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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sprühendem Auge zu ihrer Schwiegermutter. „Waren Sie es nicht, die, als ich mich weigerte, mit meinem Cousin allein auszureiten, mich ausschalt, daß ich es wagte, etwas für unschicklich zu finden, das Sie nicht so fanden? Sagten Sie nicht, ich sollte Cousin Alphons wie einen Bruder betrachten und ihm mein Wohlwollen ohne Zurückhalt beweisen?“

„Tante Alster, ich fürchte, Sie haben ein doppeltes Spiel gespielt,“ meinte Alphons, dessen heitere, offene, männliche Stimme wie ein Zauber die fieberhafte Aufregung der Dame unterbrach. „Arthur,“ fuhr er fort, „komm mit mir; Deine Frau wird schon mit Fräulein Waldheim Stand halten. Nun, bei allen Männern, die jemals dem Glück in der Ehe nachjagten, Mann!“ rief er, als sie aus dem Zimmer getreten waren, „wie konntest Du so schwach sein und an solche offenbare Verleumdungen glauben? Deine Frau und ich haben nie auf anderem als auf freundlichem Fuße gestanden. Wozu nun solchen Lärm? Als ich ankam, sah ich, daß sie systematisch seit ihrer Verheirathung ausgezankt worden war; ich nahm daher ihre Partie und that Alles, was mir zustand, um ihr Selbstvertrauen einzuflößen. Aber ich bin, so hoffe ich zu Gott, kein so schlimmer Bursche, um die Unschuld eines so jungen Wesens anzutasten, oder gar als Gast eines Verwandten zur Schande und Schmach der Familie zu complottiren. Deine Mutter übergab Bernhardinen meinem Schutz. Entschuldige mich, Du weißt, wie ich lebe; ich war daher auch anfangs erstaunt darüber; aber ich habe nicht umsonst meine Tante Jahre lang studirt, um fähig zu sein, sie jetzt richtig zu würdigen. Bald argwöhnte ich, es müsse etwas im Werke sein, da sie gegen mich, den sie niemals hatte leiden mögen, gar so sehr gütig war und Bernhardinen[WS 1] schmeichelte, die sie doch, wie ich wohl merkte, haßte. Es dauerte nicht lange, und ich hatte entdeckt, was sie beabsichtigte. Aber sie verlor ihr Spiel, denn Bernhardine hatte nicht die mindeste Neigung, mit mir zu coquettiren, noch hatte ich Lust, mit ihr davon zu laufen.“

Hier lachte er, als wenn er Wunder was für einen guten Witz gesagt hätte, und fuhr mit seinen Fingern durch fein schönes Haar in einer Weise, wie eitle Menschen zu thun pflegen. „Der ganze Unsinn von Bernhardinens Betragen ist nichts als Erfindung. Sie war sehr ängstlich um Dich besorgt, als Du nicht schriebst, und sprach alle Befürchtungen aus, deren die Tante erwähnt; aber in Besorgniß und nicht im Scherz, und Fräulein Waldheim ärgerte sich über ihr thörichtes Aengstigen. Die Arme that mir leid, und ich vertheidigte sie, aber die Waldheim sprach mich nieder.“ Hier lachte er wieder. „Bernhardine kam wirklich vom andern Ende des Zimmers zu mir, legte ihre Hände in die meinigen und sagte: „Ich danke Ihnen, Cousin Alphons,“ aber ihre Augen waren voll Thränen, und ihr kleines Herz brach fast um Deinetwillen.“

„Alphons,“ sagte Arthur, „ich sehe, ich war ein Thor.“

Der Cousin sah ernst darein und hatte keine Lust zum Widerspruch.


V.

Arthur fühlte sich zwar gedemüthigt, war aber doch großherzig genug, seinen Irrthum anzuerkennen. Zwar vermochte er es nicht über sich, gegen Bernhardine sich zu entschuldigen und in eine lange und breite Vertheidigung einzulassen, aber als er ihr im Corridor des Hauses begegnete, streckte er seine Arme nach ihr aus, rief sie beim Namen und drückte sie zärtlich an sein Herz, wobei er ihr in’s Ohr flüsterte:

„Wird mein treues Weibchen mir verzeihen?“

Bernhardine erhob ihr Gesichtchen, und stellte sich auf die Zehen, um ihm näher zu sein. Arthur hatte nicht nöthig, wieder zu fragen, ob sie ihn liebe und ihm verzeihe.

Arthurs Privatzusammenkunft mit seiner Mutter war heftigerer Natur. Die Leidenschaften Beider waren aufgeregt und gingen in Aufstand über. Er beschuldigte sie geradezu der Falschheit und beantwortete ihre Vorwürfe auf eine sie tief verwundende Weise; doch waren sie nicht ungerecht, wenn auch mit harten Worten ausgedrückt, die ihm allerdings nicht zustanden. Dagegen verlor aber auch Madame Alster bei dem Streit an Würde, Selbstachtung und mütterlichem Gefühl. Sie wechselte mit Hohn und Schmeichelei in einer Weise, daß des Mannes Blut erstarrte, und sagte sogar, Arthur müsse für seine Gattin eine andere Heimath ausfindig machen.

