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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Da taucht eine andere Gruppe von Dichtern und Schriftstellern vor mir auf. Es war im Sommer 1835, als sich ein Kreis von Dichtern und Schriftstellern zusammenfand, die sich verabredeten, von Zeit zu Zeit in die Umgegend Berlins Ausflüge zu machen. Zu diesem Kreise gehörten Theodor Mundt, Heinrich Stieglitz, der verstorbene Guhrauer, Leopold Schweizer, wir beiden Brüder und Andere. Man fuhr zu Wagen nach Weißensee u. s. w. oder zu Kahn nach dem Eierhäuschen jenseit Treptow, wo sich an den Ufern der hier klarer als innerhalb der Mauern Berlins fließenden Spree stille Wälder ausbreiten, über denen der Geist einer friedlichen Einsamkeit schwebt, welche die Nähe einer großen berühmten Hauptstadt nicht vermuthen läßt. So trat ich in nähere Beziehungen mit Heinrich Stieglitz, der sich uns Brüdern mit großer Wärme anschloß. Unglücklich und zerrissen, wie damals in Folge der tragischen Katastrophe, die ihn so schwer betroffen hatte, der Dichter war, durfte er wohl auf Sympathie und Bedauern Anspruch machen. Er erschien, bei tieferm Eindringen in sein Wesen, als eine grundgute, aber selbstquälerische Natur; er zeigte sich leicht erregt und namentlich für die Ideen der Zeit begeistert und seinen Freunden mit unverwüstlicher Treue ergeben. Aber seine Begeisterung nahm immer die Form einer nicht sehr wohlthuenden Excentricität an. Er hätte vielleicht ein tüchtiger Gelehrter werden können, aber er strebte nach hohem Dichterruhm, und da ihm zu einem großen Dichter ebensowohl künstlerisches Gleichmaß als Naivetät und originelle Gedankenfülle fehlten, suchte er diesen ihm vielleicht selbst nicht recht klar zum Bewußtsein gekommenen Mangel durch übertriebene Rhetorik zu ersetzen. Von sich selbst behauptete er, daß in ihm der wahrhaft christliche Dichter auferstanden sei, und sein Herz nannte er gelegentlich ein „blutiges Tintenfaß.“ Alles, auch das unbedeutendste Gedicht wollte er mit seinem „Herzblut“ geschrieben haben, eine Phrase, die überhaupt damals unter den Dichtern in Brauch kam. Freilich machte ihm das Blut, das in heißen Wellen nach seinem Kopfe strömte, viel zu schaffen. So kam er eines Tages zu mir, zeigte mir eine kreisrunde entblößte Stelle auf seinem Scheitel und versicherte, daß ihm hier das Haar in vergangener Nacht unter schrecklichen Beängstigungen durch das andrängende Blut abgesengt sei. Er erzählte dies, indem er ein Stück Brod und einige Aepfel aus der Tasche zog und zu verspeisen anfing, mit der Erklärung, daß dies sein gewöhnliches Mittagsbrod sei. Die Wahrnehmung, daß die Welt nicht anerkennen wollte, wie sehr er es verdient, daß sich seine Gattin um ihn das Leben genommen, verursachte ihm wohl den größten Schmerz. Das zeigte sich ganz deutlich in seinen Gesprächen, die voll Enthüllungen über sein Verhältniß zu seiner unglücklichen Gattin waren und die ich ihrer zu großen Vertraulichkeit wegen nicht mittheilen möchte, wie in seinen spätern Briefen aus Venedig, auf die ich wohl noch später zurückkomme. Excentrischen Tons sind sie alle, obgleich aus ihnen auch stets eine gewisse, ihm angeborene Gutmüthigkeit hervorleuchtet. An diese Stelle gehört nur ein kleines Billet, womit er im Jahre 1835 ein Exemplar seiner Dichtung „das Dionysosfest“ begleitete, das er uns beiden Brüdern zusandte.

„Da, werthen Freunde,“ schreibt er, „habt Ihr das versprochene Heidenkind. Laßt’s frisch und kräftig auf Euch wirken und gönnt ihm den Gegenklang, den es zu wecken vermag, mich ganz hinweg denkend. Am liebsten wäre es mir, es muthete Euch an, wie eine Pflanze, wurzelnd in dem alten Thracien, vom Orient herüberwuchernd, durch das spätere Griechenland sich durchziehend, in unsere Zeit hinüberrankend“ u. s. w. Mit diesen Phrasen war am Ende zur Charakteristik der Dichtung doch sehr wenig gesagt. Der Brief schließt: „So lange die Stränge dieses Leibes halten, und hoffentlich darüber hinaus, treu den Geistesverwandten!“ Polonius würde hierzu wahrscheinlich sagen: „So lange die Stränge dieses Leibes halten“ sei eine gute Redensart. Indeß Friede seiner Asche! Stieglitz hat seit der Selbstopferung seiner Gattin und auch schon vorher mehr durchgekämpft, als wir ahnen mögen. Wohin seine excentrische Natur führen mußte, wird man deutlicher erkennen, wenn die jedenfalls interessanten Briefe, die der Dichter an seine Charlotte, als sie noch seine Braut war, richtete, erschienen sein werden. Wenigstens hören wir, daß ihre Veröffentlichung vorbereitet werde.

