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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Seite gelangen; man mußte dann an der Wendeltreppe vorbeigehen. Vom Hofraume aus führte kein Eingang in das Gebäude. Auf dem Vordergebäude über dem Thorbogen stand ein runder dicker Thurm, 20 bis 25 Fuß hoch, das Hintergebäude-hatte zwei Thürme von derselben Form und Höhe. An den Fenstern des Gebäudes waren grüne Läden angebracht. Das Gebäude hatte viele Stuben, die Küche befand sich im hintern Bau.

In diesem einsamen Gebäude wohnte die Mutter Carolinens mit ihr selbst, einer Gesellschafterin und einigen Dienstmädchen. Sie hatte die Gemächer rechts inne, links wohnte zuweilen ein „Ongkar“ (Oheim) Carolinens mit seinem Sohne Henrik (Heinrich). Von einer Mutterschwester „Xantlu“ (Tante) hörte Caroline, sah sie aber nie. Von einer männlichen Bedienung der Mutter oder des Oheims hat sie nie gesprochen. In der Waldwohnung, wo sie ihre späteren Jahre verlebt haben will, hat sie noch gehört, daß der Vater von ihrer Mutter „Katana“ (in der ungarischen Schriftsprache Katona, Soldat) gewesen sei. Dieser Großvater hat einmal fortgemußt, wo böse Menschen waren (wahrscheinlich in den Krieg) und hat bei seiner Rückkunft zur Mama ein böses Bein gehabt. Auch ihr eigener Vater ist Officier gewesen. Sie erinnert sich aus ihrer Waldwohnung des Bildes eines Mannes mit einem weißen Kleide und mit drei Sternen auf der Brust, von dem ihre Wärterin ihr gesagt habe, daß es ihren Vater vorstelle. Als sie in Offenbach einen österreichischen Officier in Uniform sah, sagte sie: „So hat mein Papa auf dem Bilde, ein weißes Kleid an.“ Darauf beschränken sich alle ihre Erinnerungen und Aussagen von ihrer Familie. Nur ein einziger Ortsname tritt dabei hervor: Temewar (doch wohl Temesvar), wohin Carolinens Mutter nach der Erzählung der Wärterin in der Waldwohnung mehrmals mit dieser in einem Wagen gefahren ist.

Der Hofraum des einsamen Schlosses war gepflastert und in der Mitte befand sich ein runder verdeckter Brunnen, auf dem das Wasser mittelst eines Rades heraufgezogen wurde. Der linke Seitenflügel des Hauptgebäudes grenzte an der Außenseite an einen großen Garten, der sich über das Gebäude noch hinauserstreckte. In diesen Garten gelangte man durch eine Thür links vom Vordergebäude, und diesem Eingange gegenüber standen drei kleine, etwa dreißig Schritte von einander entfernte Häuser, wo die Leute wohnten, die in dem Garten zu arbeiten hatten. Zu dem Thore des Hauptgebäudes führt ein breiter, theilweise gepflasterter und von hohen Bäumen eingefaßter Weg. Von diesem Hauptwege führte „zu jedem der drei kleinen Häuser“ ein Nebenweg. Nicht fern vom Hauptgebäude standen viele Bäume, die man von den Fenstern aus sah.

Caroline wohnte in diesem Gebäude etwa bis zum vollendeten fünften Jahre. An einem Morgen nach dem Kaffee führte ihre Mutter sie in den linken Seitenflügel zum Oheim, küßte sie und fuhr anscheinend heiter in einem Wagen fort. Ihre Gesellschafterin nahm sie mit, die Dienstmädchen blieben zurück. Sie hatte sich oft entfernt und Caroline ahnte daher nichts Schlimmes. Sie blieb bei ihrem Oheim bis gegen Mittag, zu welcher Zeit sie in den Garten geführt wurde, Henrik wollte sie begleiten, mußte aber auf Befehl des Vaters zurückbleiben. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir, daß ihr Spielgenosse acht Jahre alt war. Sie ging allein in den Garten und hatte sich dort kaum in der Nähe des Wassers niedergesetzt, als ein großer Mann mit einem starken, über die Brust herabfallenden Barte sie auf seine Arme nahm und forttrug. Sie weinte und schrie, bis der Fremde ihr den Mund mit einem Tuche verschloß und sie endlich ganz ermattet auf seinem Arme einschlief. Wenn sie erwachte, fühlte sie sich noch immer fortgetragen. Wie lange dies dauerte, ob es inzwischen Nacht wurde und ob ihr Träger mit ihr durch eine Stadt oder ein Dorf ging, hat sie nicht bemerkt. Alles, was sie weiß, ist, daß sie in eine unterirdische, in einem großen Walde liegende Wohnung getragen und dort einer Frau von 40 bis 45 Jahren, der einzigen Bewohnerin der Höhle, übergeben wurde.

