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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Erfahrung gemacht hatte, daß der Dichter in seiner nächtlichen Einsamkeit auch einen Nachtwächter als Zechkumpan nicht verschmähte.

Eduard Ferrand, obschon sein Talent keinen sehr großen Kreis beherrschte, war ein wirklicher ursprünglicher Dichter. Das Wort trat bei ihm, wie das Blatt mit dem aufgesprossenen Pflanzenkeim, mit dem Gedanken unmittelbar hervor; er suchte darnach nicht, es gab sich von selbst. Die Form ist immer in hohem Grade melodiös und musikalisch; gezwungen und gekünstelt ist nichts bei ihm. Seine Gedichte („Gedichte“, 1831; „Gedichte. Neue Sammlung“, 1835; „Lyrisches“, 1839) enthalten des Zarten, Anmuthigen und Tiefgefühlten sehr viel. Manche seiner Balladen, wie „die Jungfrau zu Schildeis“, „König Trojan“ und „das Kind auf der Heide“ sind vortrefflich. Ignaz Hub, der sie in seine Balladensammlung aufgenommen hat, sagt von E. Ferrand mit Recht: „Die Maße fügen sich ihm leicht wie in der Hand des Meisters.“ Rechnet man auch die mancherlei Anklänge an Heine ab, so bleibt doch genug übrig, was ganz sein eigen ist. Dabei sind seine Empfindungen, wenn auch bisweilen zu weich, doch viel reiner und keuscher, als die Empfindungen Heine’s. Witz und Ironie waren fremde Tropfen in seinem Blute. Den politischen Fragen der Zeit gegenüber verhielt er sich gänzlich indifferent; servil aber war er nicht. Ganz eigener Art sind seine Erzählungen („Novellen“, 1835; „Erlebnisse des Herzens. Novelletten“, 1839). Es sind die einfachsten Liebes- und Herzensgeschichten, die es geben kann; aber voll tiefer Empfindung und stillglühender Leidenschaft, die sich auch in der eigenthümlich erregten und vibrirenden, dabei aber klaren und graziösen Sprache ausdrückt. Zuweilen hat die Erfindung etwas französisch Pointirtes. So in der Novelle „die Freunde.“ Adolf liebt ein schlichtes Bürgermädchen, möchte aber von ihr aus irgend einem Grunde loskommen. Er überredet seinen Freund Victor, Leonoren den Hof zu machen. Victor verliebt sich aber wirklich in das schöne Kind, und als Adolf nun einsieht, auf sie verzichten zu müssen, muß er sich gestehen, daß er Leonoren glühender als je liebt. Beide Freunde kommen darin überein, um ihren Besitz zu würfeln; wer die wenigsten Augen wirft, soll eine Phiole Gift austrinken. Das erste Mal warfen Beide acht. Sie werfen noch einmal. „Fünf!“ ruft Adolf, „das ist wenig!“ – Victor wirft „drei.“ Ehe noch der bereuende Adolf hinzuspringen und die Phiole ihm entreißen kann, hat Victor sie geleert. „Adolf, im Tode ist Wahrheit!“ sagt Victor. „Ich mag doch nicht größer vor Dir dastehen, als ich bin. Du erscheinst in diesem Augenblick wie ein Schwächling – ich wie ein Held! Aufrichtig gesprochen; ich spiele den Helden, und mit dem Heldenthum manches Helden mag es nicht anders bestellt sein. Wäre ich jetzt allein gewesen, so würde ich wohl gezittert haben und geweint und gebetet; aber da Du mich siehst, stelle ich mich stärker, als ich bin. Ach, bis zum Tode wollen wir mehr scheinen, als wir sind!“ Victor, das tödliche Gift im Herzen, begleitet seinen nun von Verzweiflung erfaßten Freund mit der Leuchte bis zur Treppe. „Gute Nacht, Adolf!“ ruft er, „Du kommst doch morgen?“ – „Ich komme, ich komme!“ antwortete Adolf, und stürzt hinaus auf die stille Straße. Andern Tages fand man Victor als Leiche auf seinem Zimmer.

Im Jahre 1838 sah ich Ferrand in Begleitung Gaudy’s in Leipzig. Beide zogen dem Süden zu. Aus Mersburg, wo das „sehr gute Bier“ ihn mehrere Tage gefesselt zu haben scheint, erhielt ich denn später, im August, einen Brief, aus dem hier folgende, für Ferrand charakteristische Stellen ihren Platz finden mögen:

„Erst jetzt, am Ufer des Bodensees, in deutschem Lande, kann ich Dir schreiben. Dies Dahinfliegen durch Städte und Länder ließ mir wenig Muße, und in den wenigen Mußestunden forderte gewöhnlich der Durst so mächtig seine Rechte, daß mir zum Briefschreiben keine Zeit blieb. Von der überreichen Gegenwart konnte und mochte ich nicht viele Blicke auf die Vergangenheit werfen. Meine Frau thut mir jetzt allerdings leid, denn auch an sie geht jetzt erst ein Brief, der erste seit dem Leipziger, ab – na, die denkt entweder, eine Lawine habe mich begraben, oder ich hätte mich todtgesoffen. Letzteres wäre jedenfalls das Wahrscheinlichere.“

Diesen Worten läßt Ferrand eine kurze Skizze seiner Reise durch die Schweiz bis in das Berner Oberland folgen, gesteht aber, daß er, „einzelne wunderbare Momente, die man dieser gewaltigen Natur verdankt, ausgenommen, zu keiner recht innigen Freude gekommen sei,“ und zwar hauptsächlich deshalb nicht, weil die Schweizer gewohnt seien, den Reisenden für den Genuß dieser Naturschönheiten zu starke Taxen aufzulegen. Am Schlusse des Briefes benachrichtigt er mich, daß er sich „jetzt still durch Schwaben hindurchbechern“ werde.

Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich meinen alten früh verstorbenen Freund auf seiner Rückreise in Leipzig wiedersah. Das letzte Erinnerungszeichen von seiner Hand war ein Brief aus Berlin, vom 29. März 1839, der aber gerade nicht sehr inhaltreich und charakteristisch ist. Er klagt darin über den Zerfall der alten Kumpanschaft, mit der er so lange gelebt und poetisch geträumt, über langweilige Wochen und schlimme Nächte, die er am Bett eines schwer erkrankten Söhnchens durchwacht. „Es ist ein ander Ding,“ schreibt er, „im Kreise lustiger Freunde das Licht des Morgens zu erwarten, als im Dunst der Krankenstube, von trüben Befürchtungen gequält, todtmüde zwischen Schlaf und Wachen zu ringen. O du fröhliches Leben von sonst!“ Da treibt es ihn hinaus: „Die Sonne scheint so wunderwarm durch’s Fenster, der Himmel ist so blau, so klar – mein alter Reisestock von Stechpalmholz mit dem Gemshorn scheint mir aus der Ecke, wo er bestaubt, ungeduldig zu winken, und gern würfe ich die Feder hin, und nähme den wackern Wandergefährten zur Hand:

Wie strahlst du mir in’s Her; hinein,
O Sonnenschein, o Sonnenschein!

Ich halt’ es in der Stube nicht aus. Hinaus, wenigstens auf die Straße!“

Hiermit brechen meine brieflichen Verbindungen mit Eduard Ferrand ab. Im October 1842 berichteten meine Berliner Freunde über seine letzte Krankheit. Sein ganzes Nervensystem war zerrüttet; er bekam Sturzbäder. Am 16. October früh um 4 Uhr erkannte er zum letzten Mal seine Frau, bat sie um einen Kuß und äußerte: „Der war labend!“ Der Arzt meinte, zwei Stunden Schlaf würden ihm vielleicht Genesung bringen; als aber der Schlaf kam, dauerte er etwas länger als zwei Stunden – es war der Todesschlaf. Mit ihm ging eine gute Seele von hinnen, die wohl geirrt haben mag, aber nur auf eigne Unkosten und keinem Andern zum Schaden, eine Seele ohne Falsch und Tücke, treu und rein, wie Gold.

Eine andere hervorragende Persönlichkeit unseres Dichterkreises war Friedrich v. Sallet, auch eine innerliche Natur wie Eduard Ferrand, aber philosophischer durchgebildet, energischer, weniger naiv und rasch hingebend, doch dem Freunde sich in besonders erregenden Momenten inniger anschließend. Bescheiden und angenehm in seinen Umgangsformen, verständig und sinnig in seinen Gesprächen, heiterem Lebensgenuß nicht abgeneigt, ihn aber als reflectirender Geist mehr beherrschend, war auch Sallet ein liebenswürdiger Gesellschafter. Die Einflüsse aristokratischer Erziehung waren nicht zu verkennen, gaben aber im Bunde mit seiner freimenschlichen Gesinnung eine gute Mischung. Dabei mied er den Umgang mit Standesgenossen. Er liebte es, nach unsern Zusammenkünften an schönen Mondscheinabenden mit irgend einem der Freunde durch die langen Straßen und über die geräumigen Plätze Berlins zu wandeln, und es ist nicht zu leugnen, daß im Mondlicht die ruhig daliegenden großen Massen des Königsschlosses, des Museums, des Zeughauses und der angrenzenden Gebäude und die dazwischen hervortretenden erzenen und marmornen Bildsäulen einen poetischen Eindruck machen. Bei seiner oppositionellen Richtung in politischer und religiöser Hinsicht hatte es etwas Auffallendes, daß er damals wenigstens gegen die Emancipation der Juden war, gegen die er, wie er sagte, nicht aus religiösen, sondern nationalen Gründen eine besondere Antipathie hatte. Ob er sie später überwunden hat, weiß ich nicht. Es war mir bekannt, daß er sich zu der Zeit viel mit Hegel’scher Philosophie beschäftigte, doch hätte ich mir nicht vermuthet, daß er, der sich damals mit Vorliebe und entschiedenem Glück in den Formen des Volksliedes bewegte, je ein so gründlich didaktisches, in seinen Tendenzen edles, aber doch im Grunde wenig poetisches und etwas abstruses Werk, wie das „Laienevangelium“, schreiben würde. Im Ganzen war auch Sallet eine treue, ehrliche und noble Seele, und meinte es ernsthaft mit der Poesie, mit seinem Liberalismus (der ihm, dem jungen Lieutenant, schon früher einen zweimonatlichen Festungsarrest zugezogen hatte) und mit der Ausbildung seines innern Menschen.



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