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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Halbstiefel, weite Beinkleider, ein Unterkleid von weißer Leinwand mit engen Aermeln und einen Gurt, an dem Säbel, Messer, Feuerzeug, Geldbeutel und Tabaksgeräth hängen. Der Oberrock ist von dunkelfarbigem Tuch mit weiten Aermeln. Den schwachen Bart lassen sie wachsen, das Haupthaar aber wird abgeschoren, bis auf einen Schopf, der dreifach geflochten hinten herunter hängt. Auf dem Kopfe tragen sie eine gelbe flache Mütze mit einer Quaste. Die Waffen der Reichen sind in der Regel sehr kostbar und mit Silber und Edelsteinen belegt.

In den ersten Tagen des Januar feiern die Kalmüken ihre Feste, bei welcher Gelegenheit sie auch ihren Götzen opfern. Die neugierigen Bewohner Astrachans fahren dann zu den Tempeln hinaus, um das merkwürdige Schauspiel eines kalmükischen Gottesdienstes anzusehen, der in einem ohrenzerreißenden Lärm besteht, mit Pauken, großen metallenen Becken, Trompeten, Hörnern und dergleichen, um den Götzen, dessen metallenes Bild im Tempel aufgestellt ist, aus seinen Meditationen zu erwecken. In gleich hohem Grade, wie dieser Lärm für die Ohren, sind ihre Räucherungen für die Geruchsnerven afficirend, da man, in Ermangelung des Weihrauchs und anderer wohlriechender Specereien, mit Fischthran gesättigten Filz anzündet. Der Tempel steht etwa 70 Werst oberhalb Astrachan, am linken Ufer der Wolga; er ist nach dem Muster einer Copie der Peterskirche in Rom erbaut, nämlich der kasanischen Kirche in Petersburg, freilich in sehr verjüngtem Maßstabe, der eigentliche Baustyl ist aber durch eine Menge Verzierungen in kalmükischem Geschmack, religiöse Symbole, Fähnchen und dergl. bis beinahe zur Unkenntlichkeit verunstaltet. In der Nähe des Tempels steht das in chinesischem Geschmack erbaute Wohnhaus des Khan Tümmén. Der Bruder des gegenwärtigen Khan war Oberst in der russischen Armee; er hatte in den Feldzügen gegen Napoleon I. mitgekämpft, und war mit den Verbündeten in Paris gewesen, wo er europäische Cultur kennen und schätzen gelernt hatte, die er bei seinem Volke einzuführen suchte. Allein, obwohl er mit gutem Beispiele voranging, konnte er doch nur seine Familie dahin bringen, das unstäte Nomadenleben mit festen Wohnsitzen zu vertauschen, und auch diese zog es vor, den Sommer über in Zelten zu wohnen. Er hielt an seinem Hofe eine kalmükische Capelle, welche die Werke deutscher und italienischer Componisten mit vielem Geschmacke aufführte.

Wie im Sommer, ebenso bietet auch im Winter die Stadt durch das Erscheinen der Bewohner ferner Gegenden, die nur in dieser Jahreszeit hierher kommen, ein interessantes Bild. Namentlich führt der Handel dann die Kirgisen aus ihren Steppen herein, welche gegen ihre Thierhäute und Pelze hier allerlei Erzeugnisse des europäischen Kunstfleißes, kurze Waaren, Kleiderstoffe, Waffen u. dgl. m. eintauschen. In langen Reihen ziehen sie über die zugefrorene Wolga, gewöhnlich zwei auf einem Kameel reitend, in Pelze gehüllt, mit einer spitzen Pelzmütze, die fast den ganzen Kopf bedeckt, und unter der ihre schiefliegenden Augen hervorschielen. Sie sind ein echtes Steppenvolk, und können selbst während ihres kurzen Aufenthaltes in der Stadt nicht in Häusern wohnen, sondern schlagen hier, wie in ihrer Steppe, auf freien Plätzen und in den geräumigen Höfen ihre Zelte auf.

Die Umgebungen Astrachans sind nicht ohne Reiz; rings um die Stadt, bis zu einer ziemlichen Entfernung, sind herrliche Gärten, in denen hauptsächlich Wein gebaut wird, vortreffliche Trauben, aus denen man einen guten Champagner bereitet. Ein Gefäß mit Wein, in der Größe eines gewöhnlichen Wassereimers, kostet in Astrachan nicht mehr, als etwa 25 Ngr. nach unserem Gelde; in guter Gesellschaft aber zieht man vor, theuere französische und andere fremde Weine zu trinken. Da die mohammedanische Bevölkerung keinen Wein trinken darf, so werden die Trauben zum größten Theil getrocknet oder frisch für den Winter aufbewahrt oder, noch ehe sie völlig reif sind, in Fäßchen gepackt und nach Petersburg und Moskau versandt, wo man sie bis Februar aufbewahrt. Außer dem Wein werden in den astrachanischen Gärten auch Feigen, Mandeln und andere Südfrüchte gezogen, hauptsächlich aber Melonen und alle Arten von Kürbiß- und Gurkengewächsen, unter denen die große Wassermelone besonders beliebt und wichtig ist, da sie in einer Zeit des Jahres für einen großen Theil der Bevölkerung die hauptsächlichste Nahrung bildet. Auch Rosen werden in großen Massen angebaut, deren Blüthe, aus welcher man hier Rosenöl bereitet, eine außerordentliche Größe erlangt. Da es im Sommer niemals regnet, müssen die Gärten künstlich bewässert werden, wozu man sich einer sinnreichen und ganz einfachen Maschine bedient, des sogenannten Tschikir, einer Wasserkunst, die durch Wind getrieben wird und Aehnlichkeit mit einer Windmühle hat.