In dieser Wohnung hat die Unbekannte lange Jahre verlebt und sie daher mit der größten Genauigkeit beschreiben können. Der oberste Theil derselben lag mit dem Waldboden in derselben Linie. Den Eingang bildete eine Fallthür „von der Größe einer gewöhnlichen Stubenthür“, die mit Gras bewachsen war, daß man sie von dem Boden des Waldes nicht leicht unterscheiden konnte. Unter dieser Fallthür befand sich eine Treppe mit 15 bis 18 Stufen von Holz und so schmal, daß immer nur eine Person auf ihr gehen konnte. Auf diese Treppe folgte unten ein gerade fortlaufender Gang, zehn bis zwölf Fuß hoch und so breit, daß zwei Personen neben einander gehen konnten. „Seine ganze Länge hat Caroline nie gesehen, ist ihr also unbekannt.“ Außer diesem Gange befanden sich in der unterirdischen Wohnung zwei Stuben, eine Küche und ein Keller. Vielleicht waren noch andere Räume vorhanden, aber die erwähnten waren die einzigen, welche Caroline zu sehen bekam. Die beiden Stuben und die Küche waren Räume von zehn bis zwölf Fuß Höhe und alle drei mit einer verschließbaren hölzernen Thür versehen. In dreien befand sich in der Mitte der Decke ein kreisrundes Fenster von 1 1/2 Zoll im Durchmesser. Durch diese Oeffnung drang nicht so viel Licht ein, wie in gewöhnlichen Stuben, aber doch so viel, daß Handarbeiten möglich waren. Die Decke der Fenster bildete wie bei der Thür ein Deckel von Holz, der niedergelegt werden konnte und dann, da er mit Gras bewachsen war, ein Entdecken der Fenster verhinderte.

Der ganze unterirdische Raum war weder gedielt, noch mit Tapeten versehen, noch mit weißer Farbe angestrichen. Alles befand sich im Naturzustande und trug die schwarze Farbe der Erde. Die eine der Stuben lag links, die andere rechts von dem Gange. Die Stube links bewohnte Caroline. Sie war mit einem Ofen versehen, der nach der Beschreibung aus Ziegelsteinen, Thon oder dunklem Porzellan bestanden haben wird. Ein Ofenrohr hat Caroline nicht gesehen, wie sie auch in den andern Räumen von keinen besondern Oeffnungen oder Anstalten zum Hinauslassen des Rauches weiß. Links neben Carolinens Zimmer befand sich die Küche und unter dieser lag, mittelst einer Fallthür zugänglich, der Keller. Die sehr in’s Einzelne gehende Beschreibung des Hausgeräthes in den Stuben und der Küche übergehen wir; alle Stücke waren so einfach wie möglich. Von Interesse ist nur, daß eine Kommode in Carolinens Stube außer ihren Kleidern ein Paar gelbe (goldene) Ohrringe und ein weißes (silbernes) Medaillon enthielt. An jedem der beiden Ohrringe war ein Plättchen befindlich, „auf dem etwas stand.“ Als Caroline in Offenbach die Buchstaben kennen lernte, von denen sie früher keine Ahnung gehabt hatte, erklärte sie, daß es Buchstaben gewesen wären. Auf dem Medaillon, das die Größe eines Halbenguldenstückes hatte, war eine Frau mit hoher Stirn und hellem Haar abgebildet, Carolinens Mutter, wie ihr von ihrer Wärterin gesagt wurde. Ueber der Kommode hing jenes Bild ihres Vaters, welches bereits früher erwähnt wurde.

Wasser drang in die unterirdische Wohnung nicht, so stark es auch regnen mochte. Schnee sah Caroline nie. Es war im Winter nicht so kalt, wie im südlichen Deutschland, und die Kälte hielt nicht länger an, als acht bis zehn Wochen. Während der übrigen Jahreszeit war es mitunter ziemlich warm, doch ließ der Wald eine drückende Hitze nicht aufkommen.

Acht Jahre lang etwa wohnte Caroline mit ihrer Wärterin hier allein. Diese Frau hieß Bertha und ihre Pflegbefohlene wurde von ihr Karlinka genannt. Von Zeit zu Zeit erschien der Mann, der Carolinen in die Waldwohnung getragen hatte und ihr mit dem Namen Eleasser (Eleasar) bezeichnet wurde. Er kam nicht ganz regelmäßig, bald nach fünf oder sechs, bald nach acht oder auch zwölf Tagen. Der Zweck seiner Besuche bestand nicht blos darin, Lebensmittel zu bringen, er wollte auch, wie aus Carolinens Erzählung mittelbar hervorgeht, die Wärterin beaufsichtigen und ihr ihre Pflichten einschärfen. Er blieb mindestens zwei bis drei Tage, zuweilen noch länger. Entfernte er sich, so nahm er die fertigen weiblichen Arbeiten, Strümpfe und Decken, falls sie sich einigermaßen angehäuft hatten, mit sich fort. Bertha benahm sich gegen ihre Gefangene stets wohlwollend und freundlich, Eleasar war rauh und vermied mit ihr zu sprechen. Er begrüßte sie bei seiner jedesmaligen Ankunft mit möglichster Kürze und sprach dann nur noch mit Bertha, aber auch nicht in der Gegenwart der Gefangenen. Wenn diese letztere doch behaupten kann, daß Eleasar und Bertha sich einer ihr unbekannten Sprache bedient hätten, so wird ihr dies dadurch möglich, daß beide oft hinter der verschlossenen Thür von Bertha’s Stube sehr laut mit einander sprachen. Eleasar zankte dann mit Bertha, wie diese hinterher erzählte. So lange er anwesend war, blieb Caroline Tag und Nacht in ihrer Stube eingeschlossen. Er trat sehr leise auf und sie merkte oft nur daran, wenn ihre Thür wieder geöffnet wurde, daß er gegangen sei.

Bertha sprach mit Carolinen anfangs in der (ungarischen)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_026.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)