Unglücklicherweise trat in eben diesem Augenblicke Bernhardine ein und hörte diese Worte.

„Madame,“ sagte sie leidenschaftlich, „ich werde dieses Haus nicht verlassen. Distelfeld gehört meinem Mann, und ich bin somit die gesetzliche Besitzerin davon. Sie sind mein Gast, nicht ich der Ihrige.“

„Bernhardine, Bernhardine!“ rief mahnend Arthur.

„Still!“ rief die junge Frau befehlend. „Diese Angelegenheit ist die meinige, und ich erwarte nicht, daß Du mich gegen Deine eigene Mutter vertheidigest; ich muß mich selbst vertheidigen.“

Mit diesen Worten drehete sie sich um und ging.

„Sie haben ganz Recht, Bernhardine,“ sagte Fräulein Waldheim, welche im Nebenzimmer das Gespräch gehört hatte. „Gehen Sie weg von Distelfeld, so schaden Sie Ihrem Charakter und dürfen sich weder hier noch in der Umgegend wieder sehen lassen.“

„Ich werde es gewiß nicht verlassen, darauf schwöre ich!“ rief Bernhardine.

„Meine Frau hat die Wahrheit gesagt, Mutter,“ sagte Arthur. „Ich würde es nicht gesagt haben, selbst jetzt nicht; aber es ist die Wahrheit.“

„Muß ich das erleben, Arthur?“ schnarrte Madame Alster. „Muß ich Distelfeld verlassen wegen eines solchen unwürdigen Geschöpfes, das Du Dein Weib nennst? Befriedige Dich nur mit dem Gedanken, mein Junge, denn so wahr ich lebe, es wird Dir nichts anderes übrig bleiben, als – der Gedanke.“

„Ich werde mich aber nicht mit dem Gedanken, sondern einzig mit der That befriedigt finden!“ sagte Arthur. „Vergessen Sie nicht, daß ich das, was ich einmal beschlossen habe, auch ausführe. So verstehen Sie mich denn: da Sie nicht mit meiner Frau, wie es sich gebührt, leben, so werden Sie uns verlassen. Sie haben kein Recht, sie von hier zu vertreiben, und ich werde nie mehr Ihr bisheriges Betragen gegen sie gestatten. Das ist Alles, was ich Ihnen zu sagen habe, und ich verlasse Sie, damit sie darüber nachdenken können.“

Arthur zog sich in das Nebenzimmer zurück.

So sich selbst überlassen, stürmte die Leidenschaft der alten Frau ohne Schranken und Maß durch die Seele. Die Scene bot einen schreckenerregenden Anblick dar. Heftig, das Zimmer mit verschränkten Armen, aufgeschwollenen Adern und zusammengebissenen Zähnen auf- und abgehend, oft schwer und tief stöhnend und von Wuth entbrannte Blicke umherwerfend, glich sie mehr einem von Hunger wüthend gewordenen Panther, der auf Raub ausgeht, als einem menschlichen Wesen. Unerträglich war ihr der Gedanke, von einem Wesen, wie Bernhardine, überwunden worden zu sein; daß ihre Macht, ihr Wille, ihre Pläne, ihre Worte gleich einem Stück Zeug in Fetzen zerrissen und dem Winde Preis gegeben werden sollten, und zwar durch das simple Wort einer Person, die sie noch immer für eine Schwachköpfige hielt, das, ja das war zu viel für die hochmüthige Seele.

Plötzlich hörten die drei Personen im Nebenzimmer einen schweren Fall; Arthur und Bernhardine stürzten in das Gemach. Sie fanden die Mutter sprachlos auf dem Boden liegen; ihre große Aufregung hatte ihr eine Ohnmacht zugezogen. Nach und nach kam sie zu sich. Während Bernhardine und Arthur sich um sie bemüheten, ruheten ihre Augen einmal auf diesem, das andere Mal auf jener. Sie versuchte zu sprechen, es gelang ihr aber nicht, obwohl sie mehrfach den Versuch erneuerte. Endlich stieß sie einen eigenthümlichen, ganz unnatürlichen Ton aus, und sagte dann mit ihren immer noch feurigen und abschreckenden Augen, ihren kühnen, schwarzen, ebenfalls noch aufgeschwollenen Augenbrauen:

„Nun ja, ich sehe wohl, Sie sind nicht so einfältig, als ich Sie mir vorgestellt habe; – – ich habe beinah Respect vor Ihnen.“

Madame Alster erholte sich nie mehr von dem Anfall. Sie starb zwar nicht, aber sie war eine Andere geworden, wie die Dienerschaft behauptete. Sie war gezwungen, ihre Schwiegertochter schalten und walten zu lassen im Hause; denn sie selbst brachte ihr Leben hülflos und unthätig in einem Rollstuhle zu. In jeder andern Beziehung blieb sie die alte, die abschreckende, grausame, leidenschaftliche Frau, ihre Schwiegertochter aber behandelte sie mit Achtung, denn Bernhardine hatte eine Lection erhalten, die sie nie mehr vergaß. Während diese ihren Pflichten freundlich und besonnen nachkam, ließ sie sowohl ihren Gatten als auch die

Schwiegermutter

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Berhardinen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_019.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2018)