Für den Jagdfreund bieten die Umgebungen Astrachans ein sehr ergibiges Feld. Goldfasanen gibt es hier in Menge, desgleichen Schnepfen, Rebhühner und anderes Geflügel; Enten, in Schaaren zu Tausenden vorhanden, werden nicht geschossen, weil ihr Fleisch nach Fischthran schmeckt. Tausende von Menschen kommen während des größten Theiles des Jahres aus dichter bevölkerten Gouvernements des russischen Reiches nach Astrachan, um hier durch Fischfang ihren Unterhalt zu verdienen. Sie erhalten von den großen Fischereibesitzern die nöthigen Geräthschaften, und müssen ihren täglichen Fang dem Herrn abliefern. In ledernen Kleidern, die mit Thran bestrichen sind, um sie wasserdichter zu machen, gehen die Fischer an seichten Stellen in das Wasser, und in wenigen Minuten sind die Netze gefüllt mit Tausenden von Fischen, von denen man nur die bessern und größern behält; die kleineren werden wieder in’s Wasser geworfen. Im Winter, wenn die Wolga zugefroren ist, werden die größeren Fische auf eine eigenthümliche Weise gefangen. Man schlägt nämlich Löcher in das Eis, an deren Rande große Pfähle eingerammt werden mit Stricken, die in das Wasser hinabreichen, und an deren Enden große Angelhaken angebracht sind. Eine andere Art, die Fische zu fangen, ist die sogenannte Gromka, d. i. Lärm, eine Treibjagd auf dem Eise, wodurch die Fische an die in das Eis gehauenen Löcher getrieben werden. Jedermann kennt den astrachanischen Caviar; dieser kommt vom Stör und Hausen (Beluga). Der beste Caviar wird versandt, sobald der erste Frost eintritt, etwa im Januar, und kann daher bei uns erst etwa im Februar oder März eintreffen. Die schlechteren Sorten werden im Sommer gewonnen und sehr gesalzen. Der meiste Caviar wird in Säcke gefüllt, ausgepreßt und in trockenem Zustande versandt. Auch viele Fische werden, im Winter gefroren, im Sommer gesalzen oder an der Sonne getrocknet, weithin versandt. Ein sehr kostbarer Artikel, der hier gewonnen wird, ist bekanntlich die Hausenblase. Wie einträglich der Fischfang ist, zeigen die Gebrüder Saposchnikoff, Kaufleute erster Gilde und die reichsten Fischereibesitzer in Astrachan, die ihr Geschäft mit einem Capital von vierzig Millionen Rubel Silber betreiben. Der Großvater dieser Herren kam als armer Bauer nach Astrachan, und legte durch außerordentliches Glück beim Fischfang den Grund zu diesem Vermögen.

Die Zahl der Gebildeten ist in Astrachan im Verhältniß zu der Anzahl der Bevölkerung ziemlich gering; sie halten aber alle freundschaftlich zusammen, und es herrscht daher ein sehr geselliges Leben. Die Gesellschaft vereinigt sich wöchentlich im Winter im adeligen Club, im Sommer in dem sogenannten Vauxhall, einem an der Wolga gelegenen vier Werst von der Stadt entfernten Lustgarten. Die Fahrt dorthin geschieht gewöhnlich in eleganten Gondeln, die von Kalmüken oder Matrosen in malerischen rothen Blousen geführt werden; die Kalmüken haben namentlich im Rudern eine außerordentliche Fertigkeit. Im Juni, so lange das Wasser hoch steht, ist das Vergnügen in den Gärten ausgesetzt, weil die Damen ihre zarte Haut nicht den Millionen von Mücken preisgeben wollen. Da die Hitze im Sommer außerordentlich drückend ist, so ist die Besuchsstunde schon früh um acht Uhr.




Leviathan in der Wiege.

Als die Babylonier im Gefühl ihrer Größe und Glorie den berühmten Thurm bauten, verwirrte der Herr ihre Sprachen, und es wurde nichts Ordentliches draus, der Thurm wenigstens nicht fertig, da sie sanken, während der Thurm stieg. Großbritannien setzt seiner Größe und Glorie ein Denkmal nach dem andern, ohne daß bis jetzt eins gelungen ist. Die Flotte zwar hielt man für

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_643.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)