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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Ein Oberrock von dunkelgrüner Seide schloß den schönen, üppigen Körper eng ein. In der kleinen, mit gelbem Handschuh bekleideten Hand trug sie das weiße Battisttuch.

Alexander blieb überrascht stehen, als er diese seltene Erscheinung sah.

„Eine Dame, und eine reizende Dame in dieser Einöde!“ dachte er.

Um seine frauenfeindlichen Grundsätze war es geschehen – der romantische Elegant erwachte wieder. Höflich grüßend zog er seine grüne Jagdmütze. Seine Verwirrung erreichte den höchsten Gipfel, als die Dame ihn anredete.

„Verzeihung, mein Herr – führt dieser Weg nach der Solitüde?“

Das Lächeln der schönen Frau und ihre weiche, wohlklingende Stimme machten Alexander, der lange keine Dame gesehen und gehört hatte, zur Bildsäule erstarren.

„Nach der Solitüde wollen Sie?“ fragte er, die Mütze in der Hand haltend.

Schweigend verneigte sich Albertine, welche die Bestürzung des fremden jungen Mannes nicht begreifen konnte.

„Nach dem Landhause des Consuls Dewald?“ wiederholte Alexander.

„Ja, mein Herr!“

„In fünf Minuten werden Sie es sehen, wenn Sie diesen Weg verfolgen.“

„Ich danke, mein Herr!“

Albertine ging vorüber. Die Falten ihres Kleides berührten Alexander in dem schmalen Waldwege. Ein feines Parfüm drang in seine Nase. Wonneschaudernd sah er der junonischen Gestalt nach, die leicht durch den Wald schwebte und nach einer Minute verschwand.

„Auf Ehre, das war ein Engel!“ flüsterte er. „Pah, ein Weib, eine Schlange – der Teufel traue diesen Sirenen! Aber wie kommt sie in diese Gegend? Was will sie bei dem menschenfeindlichen Consul?“

Alexander kam nach Hause und nahm das Mittagsmahl ein, das der alte Tobias, der frühere Koch des Generals von Windheim, bereitet hatte. Es wollte ihm nicht schmecken. Das einfache, fast unfreundliche Zimmer ekelte ihn an. Um drei Uhr machte er eine sorgfältige Toilette, bei der Tobias als Kammerdiener behülflich war. Während er vor dem Spiegel stand und die elegante Cravatte anlegte, fragte er:

„Tobias!“

„Gnädiger Herr?“

„Sind Menschen in der Nähe unseres Hauses gewesen?“

„Ja!“

„Wen hast Du gesehen?“

„Ich glaube, es waren zwei Frauen.“

„Zwei Frauen?“ fragte Alexander überrascht.

„Ja, gnädiger Herr. Ich sah aus dem Fenster, als sie dort am Zaune vorübergingen und im Walde verschwanden.“

„Du hast doppelt gesehen, alter Freund!“

„Wohl möglich; mein Gesicht wird täglich schlechter.“

Alexander ging nach der Solitüde. Als er in den Hof trat, kam ihm Wilhelm aus dem Garten entgegen. Beide grüßten sich wie alte Bekannte. Indem sie dem Perron zugingen, nickte Wilhelm einer Dame zu, die an einem Fenster der Zimmer des Erdgeschosses stand. Alexander sah auf – er erkannte die schöne Unbekannte aus dem Tannenwalds.

„Mein Freund,“ flüsterte er wie berauscht, „wer ist diese reizende Dame?“

„Welche Dame?“

„Die am Fenster stand – Sie grüßten sie.“

„Ah so! Diese Dame ist – –“

„Ihre Frau?“

„Nein!“

Dem armen Alexander schien eine Centnerlast vom Herzen genommen zu sein.

„Wer ist sie?“ fragte er aufathmend.

„Fräulein Albertine Möller ist die Freundin meiner Frau.“

„Also nicht verheirathet? Fräulein?“

„Beides, Herr von Windheim!“ sagte Wilhelm. „Der arme Mensch ist verrückt, folglich nicht gefährlich,“ dachte er, indem er mit dem Jagdfreunde die Hausflur betrat.

