Seite:Die Gartenlaube (1857) 583.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Familienkreisen der Moldau und Walachei vermissen lassen. Es ist vielmehr zu erwarten, daß, je inniger Orient und Occident sich einander nähern, die Zahl solcher Familien zunehmen werde; vor der Hand aber herrschen noch Zustände vor, welche ein widerwärtiges Gemisch von ursprünglicher Barbarei und übel benutzter Verfeinerung sind. Was öffentliche Meinung, Selbständigkeit der Grundsätze, politischer Gedanke in solchen Ländern zu bedeuten haben, wird nach allem Vorangeführten leicht zu beurtheilen sein.




Blätter und Blüthen.

Alte Dresdner Geschichten. Nr. 1. Wenn du, geehrter Leser, den Zwinger besucht hast, gerade um die Zeit, wo die Abendsonne mit ihren Strahlen das alte Gemäuer beleuchtet und seine tausend und abertausend Zierrathen und Schnörkel vergoldet, so wirst du eine Bank bemerkt haben, die dicht an ein Bassin grenzt und dem, der darauf Platz nimmt, die Aussicht auf einen Theil des alten Dresden gibt. namentlich auf die Ostra-Allee, die früher durch einen tiefen Graben von dem Zwinger getrennt war. Auf dieser Bank sah man nun vor langen Jahren zurück ein kleines, zusammengeschrumpftes weibliches Wesen sitzen in einem verblichenen rothen Atlashütchen mit einer gleichfalls verblichenen rothen Feder darauf, und in einem Schleier, der jedesmal, wenn die Abendkühle eintrat, über das Gesicht geworfen wurde. Dieses Wesen wurde „die alte Mamsell im Zwinger“ genannt, nur Wenige wußten um ihre tragische Geschichte, aber sehr Viele, die jetzt alt sind, haben sie noch sitzen sehen, und wußten nur so viel zu verkünden, daß sie eine Ruine aus der alten Zeit sei, und ebenso merkwürdig für den, der derlei Dinge liebt, als das alte Gemäuer um sie her. Die alte Mamsell sprach mit Niemand, fand sie die Bank besetzt, auf der sie gewöhnlich Platz zu nehmen pflegte, ging sie still wieder von dannen, wie sie gekommen war. Wenn die ersten Sterne am Himmelsbogen erschienen, so schlich sie heim in das kleine Dachkämmerlein, das sie bewohnte; oft kam sie auch in der Morgenfrühe, aber dies geschah selten. Wenn sie bemerkte, daß sie beobachtet wurde, so zog sie einen kleinen Fächer aus der Tasche, und unter dem Anschein sich Luft zuzufächeln, schützte sie sich vor den betrachtenden Blicken.

Die Kinder, die im Zwinger spielten, hatten die Mamsell gern, sie lockte sie herbei, liebkoste sie und gab den Kleinen Stückchen altgewordenen Zuckerwerks, das sie aus einer Tasche brachte, die von Seide war und eine kleine Stickerei in Gold hatte. Wenn die Abende kühl wurden, so sah man sie in einem polnischen Jäckchen erscheinen, das halb unter ein großes Umschlagetuch versteckt war, immer aber behielt sie das Rosahütchen auf. Ihr Gang war schwankend, und wenn sie die Anhöhe des Zwingers hinabging, stützte sie sich auf einen Regenschirm, der ihr zugleich als Sonnenschirm diente. Oefters brachte sie ein Buch mit, in welchem sie eifrig las, so lange es die Helle des sinkenden Tages erlaubte, für gewöhnlich jedoch saß sie mit einer kleinen Häkelarbeit beschäftigt, zu der sie das dazu Gehörige in dem goldgestickten Beutel mitbrachte. Wer der alten Mamsell ins Gesicht sah, und das war nicht so leicht zu bewerkstelligen, denn sie konnte, wie wir schon bemerkt baben, nichts weniger leiden als neugierige Blicke, mußte bemerken, daß sie einst schön gewesen; ihr Antlitz war bleich, zart und fein, Hände und Füße waren klein und zierlich, auch ihr Wuchs mußte wohlgestaltet gewesen sein, obgleich der Körper jetzt in die äußerste Magerkeit gefallen war, und mehr einem Skelett als einem mit Fleisch und Muskeln begabten Wesen glich. Einmal, und das war etwas höchst Besonderes, hatte man sie singen hören mit sehr lauter Stimme und melodisch, weder Worte noch Melodie waren aber verständlich, nur daß beide einen trauervollen Inhalt hatten, ließ sich heraushören. Zu dieser extravaganten Aeußerung ihrer Gefühle hatte sie sich hinreißen lassen, der Himmel weiß durch welchen starken momentanen Andrang und im Bewußtsein. daß sie völlig unbelauscht sei. Eben so auffallend, wie dieses Singen, waren die wenigen Worte, die sie, man weiß nicht bei welcher Gelegenheit, einmal sagte, und die in dem kurzen Satze bestanden: Er kommt nicht! – Nun hätte man fragen mögen: Wer kommt nicht? In der Beantwortung dieser Frage liegt aber nun die ganze tragische Geschichte der alten Mamsell. Ein langes Leben voll Einsamkeit und Trauer war an einen einzigen herzzerschneidenden Moment gewaltigen Schmerzes geknüpft. Laßt uns die Geschichte der alten Mamsell hören, sie ist kurz.

