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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Auf meine Einladung tritt ein hoher, stattlicher Mann herein und redet mich an:

„Ein weit gereister Fremder kann sich bei seiner Durchreise durch diese Stadt das Vergnügen nicht versagen, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Und wenn ich den Mann auch nicht schon auf den ersten Blick wieder erkannt hätte, der weiche süße Ton seiner Stimme würde mir gesagt haben, wer er sei; denn so hatte ich nur einen Menschen sprechen hören, und aus diesen Lauten vernahm ich die eigenthümlichen Anklänge an das ruhlaer Idiom, die auch von meiner Aussprache unzertrennlich sind.

„Herr Andreas Stumpff aus London, seien Sie mir herzlich will kommen!“ entgegnete ich, mit Wärme ihm die Hand entgegen bietend.

„Wie? Sie kennen mich?“ rief er erstaunt. „Wie ist das möglich? Haben Sie eine Ader von Vörwerts-Häns?“

„Sie müssen doch von sich selbst wissen, verehrter Herr, daß der Dichter ein Seher ist,“ entgegnete ich lachend, „Und weht um die Berge unseres Geburtsortes nicht etwas Prophetengeist? Trauen Sie mir nun nicht auch ein wenig poetisch-divinatorische Clairvoyance zu, vorzüglich wenn das Object selbst ein Poet ist?“

„Ich könnte versucht sein, Ihre Aeußerung für Ernst zu halten; denn es ist mir unerklärlich, wie Sie mich kennen können.“

„Ich will die Sehermaske abwerfen. Sie sind mir von meiner Kindheit an eine sehr theuere Person gewesen, nur als Sie vor zwanzig Jahren in Ruhla zum ersten Mal zum Besuch waren, betrachtete ich Sie oft mit der stummen aber heiligen Verehrung einer reinen und begeisterten Kinderseele. Wie ich damals Ihr Bild in mich aufgenommen, ist es nie wieder von mir gewichen, und ich hätte Sie unter Tausenden erkannt, wenn auch die Hand der Zeit über Ihre Züge hingestrichen hat.“ Ich erzählte ihm nun von den Berichten meiner Mutter über ihn und von meiner dadurch geweckten schwärmerischen Liebe zu ihm. Er ergriff meine Hand und drückte sie mehrmals gerührt. Er sah mich mit einem fromm lächelnden, süß verklärten Kinderblicke an. Das immer noch schöne Auge wurde feucht und gewährte mir eine tiefe herrliche Perspective in die heilig geschonte, kindlich gebliebene Seele dieses poetisch gemüthlichen edlen Mannes.

„Mein lieber Freund,“ sagte er dann mild zu mir, „Sie haben mir durch Ihre Erzählung recht wohl gethan. Das lohn’ Ihnen Gott! Zugleich haben Sie mir einen Blick in Ihr Herz vergönnt. Und deshalb will ich gleich mit der rechten Farbe herausgehen. Unmöglich können sie ein Mensch sein, wie man Sie mir hier geschildert hat. Mit dem größten Interesse für sie bin ich hierher gekommen, denn ich habe Ihre Novelle: „Vörwerts-Häns“ gelesen, nein, verschlungen. Ich habe ja den Häns selbst gekannt und mit ihm verkehrt. Ich habe Sie geliebt, als ich mit dem Buche fertig war; ich habe mich auf Ihre persönliche Bekanntschaft gefreut. Ich schwärme für Deutschland, besonders für Thüringen, und am meisten für unsern Geburtsort, dessen poetische Verherrlichung in Ihrer Novelle mein Herz mir Wonnegefühl er füllte. Nun bin ich seit drei Tagen in Gotha und habe Urtheile über Sie vernommen, die mich befremdet und schier mißtrauisch über Sie gemacht haben.“

„Wenn Sie den über allen Ausdruck abgeschmackten Kleinigkeitsgeist einer kleinen moralisch kränkelnden Residenz erwägen wollen,“ erwiderte ich, „in welcher kein Mensch etwas gelten soll, der nicht Hof- oder Staatsdiener, Geschäfts- oder reicher Mann ist, in welcher das öffentliche und Privatleben matt und schläfrig im alten schmutzigen Geleise fortrumpelt und Alles Neue und Ungewöhnliche störend auf die Schlafmützenbequemlichkeit und Abderiten-Weisheit der Privilegirten und Herkömmlichen einwirkt, dann werden Sie auch begreifen, daß ein junger Mann, der sich untersteht, außer allem Geleise etwas rasch und unvorsichtig zu fahren und hier einen überklugen Dummkopf, dort einen aufgeblasenen Autoritätsmenschen, weiter einen verbissenen Egoisten u. s. w. unsanft anzustoßen, ein Gegenstand des allgemeinen Aergernisses sein muß. Das ist überall allen Schriftstellern meines Schlages so ergangen, was hätten denn ich und Gotha voraus, daß wir eine Ausnahme miteinander machen sollten? Ich erinnere Sie nur an Jean Paul’s Leben in Hof. Da geht’s mir hier noch leidlich.“ Ich schilderte nun die Einflüsse des Hofs und der öffentlichen Institute, deren Geist ich zu charakterisiren suchte, auf die Gesellschaft; ich führte ihm das ganze Elend, die tiefe traurige Verkommenheit der modernen Zustände vor. Er schien das Leben in Deutschland von dieser Seite noch gar nicht gekannt zu haben. Ich hatte die Genugthuung, daß mein aufmerksamer Zuhörer, als ich endlich schwieg, mir die Hand noch einmal drückte und in die Worte ausbrach: „Nun ist mir Alles klar. Sie sind diesen Leuten eine unbequeme Erscheinung, die sie auf ihre Weise zu beseitigen suchen. Davon sei ferner zwischen uns nicht mehr die Rede! Ich wünsche, daß Sie mir morgen Ihren Besuch schenken. Ich werde Ihnen Einiges mittheilen, was nur Wenige von mir erfahren, und ich will Ihnen damit einen Beweis geben, was ich von den albernen Schwätzereien über Sie halte.“