„Herr Dewald, ich bitte Sie um eine Gefälligkeit.“

„Sprechen Sie, Herr von Windheim.“

„Sie kennen diese Dame?“

„Ja.“

„Stellen Sie mich ihr vor.“

„Mit Vergnügen.“

Er öffnete die Saalthür und ließ den Besuch eintreten. Albertine, die sich allein in dem Saale befand, trat den Ankommenden entgegen. Sie war im bloßen Kopfe; ihr braunes Haar bildete einen einfachen, glänzenden Scheitel. Den schönen Flechtenkranz hielt ein goldener Pfeil zusammen. Statt des Oberrocks trug sie ein Kleid von brauner Seide, das ihre harmonischen Körperformen deutlich abzeichnete. Den vollen Busen schmückte eine dunkelrothe Bandschleife.

Wilhelm Dewald gab seiner Frau ein bedeutungsvolles Zeichen mit den Blicken, während Alexander sich tief verneigte.

„Mein Fräulein,“ sagte er, „ich habe die Ehre, Ihnen Herrn Alexander von Windheim vorzustellen, den liebenswürdigen Jagdgenossen, von dem mein Onkel erzählt, daß er alle Frauen verabscheut.“

„Verabscheut!“ stammelte Alexander bestürzt. „Glauben Sie es nicht, mein Fräulein. Ich habe nie eine solche Lästerung ausgesprochen.“

Albertine verneigte sich und sagte mit einem reizenden Lächeln: „Es bedarf nur des Anblicks des Herrn von Windheim und man muß die Ueberzeugung gewinnen, daß er nie Grund gehabt, sich über die Frauen zu beklagen.“

„Teufel,“ dachte Alexander, „sie besitzt Geist!“

Während Alexander zu einem Pfeilertische trat, den Hut ablegte und die braunen Glacehandschuhe auszog, flüsterte Dewald seiner Frau zu: „Sei auf Deiner Hut, dieser Mensch ist ein Narr, ein Schwätzer! Unser Geheimniß ist verloren, wenn er es erfährt.“

Alexander kam zurück.

„Ich hatte das Glück, Fräulein Möller diesen Morgen zu sehen,“ sagte er.

„Und ich hatte das Unglück, von meiner Freundin getrennt zu werden, die muthwillig einen andern Weg einschlug, um rascher nach dem Landhause zu kommen.“

„Wie gern hätte ich Sie geführt –“

„Ich würde Sie darum ersucht haben, wenn ich gewußt hätte, daß Sie der Freund des Herrn Consuls sind.“

„Wo ist der Onkel?“

„Bei Ihrer Frau, Herr Dewald!“ antwortete Albertine, indem sie nach dem Seitenzimmer deutete. „Er hat sie um eine geheime Unterredung gebeten.“

„Der gute Onkel könnte mich eifersüchtig machen.“

„Beruhigen Sie sich, mein Herr, die Unterredung ist zu Ende – dort kommt der Herr Consul.“

Leberecht trat ein.

„Ah, Herr von Windheim!“ rief er heiter. „Willkommen, Frauenhasser! Ich benutze diese Gelegenheit, um Ihnen meine kleine Nichte vorzustellen. Kommen Sie, Louise, kommen Sie!“

Louise erschien in der Thür. Alexander starrte sie zitternd an wie eine gespenstige Erscheinung.

Der Consul, den das Gespräch mit Louisen in eine heitere Stimmung versetzt hatte, bemerkte eben so wenig wie Wilhelm die plötzliche Umwandlung Louise’s; sie hatten nur den Gast im Auge, der bald blaß bald roth wurde.

„Ihre Gattin?“ stammelte Alexander, indem er sich zu dem Neffen wandte.

Wilhelm verneigte sich zustimmend.

„Ich wette,“ sagte der Consul, „daß die Damen den Grund der zornigen Aufwallung unseres Gastes nicht kennen. Doch entschuldigen Sie ihn, er hat vor nicht langer Zeit eine arge Täuschung erfahren – wenigstens glaubt er es!“

Alexander hatte die Hand in die Oeffnung seiner Atlasweste gesteckt, sah zur Decke empor und sagte mit bebenden Lippen: „Wenn ich es bisher glaubte, so habe ich jetzt unumstößliche Beweise!“

„Vielleicht täuschen Sie sich, mein Herr!“ antwortete ihm Louise so unbefangen, als ob sie ihn trösten oder die Gewissenhaftigkeit der Frauen vertheidigen wollte.“

„Die Treulose!“ murmelte Alexander.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_571.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)