Zur Zeit. als im Zwinger noch Feste gegeben wurden, veranstaltete der Hof ein solches Fest, das einen mythologischen Aufzug darstellte. Eine Menge junger Edelleute aus Nah und Fern waren beschieden, in diesem Spiele Rollen zu übernehmen. Nun fand sich’s, daß man ein hübsches junges Mädchen suchte, das bei einem der Aufzüge eine Nymphe darstellen sollte, indem die vornehmen Damen des Hofes, die die Stellen der Göttinnen einnahmen, diese Rolle für zu untergeordnet und ihrer nicht würdig fanden. Man suchte lange und endlich nahm man Röschen Röser, die Tochter eines Goldarbeiters in der Neustadt, dazu. Man hätte kein schöneres Mädchen fast in ganz Dresden finden können, aber auch zugleich kein sittsameres und bescheideneres. Röschen’s Eltern waren anfangs lange zweifelhaft, ob sie ihre Tochter zu dem Schaugepränge hergeben sollten, denn es waren achtbare stille Bürgersleute, die nichts weniger suchten, als Gelegenheit sich vorzudrängen, oder gar ihr Kind den Augen des lüsternen Hofes auszusetzen. Allein man redete den Leuten zu, man stellte ihnen die Ehre recht nahe, die sie sich durch diese Gefälligkeit, die sie dem allgemeinen Besten erwiesen, erwerben würden, und man brachte es so weit, daß die Mutter Röschens nichts dawider hatte und der Vater sich beschwichtigen ließ. Das schöne Fest ging vor sich, und so groß auch die Anzahl der wohlgebildeten Frauengestalten war, die hier im Glanre und in der Fülle der Pracht erschienen, Röschen Röser wurde doch von dem Blicke des Kenners herausgefunden und nach Gebühr gepriesen. Ein junger Pole, dessen Namen die Geschichte nicht aufbewahrt hat, knüpfte mit der jungen Nymphe ein Liebesverhältniß an. Im Geräusch des Festes ging das sehr gut, und es war sicherlich nicht das einzige flüchtige Bündniß, das auf diesem Schauplatz der Genüsse und des abenteuerlichen Muthwillens unter den rüstigen Kämpfern, die Jugend, Rang und Reichthum begünstigte, zu Stande kam. Aber Röschen glaubte, sie liebte ganz im Geheim, und nur der Mond, der in ihr stilles Kämmerlein schien, wenn sie Nachts nach Hause kommend die glänzenden Gewänder abstreifte, wüßte um die selige süße Heimlichkeit ihres Herzens. Nach kurzer Frist mußte der Pole abreisen, und unter Schwüren ewiger Treue nahm Röschen von ihm Abschied unter den flüsternden Linden des Zwingers, in einer mondlosen Nacht. Da standen sie oben, fest umschlungen, die schlummernde Stadt unter ihnen, und in Stille und Seligkeit kein Lauscher, kein Verräther, der sie störte. Er versprach ihr sie zu seinem Welbe zu machen, und im Spätherbst wollte er wiederkommen, um sie von ihren Eltern zu erbitten und sie abzuholen. Darauf gab er ihr Wort, Handschlag und Kuß. Röschen ging an jenem Abende nach Hause, glücklich wie eine Liebende nur sein kann. Der innig Geliebte war jetzt die Sonne ihrer Tage, das Licht ihrer Nächte, sie betete für sein Glück und vergaß dabei für ihr eigenes und das ihrer Eltern zu beten. Die Welt war vor ihren Blicken verschwunden, sie sah nur ihn.

