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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und eben so vielen preußischen Truppen. Von allen Seiten umstarren es mächtige Wälle, aus denen 13 Bastionen hervorspringen und außerhalb derselben sind noch Schanzen und Forts errichtet.

Der deutsche Bund hat hier eine Masse von Kriegsmunition aller Art angehäuft: es sollen sich nicht weniger als 7000 Centner Pulver hier befinden. Dieselben lagerten bis auf den heutigen Tag zum großen Theile in Pulverthürmen und Magazinen innerhalb der Festungswälle. Seit langen Jahren wurden zwar Unterhandlungen wegen Verlegung der Magazine in die Außenwerke und Erbauung von Friedensmagazinen in gehöriger Entfernung von der Stadt, wie solche fast bei allen anderen Festungen bestehen, geführt; im Jahre 1839 begann der deutsche Bund auch damit, aber die Sache kam in’s Stocken; in den unruhigen Jahren von 1848–1851 konnte die Entfernung ebenfalls nicht stattfinden und von da ab entschuldigte sich der deutsche Bund mit dem orientalischen Kriege, der eine Verlegung der Pulvervorräthe nicht gestattet habe. Auch seitdem zog sich die Sache in die Länge. Schon vor sechs Monaten begann man mit der Ausleerung der inneren Pulvermagazine, allein auch jetzt nahm dieselbe keinen Fortgang, weil von Bundeswegen die nöthigen Mittel noch nicht bewilligt waren. So blieb das drohende Wetter über der Stadt Mainz hängen, die nichts davon ahnte, bis es sich endlich, schnell wie ein Gedanke, unerwartet und plötzlich entlud. Blut und Trümmer predigen nun beredt genug das Gebot der Humanität, eine friedliche, lebensfreudige Stadt nicht mitten im Frieden mit allem Schrecken und Verderben des Krieges zu bedrohen. Mainz steht auf einem Vulcan; diese schreckliche Wahrheit hat es jetzt erst recht erkennen gelernt und jetzt kann es sich vergegenwärtigen, was ihm, der heitern, fröhlichen Rheinstadt, bevorgestanden hat, wenn nicht die gnädige Hand der Vorsehung es vor noch größerem Unheil geschützt hätte!

Dies zum Verständniß der Ursache des Ereignisses; bevor wir dasselbe in seinen Details dem Leser vorführen, sei es uns erlaubt, noch einen Blick auf den Ort zu werfen, welcher zum Schauplatze desselben werden sollte.

Die Stadt Mainz liegt am Fuße einer Anhöhe, die der Mainmündung gegenüber bis dicht an das Ufer des Rheines vortritt, sich von da aber landeinwärts wendet; zwischen der Anhöhe und dem Rheine liegt also ein Dreieck, auf welchem die Stadt Mainz sich erhebt. Vom Rheine an steigt sie allmählich an, bis zum Fuße der Anhöhe, auf welcher noch eine Straße, aus alten Häusern bestehend und meistens von ärmeren Leuten bewohnt, – der alte Kästrich – sich erhob. Und eben auf dieser Anhöhe, dem Mittelpuncte der Stadt so ziemlich gegenüber, stand das in die Luft geflogene Pulver-Magazin, also an einer Stelle, welche die ganze Stadt beherrscht.

Nimmt man vom Rheine aus seinen Weg gerade auf den Dom zu und verfolgt von hier aus die mitten durch die Stadt in gerader Richtung führende breite und schöne Ludwigsstraße, so gelangt man auf den Thiermarkt, auf welchem das Gouvernements-Gebäude steht; von hier führt links die Gaustraße bergauf; auf der Anhöhe steht oben die schöne, im dreizehnten Jahrhundert erbaute gothische St. Stephanskirche mit hohem Thurme, der die ganze Stadt hoch überragt. Rechts hat man den alten Kästrich. Den Ausgang der Gaustraße bildet das Gauthor, von dem eine auf 9 Bogen gestützte Brücke über den Stadtgraben führt. Von hier geht die Straße nach dem innern Rheinhessen, nach der Pfalz und Frankreich. Gauthor und Gaustraße sind daher auch immer belebt; der ganze Verkehr der Stadt Mainz mit den genannten Landstrichen nimmt diesen Weg. Daher kam es auch, daß im Augenblicke der Explosion drei Fuhrwerke die Gauthor-Brücke passiren wollten.

Kaum hundert Schritte rechts vom Gauthore stand ein großer, viereckiger Thurm, der Stockhausthurm, im 13. Jahrhundert erbaut, und dicht neben demselben das Pulvermagazin, einstöckig und massiv in Stein ausgeführt; in diesem Magazine entstand die Entzündung und dasselbe flog mit dem Stockhaus- (Martins-)Thurme in die Luft, einen furchtbaren Steinregen nach allen Seiten hin schleudernd.

Diese Bemerkungen werden zur Orientirung des Lesers hinreichen, dem wir nun die Schreckensscenen der Explosion selbst zu schildern versuchen wollen.