Er hinterließ mir den angenehmsten Eindruck. Nie noch war mir ein Mann herzengewinnender entgegengetreten. Ich fühlte, daß er einer der Verehrungswürdigsten unseres Geschlechtes sein müsse, und dieses Gefühl hat sich mir nachher als die schönste Wahrheit bestätigt. Solchen großartigen Erscheinungen gegenüber ist es nicht schwer, ein glücklicher Divinator zu sein.

Zur bestimmten Stunde des folgenden Tages trat er mir im vornehmsten Zimmer des vornehmsten Gasthauses in nobler Hauskleidung und mit der freundlichen Würde seines Wesens entgegen. Auf dem Tische vor dem Sopha, auf welchem wir Platz nahmen, lagen Manuscripte. Ein Kellner brachte Wein. Mein verehrter Landsmann schenkte die Gläser voll und sprach mit Gefühl: „Mit diesem deutschen Weine wollen wir unseren Freundschaftsbund einweihen. Seit ich Sie gestern kennen gelernt habe, ist es mein inniger Wunsch, daß Sie mein Freund sein möchten. Ich habe das öffentliche Unrecht eingesehen, das man Ihnen hier thut; vielleicht besitz’ ich ein Herz, das Ihnen einigen Ersatz dafür bieten kann. Sie haben mich geliebt, eh’ Sie mich kannten; ich hoffe, Sie sollen mich noch mehr lieben, wenn Sie mich kennen. Ich kenne und liebe Sie nun, und damit Sie auch mich kennen lernen, hab’ ich mir Ihren Besuch erbeten. Also aus unsere Freundschaft!“ Mir fiel eine Thräne in den Becher, während ich trank. Es war ein herrlicher elfer Rheinwein, recht geschaffen für deutsche Poeten.

„Wie im Weine überhaupt,“ fuhr Stumpff fort, „eine wunderbare symbolische Bedeutung für Liebe und Freundschaft und die edelsten und heiligsten Gefühle des Herzens liegt – hat ihn doch unser göttlicher Herr und Meister selbst zum Symbol seiner unergründlichen Liebe zur Menschheit und zum sichtbar geistigen Bande geweiht, das uns an ihn fesselt – so ist der edle Rheinwein insbesondere für mich Symbol und Medium der deutschen Treue, der deutschen Liebe, der deutschen Freundschaft. Und wer wie ich mit einem deutschen Herzen sein Leben in der fremde abspinnt, weiß die Tugenden des deutschen Charakters mehr zu schätzen, als die, welche daheim bleiben und sie gar oft an denen verkennen, die in ihrer Mitte leben, ja nicht selten die mit Füßen treten, die sie ihrer Tugenden wegen verehren sollten. Sind Sie in Gotha auch verletzt: üben Sie Vergebung! Sie ist auch eine Tugend und eine der schönsten. Ertränken Sie den Groll in diesem Weine. Folgen Sie dem Herrn, der da gebeut: du sollst deinem Feinde siebenzigmal siebenmal vergeben, ehe die Sonne untergeht.“

„Sie irren, lieber Stumpff, ich zürne den Leuten, die mich herunterreißen, nicht, ich bedaure sie, und habe nur ein „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie thun!“ für sie.“

„Das ist brav? – sehr brav!“ rief der edle Mann freudig aus. „Darauf Eins trinken! Denn deutscher Wein und deutsche Tugend gehören zusammen. Der Wein soll der Verherrlicher der Tugend sein; dies halt’ ich für seine wahre Aufgabe. Darum soll man ihn nicht täglich und stündlich genießen und stets mit jener frommen Scheu, die uns erfüllt, wenn uns der Priester den geweihten Kelch an die Lippen setzt. Mein lieber, indem wir diesen köstlichen Wein genießen, wollen auch wir einen Gottesdienst begehen, den der Freundschaft, der Liebe, der Vergebung. Ich denke, er ist so heilig, wie irgend ein anderer.“

Wir tranken, küßten uns und schüttelten uns die Hände.

Hierauf griff er nach den Manuscripten.

„Ich will und muß Ihnen nun das Beste mittheilen, was je aus meiner Seele hervorgegangen ist, einige meiner Gedichte. Aber ich muß eine Einleitung dazu machen.“

Er erzählte mir nun vom Sturm und Drang seiner Jugend, der ihn nach London getrieben, von seiner Begeisterung für deutsche Dicht- und Tonkunst, von seiner Freundschaft mit Goethe, Beethoven, K. M. v. Weber. Ich erfuhr, wie er selbst zum Dichter geworden; er zeigte mir die Blätter des Chaos, in welchem Goethe seine Gedichte hatte abdrucken lassen, und erzählte die naive Geschichte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_469.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)