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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Romanliteratur und den höchst ordinären Erscheinungen der Wirklichkeit vor, so liegt ihr die Gefahr nahe, leicht auf Abwege zu gerathen. Begegnet ihr vereinsamtes Herz einem Manne, der die schlummernden Gefühle in feurige Wallung zu setzen weiß, so wird sie für ihn eine leichte Eroberung werden. Ein rein und edel gestaltetes Familienleben und eheliche Treue werden daher nicht häufig angetroffen. Mann und Frau üben dagegen oft wechselseitig eine große Nachsicht; jeder Theil geht seinen Weg, genirt den andern nicht, und ignorirt mit vornehmer Nonchalance Fehltritte, welche Ehre und Sitte bei allen höhern Naturen brandmarken. Wird dennoch der Druck des ehelichen Bandes empfunden, so ist dessen Lösung leicht. Die griechische Kirche erschwert Ehescheidungen und die Wiederverheirathung der Geschiedenen nicht, so daß oft die sonderbarsten Verwandtschaftsgrade, die wir mitunter skandalös nennen würden, entstehen. Geschiedene Frauen, deren Männer noch leben, werden nichts destoweniger Wittwen genannt, daher es nirgends so viele Wittwen, als in der Moldau und Walachei gibt.

Wir haben bereits erwähnt, wie mangelhaft der Geschmack, wie heterogen die Zusammenstellung von Luxusgegenständen sind, so daß ein Strohdach und Fenstervorhänge von seidenem Damast, ein Lehmestrich und eine Sammettapete in unmittelbarer Nachbarschaft getroffen werden. Dieselbe Erscheinung ist an dem Putze der Damen wahrzunehmen, welche die Landestracht gegen Pariser Moden vertauscht haben. Sieht man sie Morgens beim Einkauf auf dem Markt, Mittags bei Besuchen, Nachmittags auf der Promenade oder Abends in gesellschaftlichen Cirkeln: immer sind sie mit Ungeschmack behangen, und gefallen sich darin, die abendländischen Moden in aller Hinsicht zu übertreiben. Der kleine auf dem Hinterkopf ruhende Hut schrumpft zur Winzigkeit zusammen, und besteht aus einem bunten Gemisch von Blumen, Spitzen und Federn, woran nichts schön ist, als daß er das reiche, glänzend schwarze Haar unbehindert hervorquellen läßt. Trägt die Pariserin sechs Volants, so muß die Bojarin deren zehn haben; sind die Carreaux der seidenen Roben in Lyon eine Viertelelle breit, so müssen sie für die Donaufürstenthümer im doppelten Umfange gearbeitet werden; reichen die Bordüren der Unterröcke anderwärts bis über die Knöchel, so müssen sie hier bis über das Knie heraufgestickt sein: kurz, jede neue Pariser Mode wird an der untern Donau der Regel nach zur Carrikatur. Ebenso sieht eine Bojarin häufig dem Aushängekasten eines Juweliers ähnlich, so sehr ist sie mit Ohrgehängen, Hals- und Uhrketten, Brochen, Ringen, Armbändern und andern Schmucksachen überladen. Dieser Glanz endet aber auffallender Weise nicht selten in einer ganz vernachlässigten Chaussure, und mit Befremden sieht man beim Aussteigen der Damen aus dem Wagen niedergetretene Schuhe und zerrissene Strümpfe; ja es kommt vor, daß Damen zur Soirée im Schlafrock – freilich einem prächtigen, echt persischen – und Pantoffeln erscheinen. Ein Toilettengegenstand, den eine abendländische Dame am wenigsten vermissen mag, Handschuhe, werden selten getragen, und sehr elegante, ja ballmäßig gekleidete Herren und Damen lassen ungewaschene, sonnverbrannte Hände sehen.

Mustergültig sind dagegen die vornehmen rumänischen Frauen in Erfüllung ihrer Mutterpflichten. Sie haben sich nicht von den Gesetzen der Natur entfernt, sie stillen ihre Kinder selbst, Ammen sind ein ausnahmsweiser Luxus, und in der Kinderstube hält keine falsche Delicatesse die Mutter ab, sich Allem zu widmen, was die körperliche Pflege der Kinder erfordert. Prüderie ist ihnen gänzlich fremd, und die Natürlichkeit geht sogar über die Grenzen dessen hinaus, was bei uns für schicklich gehalten wird. Wo unsere Damen ein Erröthen affectiren oder mit vorgehaltenem Schnupftuch kichern, das läßt die vornehme rumänische Dame sehr gleichgültig.

Bei großen Diners wird eine Unzahl von Speisen aufgetragen, wobei jedoch die Mannichfaltigkeit fehlt. Der Küchenzettel scheint fest bestimmt. Nach der Suppe erscheint der unvermeidliche Mamaliga (Maisbrei) mit Käse, dem irgend ein Entremets, z. B. Sardinen, dann süße Krapfen folgen. Nun erst werden Fleischspeisen aufgetragen. Rindfleisch wird selten, Kalbfleisch nie genossen. Kälber durften früher, der Viehzucht wegen, gar nicht geschlachtet werden. Feine Mehlspeisen sind ein Luxusartikel der Küche in distinguirten Häusern, dagegen versteht man die Compots allgemein trefflich zu bereiten. Flaschen und Gläser mit eingemachtem Obst und Früchten kann die Bojarin wie ein Armeecorps aufmarschiren lassen, und in den großen Vorrath derselben setzt sie ihren Stolz. Man kann nirgend delicatere Compots, dort Dultschatz (von dem lateinischen dulcis abgeleitet) genannt, essen, als in den Donauländern.

