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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

VII.

Der Consul war seit der Ankunft der jungen Leute heiter geworden, sein ganzes Wesen hatte sich verändert. Louise, die vermeintliche Nichte, war der Gegenstand seiner größten Sorgfalt und Zärtlichkeit. Ihr munteres, fast übermüthiges Wesen fand er reizend, und ihren Widerspruchsgeist nannte er Scharfsinn. So oft er konnte, sprach er mit ihr von ihrer verstorbenen Mutter. Bei solchen Gelegenheiten fügte er stets die Ermahnung hinzu: „bleiben Sie Ihrem Manne getreu, liebe Louise, denn Sie beglücken dadurch Ihren alten Onkel, der nur noch kurze Zeit zu leben hat.“ Gerührt entfernte er sich nach einer solchen Unterredung, um sich in seinem Zimmer einzuschließen.

„Das ist wirklich ein seltsamer Mann!“ dachte Louise. „Aber wie soll das enden? Fast bereue ich, daß ich mich zu dieser Rolle hergegeben habe. Die Lösung wird eine ganz andere werden, als die, die wir vermuthen.“

Wilhelm Dewald war immer noch der glühende Liebhaber seiner Frau, und wie alle Liebhaber, so ward auch er auf jeden jungen Mann eifersüchtig, der sich ihr nahete. Alexander war ohne Widerrede ein schöner Mann und seine Sonderbarkeiten mußten ihn interessant machen. Auch die Eitelkeit mischte sich in das Spiel; er war stolz, der Mann einer so schönen, liebenswürdigen Frau zu sein. Fürchtete er auch die Untreue Albertinens nicht, so dachte er doch mit einem bittern Gefühle daran, daß sie den bizarren Edelmann interessant finden könne. Er nahm sich vor, den Plan desselben zu verschweigen und still zu beobachten, wie Albertine sich benehmen würde. Es war dies eine Probe, die seine Eitelkeit sich nicht versagen konnte. Ein König ist nicht frei von der Eitelkeit auf seinen Thron, auf seine Macht – es ist verzeihlich, wenn ein junger Ehemann eitel auf den Besitz seiner schönen Frau ist. Das quid pro quo, das er dem grillenhaften Onkel spielte, trat für den Augenblick in den Hintergrund. Man sieht, Herr Wilhelm Dewald besaß außer der Eitelkeit auch einen hohen Grad von Leichtsinn.

Beim Frühstück am andern Morgen flüsterte Louise ihm zu:

„Wie haben Sie den Weiberfeind verlassen?“

„Er will sich rächen.“

„Wodurch?“ fragte Louise erröthend.

„Ich weiß es nicht.“

„Suchen Sie ihn so lange zu fesseln, bis ich meine Maske ablegen kann.“

„Zählen Sie darauf.“

„Aber säumen Sie nicht mit der Lösung, die Rolle ist mir zu schwer.“

„Sie liebt den Kecken!“ dachte Dewald. „Desto besser!“

Zur Zeit des Mittagstisches erschien Alexander in großer Toilette. Er war zu Pferde in den Hof der Solitüde gesprengt.

„Vortrefflich,“ rief der Consul, „da kommt unser Philosoph! Wahrlich,“ fügte er hinzu, indem er durch das Fenster sah, „der Edelmann sitzt gut zu Pferde.“

Albertine warf Louisen einen Blick zu. Diese lächelte zufrieden über das Lob, das der Onkel so eben ausgesprochen hatte. Der Neffe hatte es bemerkt; unwillkürlich warf er einen Blick durch das Fenster: er mußte sich eingestehen, daß Alexander graziös und leicht vom Pferde stieg. Man lud den Gast zu Tische, und er blieb. Alexander sprach lebhaft und viel; aber kein Wort verrieth sein Verhältniß zu Louisen, die sich Mühe gab, ihre heitere Laune zu bewahren, um den Consul zu täuschen, der an ihrer Seite saß. Außer dem Consul affectirten alle Gäste eine Unbefangenheit, die ihnen fremd war.

Nach Tische schlug der Consul einen Spaziergang nach seinem Karpfenteiche vor, der am äußersten Ende des Gartens lag. Er befahl, daß Dewald seine Gattin und Alexander Albertinen führe. „Vielleicht stoße ich sein philosophisches Gebäude um!“ flüsterte er dem Neffen zu.

Die Paare, von dem Consul geführt, gingen in den Garten. Louise und Wilhelm befanden sich in einer eigenen Situation: das junge Mädchen konnte sich der Eifersucht auf Albertinen und der junge Mann der Eifersucht auf Alexander nicht erwehren. Der Consul ward nicht müde, sie zu unterhalten.

Alexander hatte mit seiner Dame einen Seitenweg eingeschlagen.

