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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

behielt nämlich die für den Meyer’schen Walter Scott gesammelten zahlreichen Subscribenten zu einer von ihr selbst rasch veranstalteten Ausgabe des übersetzten schottischen Dichters und machte, die Hennings’sche Ausgabe überflügelnd, einen bedeutenden Gewinn. Meyer, von Hennings’ Langsamkeit geärgert, sagte sich von ihm los und stand von nun an auf eigenen Füßen. Mit dieser Shakespeare- und Walter Scott-Ausgabe hat er aber den großen Wurf gethan, der dem deutschen Volke von unberechenbarem Nutzen geworden ist, er ist damit der Schöpfer der billigen Literatur geworden. Und auf diesem Felde hat er einen Segen ausgestreut, welcher erst den kommenden Geschlechtern als echte goldene Ernte erblühen wird.

(Forts. folgt.)




Aus den Sprechstunden eines Arztes.
Nr. 3.

Lieber Leser! Nimm Deinen Verstand, den Du gerade hast, einmal auf kurze Zeit zusammen, und beantworte Dir und mir folgende Fragen: Was ist wohl von einer Versammlung von sogenannten wissenschaftlich gebildeten Männern zu halten, die über die Herstellung der Gesundheit ihrer kranken Mitmenschen berathen wollen und zum Präsidenten eine alte, aller Heilwissenschaft unkundige Frau (nämlich die Frau Dr. Hahnemann aus Paris, die Wittwe des Entdeckers des Alkali Pneum.; s. Gartenl. 1855. Nr. 32.) wählen? Sprich! Was muß wohl zu diesen Männern und ihrer Wissenschaftlichkeit sein? – Oder sage mir: glaubst Du, daß die Heilkunst wirklich zum Heile führen kann, welche von den Töchtern, Frauen und Wittwen von Heilkünstlern, sowie von Leuten aller Art, – die sich nie um das gesunde und kranke Treiben im menschlichen Körper bekümmert haben, die aber eine homöopathische Hausapotheke nebst gedruckter Anweisung zum Curiren besitzen, – gerade eben so gut ausgeübt werden kann, wie von examinirten homöopathischen Aerzten? – Wie denkst Du ferner über Heilkünstler, die es dem Patienten frei stellen, ob er homöopathisch (mit Nichts) oder allopathisch (mit großen Gaben wirksamer Arzneien) behandelt sein will? – Wie geruhst Du Dich sodann über Heilkünstler auszusprechen, die, wenn ihr homöopathischer Zwirn alle ist, heimlich zu allopathischen Mitteln in ganz tüchtiger Gabe greifen, trotzdem aber, selbst wenn sie dem Kranken mit den letzteren (nicht selten von allopathischen Aerzten confiscirten und chemisch untersuchten Arzneistoffen Schaden zufügten, fortwährend über die allopathische Heilmethode schimpfen? Solcher Halb-, Bastard- oder Justemilieu’schen Homöopathen gibt es aber gerade genug, ja sie finden sich sogar unter den am lautesten schreienden Chorführern in der homöopathischen Comödie. – Hältst Du es für möglich, daß ein Heilkünstler eine krankhafte Veränderung im menschlichen Körper zu heben im Stande ist, die er gar nicht zu ergründen versteht und sehr oft gar nicht zu ergründen vermag? Den Homöopathen kommt es nun aber gar nicht auf diese Ergründung an, die halten sich nur an ein paar Krankheitserscheinungen bei der Auswahl ihres Heilmittels. Ob übrigens diese Krankheitserscheinungen dieser oder jener krankhaften Veränderung dieses oder jenes Organs zukommen, ist bei dieser Heilkünstelei auch ganz egal, da das dagegen gereichte Arzneimittel in homöopathischer Gabe doch nichts als ein Nichts ist. – Warum gibt es unter den homöopathischen Heilkünstlern auch nicht einen einzigen Mann, dessen Name in den Natur- oder Heilwissenschaften rühmlich genannt würde? Warum kümmert sich überhaupt die Wissenschaft gar nicht um die Homöopathie? – Wie mag es wohl kommen, daß in einem benachbarten Staate ein gewisser Examinator und Physicus im ärztlichen Staatsexamen alten, längst abgeworfenen allopathischen Kram examinirt, während er doch selbst in der Praxis fanatischer Homöopath ist? Man braucht sich deshalb aber auch nicht zu wundern, wenn in einem solchen Examen Leute durchfallen, die bald nachher zu gesuchten Universitäts-Professoren werden. – Wie ist es zu erklären, daß sich die Anhänger der Homöopathie, auch nicht einmal die Gebildeteren derselben, durchaus nicht durch eigene Versuche von der Gehaltlosigkeit der homöopathischen Grundsätze überzeugen wollen? Man nehme doch einmal Bärlapp (Lycopodium), einen ganz unschädlichen Stoff, eine Zeit lang ein und sehe zu, ob Leberflecke, Sommersprossen, Warzen, chronische Wehadern, Hautwassersucht, Flechten, Husten mit salzig schmeckendem Auswurfe, Gichtknoten oder dgl. danach entstehen oder vergehen, wie dies dem Lycopodium in den homöopathischen Arzneimittellehren nachgerühmt wird. – Ist es nicht wunderbar, daß die Homöopathen unter sich über die Wirkungsweise und Gabe der verschiedenen Arzneimittel, ja sogar über ihre verschiedenen Anhänger und Heroen, so ganz verschiedener, ja oft geradezu entgegengesetzter Ansicht sind? Ich werde nächstens dem Leser und mir den Spaß machen und diese Differenzen, so wie die äußerst spaßigen Wirkungen und Kräfte ein und desselben homöopathischen Heilmittels zusammenstellen. – Schließlich möchte ich aber nur wissen, weshalb die kranke Menschheit bei homöopathischer Behandlung (d. h. bei Nichts in Zucker oder Spiritus), ebenso wie bei Charlatanismus, so spät die Geduld und das Vertrauen verliert, auch wenn ihr Leiden nicht weicht oder sich sogar verschlimmert, während sie bei rationeller (d. h. vernünftiger) Behandlung nicht schnell genug curirt werden kann, und schon in kurzer Zeit nach einem andern Arzte und einer andern Behandlung forscht. Spricht das für Verstand oder Unverstand der Einen oder der Andern? Freilich wundert man sich in manchen Fällen hierüber nicht, wenn man erfährt, wie Kranken mit unheilbaren Uebeln von homöopathischen Aerzten, bisweilen sogar auf Ehrenwort, versprochen wird, daß sie jenen Kranken binnen einer ganz bestimmten Zeit die volle Gesundheit wieder verschaffen wollen. – Fälle aus der Praxis sollen Licht auf das homöopathische Treiben werfen. Natürlich werde ich, obschon ich es könnte, niemals die hierbei betheiligten homöopathischen Aerzte nennen, weil ich nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen die ganze homöopathische Unheilkunst zu Felde ziehen will.