Je reichlicher bei Gastmählern, der Ostentation wegen, aufgetragen wird, um desto frugaler ist der Familientisch besetzt, und der Rumäne folgt dabei seiner angeborenen Mäßigkeit. Gleich allen Südländern liebt er die Fülle der Speisen nicht, und Trunkenheit ist dem Bojaren ein unbekanntes Laster; bei Champagnaden fröhnt er nur der Ostentation, nicht der Neigung. Die griechische Kirche hat durch ihre Fasten, die fast acht Monate im Jahre Fleisch, Butter und Milch aus der Küche verbannen und nur Fische, Gemüse, Eier und Oel gestatten, für die Gewöhnung an Enthaltsamkeit gesorgt. Freilich, das von abendländischer Cultur beleckte Bojarenthum setzt sich über diese Gebote hinweg, was gerade keinen strengen Tadel verdient.

Wir haben bis jetzt vornehmlich von Solchen gesprochen, die sich in der Übergangsperiode von angeborner Rohheit zu angelernter Cultur befinden – einem Zwitterzustande, der immer unerfreuliche Seiten zeigt. Wie aber in Polen die Juden noch an der angeerbten Sitte festhalten, so fehlt es auch an altgläubigen Bojarenfamilien nicht, obgleich dieses Geschlecht im Absterben begriffen ist. Sie stammen meist aus der Zeit der fanariotischen Hospodare her, wo das Griechische Hof- und Umgangssprache in den vornehmen Kreisen war. Sie haben die orientalische Tracht mit Fez und Kaftan beibehalten, und ihre Frauen erscheinen noch in der Sturteika – dem pelzverbrämten Rocke – und in dem Kopftuche, verachten fremde Sprache und Sitte, und das, was bei den modernisirten Bojaren nur noch durchscheinend ist, hat sich bei ihnen in aller Ursprünglichkeit erhalten. So sitzen sie – und mit ihnen noch viele Anfänger in der Cultur – nicht auf Stühlen, sondern liegen mit ausgezogenem Schuhwerk auf Divans neben den niedrigen Tischen bei ihren Mahlzeiten. Dieser Gebrauch stammt aus dem Alterthume, wo das κλἰνη – Tischbett – bei Griechen und Römern üblich war. Von den Orientalen haben sie die Sitte angenommen, mit den Fingern in die Schüsseln zu greifen, was den Ekel des Abendländern erregt. Wie wir in Deutschland dem Niesenden „zur Gesundheit“ zu wünschen pflegen, so begleitet dieser Wunsch im Orient auch andere Aeußerungen der Natur, welche mit dem Verdauungsproceß in Verbindung stehen: eine Ungenirtheit, die dem Abendländer ein ironisches Lächeln abnöthigt.

Die aufwartende Dienerschaft, meist aus Zigeunern bestehend, deren üppiger Haarwuchs nur zu lebhaft an „die Polypen des Menschen“ erinnert, und denen überhaupt die Begriffe der Reinlichkeit fern liegen, erregt ein Grauen – besonders der Zigeunerkoch, dessen Anblick nur bei kräftigem Hunger erträglich ist. Auch die weibliche Dienerschaft ist gewöhnlich dem Stamme der Zigeuner entsprossen, und erscheint barfuß vor der Herrschaft, da es als ein Verstoß gegen die Ehrfurcht gilt, wenn die niedere Hausdienerschaft die herrschaftlichen Zimmer bekleideten Fußes betritt.

Geistige Getränke sind, wie schon gesagt, wenig beliebt. Bier ist schlecht und selten, dagegen wird in Abendcirkeln Thee mit Zucker und Rum, jedoch ohne die bei uns beliebten „Hindernisse“, als Schinken, Salami, kalter Braten, Backwerk etc., genossen. Nach jeder Mahlzeit wird geraucht, und entweder werden lange türkische Pfeifen herumgereicht, oder die Dame vom Hause dreht Papiercigarretten aus türkischem Taback, deren sie sich auch selbst bedient. Ueber Jemanden, der nicht raucht, wundert man sich mehr, als bei uns über einen Gast, der nicht ißt.

Eine Tugend, gewöhnlich am meisten in Ländern gepflegt, wo es an Gasthöfen oft gänzlich, an guten gewöhnlich fehlt, die Gastfreundschaft, wird in den Donaufürstenthümern auf die rühmlichste Weise geübt. Das Beste, was das Haus, je nach Stand und Vermögen, zu bieten hat, steht dem Gaste zu Diensten, und der Hausherr, wenn er sich auch sonst wenig um sein Hauswesen kümmert, beobachtet die größte Aufmerksamkeit, wenn er Fremde unter seinem Dache hat. In dieser Zuvorkommenheit ermüdet er nie, auch wenn der Besuch von längerer Dauer ist.

Wir wiederholen am Schlusse, daß hier nur allgemeine Charakterzüge gegeben worden sind, die unter mannichfachen Modificationen hervortreten, und daß die ehrenvollsten Ausnahmen zu finden sind, die nichts, was Bildung, feine Sitte, Geschmack und Zartgefühl vereint im Abendlande Liebenswürdiges haben, in schönen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_582.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2022)