„Verzeihung,“ sagte erschreckt Albertine, „der Teich liegt dort!“

„Folgen Sie mir, ich bitte, mein Fräulein. Auch dieser Weg führt zum Ziele.“

„Ich fürchte nur –“

„Fürchten Sie, mit mir allein zu bleiben?“

„Man sagt, Sie lieben die Einsamkeit.“

„Und man hat Ihnen die Wahrheit gesagt, mein liebes Fräulein; aber die Einsamkeit hat für mich tausend Reize mehr, wenn eine so liebenswürdige Dame sie verschönt!“

Albertine errieth die Absicht des Sonderlings.

„Ah,“ rief sie lächelnd, „ich glaube, mein Herr, Sie werden galant!“

„Können Sie sich darüber wundern?“ fragte Alexander, der um so eifriger ward, je mehr sich Louise und Wilhelm von ihm entfernten.

„Sie haben ja den Frauen ewigen Haß geschworen!“

„Meine liebe Dame, ich fühle mich gedrungen, Ihre Meinung von mir zu berichtigen. Ja, ich hasse, aber nur die frivolen, die ungetreuen Frauen, denen ein Schwur Nichts ist; Bescheidenheit, Tugend und Sittsamkeit sind mir heilig, ich vergöttere sie. Als ich Sie gestern allein im Walde sah, mußte ich mir auf den ersten Blick eingestehen –“

„Herr von Windheim,“ rief Albertine lachend, „ich glaube, Sie wollen mir den Hof machen! Wenn Sie aus diesem Grunde mich von der Gesellschaft entfernt haben, so muß ich Ihnen bemerken –“

Sie unterbrach sich, um nicht zu viel zu sagen. Alexander sah, daß sie erröthete.

„Es ist Schade,“ murmelte er, „daß diese lieblichen Züge eine kalte, gleichgültige Seele bedecken!“

„Wer hat Ihnen das gesagt?“

„Ich weiß es!“ antwortete Alexander seufzend.

„So nehmen Sie die Versicherung, daß man mich Ihnen falsch geschildert hat. Ja, wahrlich, man hat mich bei Ihnen zu verleumden gesucht!“

Alexander betrachtete einige Augenblicke die reizende junge Frau; er fand es erklärlich, daß Wilhelm Dewald ihn von ihr fern zu halten suchte.

„Ich würde mich glücklich preisen,“ sagte er bewegt, „wenn Sie einer zärtlichen Neigung nicht unfähig wären.“

„Aber warum denn nicht, mein Herr?“

„Wie, mein liebes Fräulein, Ihr Herz wäre nicht unempfindlich?“

„Leider empfindet es in dieser Einsamkeit nur zu viel!“ flüsterte Albertine seufzend.

Man setzte den Weg schweigend fort.

„Sie seufzt, ist verlegen,“ dachte Alexander; „das ist ein gutes Zeichen, ich darf offen reden, ohne eine Blamage zu fürchten.“

Die beiden Spaziergänger traten in einen Weg, der von Rebengeländen bedeckt ward. In weiter Entfernung hörte man die Stimme des Consuls, der laut von seinen Gartenanlagen sprach. Als Alexander sah, daß er sich mit seiner Dame allein befand, ergriff er sanft ihre Hand, blieb stehen und sah ihr zärtlich in das Gesicht. Er fühlte wirklich eine Anwandlung von Liebe zu der schönen Frau, die züchtig erröthend vor ihm stand.

„Albertine,“ flüsterte er mit bewegter Stimme, „ich kann diesen glücklichen Augenblick nicht entschwinden lassen, ohne Ihnen schüchtern das Bekenntniß abzulegen, daß ich Sie liebte, als ich Sie sah, und daß ich Sie anbete, nachdem ich Sie gesprochen habe. Ich bin jung, habe dreißigtausend Thaler jährlicher Renten, kann über meine Hand und mein Vermögen disponiren und lege Ihnen Beides zu Füßen. Man hat mir gesagt, daß Sie nur die verständigen Leute lieben – glauben Sie mir, die Stimme meines Verstandes spricht eben so laut, als die Stimme meines Herzens. Verlassen Sie mich nicht, ohne mir eine Antwort zu geben. Ich würde, verschmähen Sie mich, der Verzweiflung anheimfallen.“

Bestürzt hatte Albertine dieses Bekenntniß gehört, denn sie gedachte mit Schmerz der Freundin, deren Verhältniß zu dem jungen Manne sie kannte. Um[WS 1] einen Weg einzuschlagen, der zur Versöhnung führen konnte, nahm sie zur Unbefangenheit ihre Zuflucht.

„Ist es möglich, mein Herr?“ rief sie aus, ohne ihm ihre Hand zu entziehen. „Sie kennen mich kaum, und schon tragen Sie mir Ihre Hand an?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Und
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_586.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)