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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

sprach erst nur geschäftliche Dinge mit der tief Trauernden durch, die jetzt das Sterbegemach Ottwald’s bezogen hatte, um gleichsam der Seele des Geschiedenen näher zu sein. Dieser Zufall gab dem jungen Pachter eine erwünschte Gelegenheit, später das Gespräch auf das traurige Ereigniß hinüber zu spielen. Er musterte dabei das Zimmer sehr genau, trat an’s Fenster und sah hinaus in das romantische Bergthal, in dessen Tiefe der Fluß rauschte. Die Wände des Zimmers bestanden aus altem Holzgetäfel, das fast schwarz war. Ein paar sehr verwitterte Portraits der früheren Schloßbesitzer hingen an der einen, dem alten Bibliothekzimmer zugekehrten Wand. Sie sahen recht ernst herab auf die zarte Gestalt des Mädchens, das hier den Tod ihres auf so eigenthümliche Weise umgekommenen Bruders beweinte.

„Merkwürdig,“ hob Caspar an, die Bilder mit scheinbarer Aufmerksamkeit betrachtend, „ich komme fast auf den Gedanken, Ihr verewigter Bruder habe mir ein Anzeichen geben wollen, daß ihm etwas passiren werde! Glauben Sie an Anzeichen, Fräulein Hornburg?“

Cornelie blickte bei dieser Frage den Mühlenpachter etwas verwundert an.

„Ist Ihnen etwas Auffälliges begegnet, das Sie auf einen solchen Gedanken bringt?“ gegenfragte sie dann.

„Gewissermaßen darf ich dies bejahen,“ versetzte Caspar.

„Und worin bestand dies Begegniß?“ fragte aufgeregter Cornelie.

„Es war in jener Nacht nicht ganz ruhig im Schlosse,“ fuhr der Mühlenpachter fort. „Es sind Leute auf- und abgegangen in allen Zimmern, und auch in dieses Zimmer habe ich kurz vor Mitternacht Jemand mit Licht treten sehen.“

„Wissen Sie das auch genau?“

„Ich kann es beschwören!“

„Aber Sie waren ja doch nicht im Schlosse?“

„Nein, ich war drüben in der Mühle, wo ich mich mit der Ausarbeitung eines Risses beschäftigte, an dem Lichte aber oder vielmehr an dem Schatten, den das Licht gegen das Fenster dieses Zimmers warf, sah ich ganz deutlich, daß irgend Jemand in das Zimmer trat.“

Cornelie ließ ihre Blicke von der Thür nach dem Fenster und von diesem wieder zurück an die Thür gleiten, dann lächelte sie und sagte freundlich:

„Sie irren sich doch wohl, lieber Caspar! Betrachten Sie gefälligst die Lage des Fensters und der Thür und haben Sie die Gefälligkeit, mir anzugeben, wie ein Mensch, der durch diese Thür tritt mit einem Lichte in der Hand, einen solchen gegen das Fenster werfen kann. Es ist dies völlig unmöglich oder alle Naturgesetze müssen sich verkehrt haben in jener Unglücksnacht!“

Caspar unterließ nicht, der Aufforderung des Fräulein zu folgen, und sein gesunder Menschenverstand ließ ihn sogleich die Richtigkeit der Bemerkung Corneliens einsehen. Er legte sinnend die Hand an die Stirn, er ging nach der Thür, er öffnete und schloß dieselbe zwei, drei Mal und trat unbefriedigter denn je wieder an’s Fenster, um auf die klappernde Sägemühle auf der gegenüberliegenden Thalwand hinabzusehen und sich die Erscheinung jener Nacht recht genau abermals in’s Gedächtniß zu rufen.

„Nun, habe ich Recht?“ fragte Cornelie nach einer Weile.

„Sie haben Recht, Fräulein Hornburg,“ versetzte Caspar, „und eben weil Sie Recht haben, erscheint mir der Besuch dieses Zimmers in der Nacht vor Ihres Herrn Bruders Tode noch viel bedeutungsvoller.“

„Sie werden sich in den Fenstern geirrt haben.“

„Gewiß nicht, Fräulein Hornburg! Es war dies Zimmer, das plötzlich durch Lichtgeflimmer erhellt und sodann durch einen vor das Fenster tretenden Schatten verdunkelt wurde.“

„Vielleicht wünschte mein Bruder Hülfe, entzündete ein Licht und die Stellung jenes Lichtes warf den Schatten, den Sie beobachteten, gegen das Fenster.“

„Dieser Annahme steht zweierlei entgegen,“ fuhr Caspar fort. „Die Lage des Verstorbenen im Bett am nächsten Tage und die Entfernung des Lichtes durch die ganze Flucht sämmtlicher Zimmer im Neubau.“

Cornelie erwiderte auf diese letzte Bemerkung des Pachters nichts. Sie saß in sich gekehrt da und sah unverwandt die Thür an, deren Schatten Caspar vor das Fenster hatte treten sehen.