Noch ein Billet fällt mir aus der Zeit meines Berliner Aufenthaltes in die Hände, das mich ebenfalls an einen Verstorbenen mahnt. Es ist unterzeichnet „Rosa Horn, geb. Gedike“ und enthält eine Einladung zu einer „Tasse Thee.“ Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß Rosa Horn die Gattin des bald darauf im Jahre 1837 verstorbenen Romanschriftstellers und jedenfalls nicht unverdienstlichen Literarhistorikers Franz Horn war, mit dem ich ebenfalls durch das Berliner Conversationsblatt in Verbindung kam. Die „Tasse Thee“, die mir zugesagt war, verwandelte sich Abends freilich in eine Tasse Gerstenschleim; denn da Franz Horn schon damals leidend war, wurde ihm vom Arzt das Trinken von Gerstenschleim verordnet und wir wenigen geladenen Gäste wurden, wahrscheinlich aus Rücksicht auch auf unsere Gesundheit, genöthigt, an diesem frugalen Getränk, dem ein halbes Glas Wein nebst dünnem Butterbrod folgte, Theil zu nehmen. Gerstenschleim ist zwar kein Dichtergetränk, aber es wurde durch die Vorlesung eines kurz vorher in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ erschienenen Artikels von Franz Horn gewürzt. Franz Horn war gewiß ein weicher, lieber, wohlwollender Mann, der auch namentlich um die Kenntniß der deutschen Literatur im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert seine unbestreitbaren Verdienste hat, aber es ist traurig für einen Schriftsteller, sein Bischen Ruhm zu überleben, wenn er nicht die Fähigkeit besitzt, sich mit der Zeit lebendig fortzuentwickeln oder im rechten Augenblick zu resigniren, was freilich aus rein pekuniären Gründen leider nicht immer angeht. Aber durchaus wohlthuend war der Eindruck, den das Verhältniß zwischen beiden Ehegatten und die in fast rührenden Zügen hervortretende Verehrung Rosa’s für ihren Gatten machte. Darin liegt auch Poesie; es ist, trotz Gerstenschleim, ein Dichterleben, das man in der großen Friedrichsstraße in Berlin eben so gut haben kann, als anderswo.




Streifereien in Nord- und Südamerika.
Aus den Tagbüchern eines früheren schleswig-holsteinischen Hauptmanns.
Mitgetheilt von Julius v. Wickede.
(Schluß.)
Die Reise über die Cordilleren. – Meine Hacienda. – Unbequeme Situation eines jungen Ehemannes. – Nutzen des preußischen Artilleriedienstes. – Einrichtung des Wohnhauses. – Erster Angriff von Indianern. – Kampf und Vertheidigung gegen einen größeren Indianerhaufen. – Der vormals preußische Lieutenant als Lustfeuerwerker und Viehzüchter. – Mein Leben und meine Zukunft.

Viel gefährlicher aber als Condors und andere Raubthiere, machen die schmalen und abschüssigen Felsenpfade einen Uebergang über die Cordilleren, besonders wenn, wie dies jetzt der Fall war, tiefer Schnee die meisten Pässe bedeckt. In der That, mir stand bisweilen der Angstschweiß im Gesicht, wenn ich mit meinem Maulesel auf einem solchen Felsenpfade, der kaum einige Fuß breit, auf der einen Seite das glatte Gestein, auf der anderen aber einen tiefen Abgrund hatte, oft mehrere hundert Schritte weit reiten mußte. Ein einziger falscher Tritt des Thieres, oder ein unter dessen Hufen abbröckelnder Stein, und man wäre rettungslos in den Abgrund gestürzt. Meine kleine liebliche Frau und ihre ebenso hübsche Freundin aber schienen dieser Gefahr nicht im Mindesten zu achten. Ganz unbekümmert saßen sie auf den Satteln ihrer Maulthiere und lachten und scherzten so unbefangen, als ritten sie auf der besten Chaussee der Welt. Noch gleichgültiger aber waren die Maulthiertreiber dagegen, und als ich einst einen derselben, der eben zurückgeblieben war, zu mir rief, zwang er sein Maulthier durch unbarmherzige Schläge mit der Peitsche zu einem schnellen Trabe, obgleich der Pfad ganz schmal und dabei ziemlich abschüssig war. Häufige Unglücksfälle kommen übrigens bei einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_716.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)