Indessen kam der Herbst, und der Geliebte kam nicht. Es wurde Winter, er erschien nicht. An keinem Tage versäumte Röschen sich an dem Platze einzufinden, wo sie sich treffen wollten. Ach, Bitterkeit ohne Maß und Ziel, der Liebe vergeblich Warten! Wer nie empfunden, was es heißt, auf einen leisen Schritt lauschen, der über welke Blätter rauscht, auf ein liebes Angesicht hoffen, das aus dem Dunkel hervortritt, und immer und immer nichts als Windestosen hören, und den bleichen Schein sehn, den die wirbelnde Flamme der Laterne auf die Mauer wirft, o der kennt des Busens grausamstes Weh nicht. Es heißt getäuschtes Sehnen, vereiteltes Hoffen. So trieb es Röschen ein Jahr lang, dann verfiel sie in Irrsinn. Eine Heilanstalt nahm sie auf, doch da sie nicht zu den gefährlichen Kranken gehörte, so entließ man sie wieder. Von der Zeit an lebte sie in dem dumpfen stumpfen Trübsinn lange unverändert fort. Immer noch erwartet sie den Ungetreuen, diese thörichte Hoffnung fristet ihr das elende Leben. Die Eltern sind todt, die Verwandten fort, sie ist von aller Welt verlassen, selbst alt und schwach, aber sie hofft noch immer, sie lebt noch immer. Oft, wenn sie so in Träume versunken sitzt, belebt sich vor ihren Blicken der Zwinger, die brennenden Lampen flammen auf, die Festzüge ordnen sich, Lärm. Tumult und Musik erfüllt den weiten Raum, sie an der Seite des Geliebten, und dann ist es wieder Nacht, einsames Dunkel, und Arm in Arm verschlungen steht sie mit dem, den ihr Herz begehrt, an verschwiegener Stätte und tauscht das Gelöbniß ewiger Treue aus. Armes Röschen! Nur mit deinem Tode endet dein Leiden!

Das ist die Geschichte der alten Mamsell im Zwinger.




Dräger erzählt in seinem vor Kurzem erschienenen Buche: „Die Natur des Hochgebirges“ den s. Z. auch in einigen Zeitungen besprochenen entsetzlichen Tod den Doctor Bürstenbinder aus Berlin folgendermaßen: Eines Abends – es sind wohl nun 10 Jahre her – kam ein fremder junger Herr mit einem kleinen Knaben, der ihm als Wegweiser gedient hatte, in den Pfarrhof zu Gurgl (im Gurglthale in Tyrol) und bat den gastfreundlichen Curaten Bernhard Schöpf um Aufnahme und Verwendung, damit er des andern Tages Wegweiser erlange, um über den Ferner zu gelangen.

Beides wurde dem Fremden von dem menschenfreundlichen Curaten zugesichert, der die zwei besten Männer an Kraft und Führerkunde aus allen Männern von Gurgl auswählte.

Der Fremde und der Curat saßen bis zehn Uhr Abends an einem Tische in heiterem Gespräche beisammen, wobei der Curat von dem Fremden erfuhr, daß er der Dr. Bürstenbinder von Berlin sei, eine Unterhaltungsreise mache, in fremden Welttheilen gewesen und Verschiedenes erfahren habe. Er begab sich um fünf Uhr früh nach dem Ferner, begleitet von den zwei Führern Nikodemus Santer und Angelus Scheiber. Um sieben Uhr gelangten sie zum Ferner, wo sie sich während einer kurzen Ruhe labten. Der Fremde nahm nur ein kleines Stück Brod zu sich. Von da stiegen sie zwei Stunden lang den Ferner hinan und langten um neun Uhr am „steinernen Tische“ an. (Dies ist ein großer Moränenblock mitten auf dem Gletscher, gewöhnlich als Ruhepunkt benutzt.) Nach einer viertelstündigen Rast setzten sie sich nach Mitterkamp (einem schneebedeckten Abhange zur Rechten) in Bewegung. Bevor sie aber diese gefährlichn Strecke betraten, befestigten sich beide Führer mit einem fünf Klafter langen Stricke um die Mitte des Leibes und setzten sich der Art in Verbindung, daß, wenn einer in eine verborgene Kluft versinken sollte, der andere ihm helfen und ihn zurückziehen könnte. Die Führer boten die gleiche Vorsorge auch dem Fremden an, der solche jedoch ablehnte. Auch bestanden sie nicht auf der Ausführung ihres Rathes, weil nur die Vorangehenden diese Maßregel anzuwenden, die Nachfolgenden aber frei denselben Fußtapfen zu folgen pflegen. Die Führer gingen mit ihren breiten Bergschuhen voran; der Fremde, nur mit schmalen Stiefeletten bekleidet, folgte ihnen. Nach einer halben Stunde und bevor sie noch den Mitterkamp erreicht hatten, vernahm der zweite Führer Santer hinter sich plötzlich ein kleines Geräusch.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_583.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2022)