Jahre wirkte und so Gelegenheit fand, hinlängliche Studien zu machen.

Kranke und Wahnsinnige.

Unter diesen Irren erregte ein blödsinniger Knabe vorzugsweise unsere Aufmerksamkeit. Sein nicht unschönes Gesicht trug den Stempel der vollkommenen Thierheit; er sprach nicht, sondern drückte nur durch unarticulirte Laute seine Bedürfnisse aus. Mit glanzlosen Augen starrte er uns an und stieß bei unserer Annäherung ein unverständliches Geheul aus. Bemerkenswerth war die niedere, plattgedrückte Stirn, der flache Schädel und das kurze Hinterhaupt; Zeichen, welche auf eine mangelhafte Ausbildung des Gehirns mit Recht schließen ließen. In seiner Nähe lag ein durch sinnliche Ausschweifungen ruinirter Mensch, ein Kaufmann, der ebenfalls in einem Anfalle von Wahnsinn sein einziges Kind getödtet hatte. Er blickte stumpfsinnig vor sich hin und murmelte, als wir an ihm vorübergingen, einige Worte, welche wie eine Bitte um Schnupftaback klangen.


Straßendirnen.

Auf der Abtheilung, welche für die weiblichen Patienten bestimmt ist, fanden wir ein schönes, blondes Mädchen von sechszehn Jahren, welches eine auffallende Aehnlichkeit mit der berühmten Künstlerin Marie Seebach zeigte; sie erinnerte uns besonders an deren „Gretchen“ in Goethes Faust. Auf der Treppe hielt uns noch eine Frau mit ihrem tollen Geschwätze auf: sie bildete sich nämlich ein, daß wir von der Kaiserin von Rußland an sie abgeschickt wären, und ließ uns nur auf die strenge Ermahnung des von ihr gefürchteten Arztes los.

Obdachlose Kinder fertigen Cigarrenkisten.

Ueber einen der vielen Höfe gelangten wir nach den folgenden Sälen, wo die unheilbaren Kranken, die Hospitaliten liegen, und das Lazareth sich befindet. Im Vorübergehen warfen wir noch einen Blick auf die Tretmühle, wo von den Gefangenen Gyps zum Düngen zerstossen wird. Die Arbeit ist beschwerlich, einförmig und verlangt gesunde Lungen. Dicht daneben steht ein kleines Gebäude von Holz, worin die Prügelstrafe an den Schuldigen vollzogen wird, welche sich gegen die Gesetze oder die Hausordnung der Anstalt vergehen. In der Mitte steht eine lederne Bank mit Riemen zum Anschnallen versehen, worauf der Delinquent ausgestreckt wird. An den Wänden hängen in einer gewissen Reihenfolge die nöthigen Instrumente zur Züchtigung, Ochsenziemer von ansehnlicher Stärke und Stöcke von jedem Kaliber. Der Vollstrecker des Urtheils, ein großer und starker Mann, der sich durch seine rothe Nase noch ganz besonders auszeichnete, gab uns die tröstliche Versicherung, daß der dickste Ochsenziemer, der uns einen wahren Schauder einflößte, im Ganzen nur sehr selten zur Anwendung komme. Für die hier herrschende Humanität legte auch die Angabe des Arztes das beste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_465.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)