„Schweigen wir über das, was Sie beobachteten,“ sprach sie nach längerem Sinnen. „Es darf Niemand außer uns Beiden etwas davon erfahren. Vielleicht wird der von Ihnen gesehene Schatten dann zu einem Licht, bei dessen Glanz wir die ganze Wahrheit erkennen. –“




VI.

Es vergingen nun Wochen und der Tod Ottwald’s war so ziemlich in Vergessenheit gerathen. Anna befand sich noch immer in Untersuchungshaft. Die mit ihr angestellten Verhöre führten insofern zu keinem befriedigenden Resultate, als sie fortwährend ihre Unschuld betheuerte. Den auf ihr ruhenden Verdacht aber vermochte sie durch nichts zu entkräften. Weder konnte sie angeben, auf welche Weise das Gift in die ihr allein überwiesene und anvertraute Kruke gekommen war, noch, weshalb sie das Zimmer des ihrer Pflege doch empfohlenen Mannes stundenlang hatte liegen lassen, ohne auch nur nach ihm zu sehen. So oft der Untersuchungsrichter diese Fragen an die Gefangene richtete, ward sie unruhig und in hohem Grade befangen. Sie verwirrte sich in ihren Antworten, widersprach sich und mehrte auf solche Weise nur den Verdacht, daß sie um den Tod Ottwald Hornburg’s wisse, wenn sie auch selbst nicht geradezu die Hand dazu geboten habe. Die Meinung, es liege ein berechneter Mord vor, gestaltete sich bei dem Untersuchungsrichter mehr und mehr zur Ueberzeugung. Er glaubte in der Gefangenen nicht die eigentliche Anstifterin des Mordes, wohl aber eine Mitwisserin, vielleicht sogar ein Instrument zu erblicken. Wer aber war der wirkliche Urheber des Verbrechens? Darüber ließen sich nicht einmal Vermuthungen aufstellen.

Im Laufe der Voruntersuchung fanden wiederholt Besichtigungen des Schauplatzes statt, wo Ottwald Hornburg seinen Tod gefunden hatte. Gleichzeitig wurden die nächsten Anwohner des Schlosses, sowie alle diejenigen, welche in Verbindung mit der Familie Hornburg gestanden hatten oder noch standen, vorgeladen und über ihr Wissen befragt. Auch Caspar mit sammt seinem Knappen erhielt eine Citation. Da Jeder allein vernommen ward, blieb Beiden die Aussage des Andern ein Geheimniß.

Nach den Vorkehrungen zu schließen, die von jetzt an das Gericht traf, mußte dasselbe auf die Aussagen der beiden letztgenannten Personen sehr großes Gewicht legen. Es erschienen nicht allein Abgeordnete desselben in der Sägemühle, welche Caspar gepachtet hatte, um sich hier die Stelle zeigen zu lassen, wo derselbe bis nach Mitternacht arbeitend zugebracht, und dabei das wandelnde Licht im gegenüberliegenden Schlosse, und was sonst damit zusammenhing, beobachtet; auch das Schloß selbst ward abermals von Gerichtspersonen heimgesucht und im Beisein Cesar’s, der bereitwilligst jede Auskunft ertheilte, besichtigt. Da man diesmal mit minutiöser Genauigkeit verfuhr und alle Winkel vermaß, besonders aber von dem Sterbezimmer Ottwald’s einen Riß aufnahm, erlaubte sich Cesar nach dem Zweck dieser Maßnahmen zu fragen. Der leitende Beamte erwiderte darauf mit geschäftlicher Trockenheit, man würde eines Planes, vielleicht eines Modelles aller Räumlichkeiten des Schlosses bei der öffentlichen Verhandlung des Processes bedürfen, da es nicht unmöglich sei, daß mittelst desselben sich manche noch immer sehr dunkle Punkte in der seltsamen Angelegenheit aufklären könnten.

Cesar Hornburg schien von diesen Aeußerungen des Beamten sehr unangenehm berührt zu werden. Er schritt schweigend neben ihm und seinen Begleitern durch die ganze Flucht der Zimmer, die sie ausdrücklich zu sehen wünschten. Nur auf direct an ihn gerichtete Fragen gab er kurze, bisweilen auch mürrische Antworten. Der Beamte achtete im Eifer seiner Pflichterfüllung nicht darauf. Als die Besichtigungscommission zuletzt Cesar’s Privatzimmer betrat, widmete der Beamte auch diesem eine Aufmerksamkeit, welche den Schloßherrn beinahe verletzte. Es waren dies die letzten Zimmer in dem neuen Anbau. Nur das Wohngemach Cesar’s hatte zwei Thüren, von denen die eine auf den Corridor mündete, die andere nach der zusammenhängenden Zimmerreihe führte, die an dem Sterbegemache Ottwald’s endigte. Hier ging abermals eine Thür nach dem Corridor, denn das Sterbezimmer hing nur durch letzteren mit dem neuen Schlosse zusammen. Gegenüber dieser Thür lag Anna’s Wohnung, am äußersten Ende des Corridors befand

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_683.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)