Die getäuschte Enthaarte.

Ein achtzehnjähriges blühendes Stumpfnäschen, welches mit seiner kranken Mutter, nicht seiner selbst wegen, in die ärztliche Sprechstunde kam, machte sofort durch seine lebensunlustige Miene, die kleinen dünnen blonden, vereinzelt von der Stirn nach den Schläfen sich hinziehenden Löckchen und durch ein niedliches Häubchen den Wunsch im Beobachter rege, zu wissen, ob er ein Frauchen oder ein Fräulein vor sich sähe. – Suchen wir dahinter zu kommen. –

„Ein so nettes Häubchen steht allerdings jungen Frauen recht hübsch, doch kleiden die Haare, zum Gesichte passend geordnet, in Ihrem Alter noch weit besser.“

„Meine Tochter, erst seit Kurzem Braut, trägt leider nur gezwungen ein Häubchen;“ – „und hoffentlich,“ fiel die Tochter mit thränenden Augen ein, „nicht lange mehr, denn der Arzt hat mir fest versprochen, mich in der nächsten Zeit so herzustellen, daß auch die Haare bis zum Trauungstage alle wieder gewachsen sind.“

„Also einer Krankheit Ihres Köpfchens wegen sind Sie unter das Häubchen gekommen? Haben dabei aber Haare lassen müssen? Da muß Ihnen wohl der Kopf öfters von Ihrer Frau Mutter gewaschen werden?“

„O nein! Mein Arzt ist Homöopath und will mir ohne Kopfwäsche den Kopf zurecht setzen, nur durch seine Kügelchen; freilich gehört viel Geduld zu einer solchen Behandlung.“

„Sie nehmen sonach schon lange homöopathische Mittel gegen Ihr Leiden ein, und sind wohl noch niemals äußerlich behandelt worden?“

„Allerdings schon über ein Jahr medicinire ich, aber blos innerlich.“

„Da würden Sie aber doch gut thun, wenn Sie einmal einem andern Arzte Ihr Köpfchen ohne Mützchen zeigten, denn der Homöopathie ist überhaupt nicht, zumal aber, was die Kopfhaut und Haarkrankheiten betrifft, niemals zu trauen, obschon diese so genannte Heilkunst sehr probate und sogar verschiedene Mittel gegen das Ausfallen der Haare an den verschiedenen Körperstellen zu besitzen sich rühmt. Sollte Ihr Herr Doctor trotz dieser Mittel nicht vielleicht auch eine Glatze oder eine Perrücke tragen?“

Zaudernd und schamroth setzte unser Blondinchen ihr Häubchen ab, und was ich da sah, würde mich –, wenn ich nicht dem armen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_616.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)