Es war am Mittwoch den 18. November, Nachmittags um drei Uhr, als auf einmal ein Donnergetöse die Luft erschütterte, die Erde schwankte, die Häuser erzitterten und schienen zusammenzustürzen, Dächer wurden zertrümmert, die Fenster flogen klirrend mit zerrissenen Rahmen und zerschmetterten Scheiben in die Zimmer, die Thüren wurden aus Schloß und Riegel gerissen, Bilder und Spiegel fielen in Scherben von den Wänden – es war ein Moment der allgemeinen Todesangst.

Die lebhafteste Phantasie ist nicht im Stande, sich diesen schrecklichen Augenblick zu malen: die allgemeine Bestürzung und Verwirrung, mit welcher ein Jeder sich zu retten suchte und doch nicht wußte, warum und wohin? In ganz Mainz dachte Niemand anders, als das Haus stürze ihm über dem Kopfe zusammen.

Nur wer die Menschen gesehen hat, wie sie aus ihren Wohnungen wankten, sich sammelten und mit bleichen Gesichtern einander anstarrten – der vermag sich den Schrecken vorzustellen, der alle Bewohner einer 40–50,000 Seelen zählenden Stadt ergriff.

Das Alles füllte einige Secunden aus. Was war geschehen? Die Plötzlichkeit des Ereignisses und die Schnelligkeit, mit der es vorüberging, waren so verwirrend, daß innerhalb der Stadt die beiden Donnerschläge, mit welchen das Pulver-Magazin und der Thurm in die Luft geflogen, kaum gehört wurden; allein, man brauchte nur den Blick zu erheben, um eine schwarze Rauchwolke den Himmel verfinstern zu sehen und zu errathen, was geschehen war.

Das war der erste Eindruck der Katastrophe auf diejenigen, die in der Stadt wohnen und in ihren Häusern anwesend waren. Zermalmender war der Anblick noch für diejenigen, die außerhalb der Stadt Augenzeugen der Explosion sein mußten. Am schrecklichsten war der Anblick von der Rheinbrücke aus, denn von hier sieht man die Gegend des Gauthors und die Stephanskirche, in einer Entfernung von 20 Minuten, hoch über die Stadt ragen.

Man sah den zuckenden Blitzstrahl aufflammen, aber sogleich in einer furchtbaren, schwarzen Rauchsäule verschwinden; zugleich hörte man zwei heftige Donnerschläge erdröhnen und die Luft wurde so heftig erschüttert, daß die Spaziergänger zu Boden geworfen wurden. Ganz Mainz war unter einer dicken Rauchwolke verhüllt. War die unglückliche Stadt von einem Ende bis zum andern ein Trümmerhaufe, der seine Bewohner erschlagen hatte? Gottlob, nein, denn einen Augenblick später, so lüftete sich der schwarze Nebel und der St. Stephansthurm wurde wieder sichtbar, selbst das Kreuz auf seiner Spitze ragte noch hoch über der Unglücksstätte. Der Martinsthurm aber war verschwunden.

Liebe Leser, vermögt Ihr Euch wohl zu denken, was in dieser gräßlichen Minute in den Gemüthern derer vorgegangen, die draußen diesen Anblick und in der Stadt theure Familienglieder hatten, die jetzt vielleicht in ihrem Blute schwammen? Hättet Ihr sie sehen mögen, wie sie mit wankenden Knieen und Leichenblässe auf dem Gesichte nach der Stadt eilten? Oder soll ich auch noch schildern, was mir diejenigen erzählten, die ganz in der Nähe der Explosion gewohnt, blutend aus ihren zusammengestürzten Häusern flohen – froh, daß ihnen noch das Leben geblieben und sie nicht, wie viele andere, den Tod ihrer Gatten und Kinder zu beklagen hatten? – – – Sollte ich das, so müßte ich mit dem Dichter fragen:

Wer, wer gibt mir den Pinsel, wer Farben, dies zu entwerfen?

Kaum hatte man sich von der ersten Bestürzung einigermaßen erholt, so war der erste Gedanke natürlich derjenige: wie wird es im obern Stadttheile erst aussehen, wo die Zerstörung sicherlich viel größer sein muß? In wenigen Minuten eilte Alles nach dieser Gegend hin, um einer Verheerung ansichtig zu werden, die alles überstieg, was man in banger Ahnung erwartet hatte. Der alte, düstere Thurm und das Magazin waren verschwunden; ihre Steinmassen waren über die ganze Gegend geschleudert worden. Der alte Kästrich und der obere Theil der Gaustraße waren ein Trümmerhaufe. Siebenundfunfzig Häuser waren ganz und gar zerstört, an wenigstens sechzig anderen waren Mauern und Dächer eingestürzt und aus dem Schutt dieses vernichteten Stadttheils drang der Jammerruf der lebendig Begrabenen. Ein weißgrauer Staub bedeckte die ganze Gegend und verdunkelte die Luft.

Doch was galt diese Zerstörung gegen den gräßlichen Verlust an Menschenleben, der sich herausstellte? Ueberall fand man blutige, schauderhaft verstümmelte Körper, Soldaten und Bürgersleute, zum Theil noch ächzend und mit dem Tode ringend. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_698.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)